Die Vereinten Nationen schlagen ein vorübergehendes Grundeinkommen für die Ärmsten der Welt vor, damit sie in der Pandemie zu Hause bleiben können. So könne die Verbreitung des Virus eingedämmt werden, heißt es in einem Bericht des UN-Entwicklungsprogrammes. Betroffen seien rund 2,7 Milliarden Menschen in 132 Entwicklungsländern. Zur Finanzierung könne das Geld umgewidmet werden, das die Länder für ihren Schuldendienst aufwenden müssten.
Der Vorschlag geht über das Schuldenmoratorium für zwölf Monate für die ärmsten Länder hinaus, das die G20-Staaten als Antwort auf die Coronapandemie im April diesen Jahres beschlossen hatten. Wir haben über den Vorstoß der UNO mit Axel Dreher gesprochen, Entwicklungsökonom an der Universität Heidelberg.
Katja Scherer: Was ist das neue an diesem Vorschlag?
Axel Dreher: Das ist das gleiche im Prinzip [wie das Schuldenmoratorium für zwölf Monate für die ärmsten Länder, Anm. der Red.) Dieses bisherige Moratorium ist allerdings nur für die ärmsten Länder der Welt. Das, worum es jetzt geht, soll sich aber an alle Entwicklungsländer richten.
Scherer: Was halten Sie denn von der Idee? Ist das sinnvoll aus Ihrer Sicht?
Dreher: Ein Grundeinkommen ist ja erst mal eine gute Sache, wenn es finanzierbar ist. Es bleibt aber die Frage, ob das eine realistische Idee ist. In vielen Ländern wird es einfach unrealistisch sein, die Bedürftigen hinreichend genau erfassen zu können und denen dann ein Einkommen zukommen zu lassen.
"In vielen Ländern eine korrupte Bürokratie"
Scherer: Fraglich ist ja auch, inwiefern es realistisch ist, das Ganze zu finanzieren. Wie wahrscheinlich ist es, dass die reichen Staaten, die Geberländer, wenn man das jetzt mal so nennen will, dass die überhaupt mitmachen aus Ihrer Sicht?
Dreher: Genau, das ist der zweite Teil der Frage, dass man hier die größten Kreditgeber ins Boot holen müsste. Üblicherweise China ist eines der Länder, bei dem viele Länder besonders in Afrika sehr hohe Schuldenberge haben, und China macht üblicherweise bei solchen multilateralen Verhandlungen nicht mit. Das hat mich gewundert, dass sie bei dem eingangs angesprochenen Moratorium für die ärmsten Länder der Welt tatsächlich mitgemacht haben. Das wurde allerdings mit Spannung erwartet und war keinesfalls klar.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sogar, wenn die westlichen Länder sich hier bereiterklären würden… Das könnte ich mir vorstellen, dass die G20 sich zu so einem Schritt bereiterklären, aber noch fraglicher ist, dass man China hier mit ins Boot holen könnte, und das ist für viele Länder einer der größten Kreditgeber, teilweise noch größer als beispielsweise die Weltbank.
Scherer: Wie ist das, Sie hatten vorhin angesprochen, es könnte schwierig sein, vor Ort zu kontrollieren, was mit dem Geld passiert, das heißt, welche Risiken tun sich da auf, dass das dann einfach irgendwie in privaten Taschen versickert, oder wird es dann für sinnvolle Dinge ausgegeben, aber vielleicht jetzt nicht für die Ärmsten der Ärmsten, oder über welche Probleme sprechen wir da?
Dreher: Von allem, was Sie eben genannt haben. Sie haben eine Empfängerregierung, die hat plötzlich einen größeren Spielraum im Budget und ist dann die Verpflichtung eingegangen, damit ein Grundeinkommen zu schaffen. Das ist natürlich erst mal nicht bindend. Das stelle ich mir schon schwierig vor. Dann sogar, wenn die Regierung selbst vielleicht tatsächlich die Finanzierung des temporären Grundeinkommens gewährleisten möchte, müssen sie erst mal noch rauskriegen, wer eigentlich dieses Grundeinkommen bekommen soll, und wenn sie sie dann identifiziert haben, dann müssen sie das Geld da auch noch hinkriegen.
Dann haben Sie in vielen Ländern eine korrupte Bürokratie, die Polizei ist korrupt. Das heißt, in den korrupteren Ländern würde ich damit rechnen, dass es nicht in andere sinnvolle Projekte geht, sondern vielleicht auf irgendwelchen Offshore-Konten versickert oder dass andere Projekte damit finanziert werden, die bestimmten Gruppen zugutekommen, die der Elite im Land nahestehen, aber nicht den Ärmsten.
Ausbreitung der Pandemie in armen Ländern könnte auf Europa zurückfallen
Scherer: Was kann man denn aus Ihrer Sicht machen, um den Menschen in ärmeren Staaten zu helfen als internationale Staatengemeinschaft?
Dreher: Also erst mal sprechen natürlich diese Probleme nicht notwendigerweise dagegen, das nicht trotzdem zu versuchen. Das ist mit großen Schwierigkeiten behaftet, aber ein Teil der Gelder würde natürlich auch ankommen, und in einigen Ländern wird es vielleicht besser funktionieren als in anderen.
Es ist noch gar nicht so klar, was besser ist, und es ist durchaus legitim, dass Geber Geld geben, auch mit dem Ziel im Hinterkopf, dass sie die eigenen Bürger schützen. Wenn wir uns vorstellen, dass in den ärmeren Ländern der Welt die Pandemie sich jetzt grassierend ausbreitet, dann muss man davon ausgehen, dass auch, wenn wir in Europa hier in den nächsten Wochen und Monaten die Lage einigermaßen in den Griff bekommen, das früher oder später wieder vor unserer Tür steht.
"Kein abschließendes Urteil gebildet"
Scherer: Das heißt, Sie wären dafür, dass man das Ganze versucht.
Dreher: Ich habe kein abschließendes Urteil mir gebildet. Also ich sehe die Vor- und Nachteile. Ich müsste da deutlich länger drüber nachdenken und mir die genauen Zahlen anschauen. Wahrscheinlich würde ich zu dem Ergebnis kommen, dass es vom Land abhängt, dass es in den Ländern, in denen die Korruption niedriger ist, in denen bessere Statistiken vorhanden sind, dass ich es dort für sinnvoll halten würde und in den Ländern, in denen diese Voraussetzungen weniger gut gegeben sind, eben nicht.
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