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Grundrechte in der Coronakrise
"Freiheit bedeutet nicht, tun und lassen zu können, was man will"

"Wir haben ein intaktes politisches System", sagte der Jurist und Schriftsteller Georg M. Oswald im Dlf. Mit den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie gebe es verfassungsrechtlich einen hoch kritischen Vorgang. Eine Gefahr sieht er aber nicht, schließlich gebe es keinen Willen, das System abzuschaffen.

Georg M. Oswald im Gespräch mit Benedikt Schulz |
Demonstration gegen Corona-beschränkungen: Ein Demonstrant hält eine Zeitung des "Demokratischen Widerstands 2020"
Weil durch die Coronakrise Freiheitsrechte eingeschränkt wurden, sehen Menschen die Grundordnung substanziell bedroht und protestieren gegen die Maßnahmen (imago / Jannis Große)
Das deutsche Grundgesetz steht seit über 71 Jahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland. Weil durch die Coronakrise Freiheitsrechte eingeschränkt wurden, sehen Menschen die Grundordnung substanziell bedroht und protestieren gegen die Maßnahmen.
Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen auf dem Canstatter Wasen in Stuttgart
Corona-Demonstrationen: Positionen und Protagonisten
Sie protestieren gegen die Beschränkungen durch den Corona-Lockdown – in manchen Städten sind es nur hundert, in anderen Tausende. Die Politik ist alarmiert. Wer steckt hinter den Protesten? Welche Forderungen gibt es?
Bei dem Grundgesetz gehe es nie um "entweder oder", betonte Oswald im Dlf, sondern "immer um sowohl als auch". Das Recht auf körperliche Unversehrtheit sei ein ganz zentrales und wichtiges Grundrecht, aber eben auch die Freiheitsrechte. Die Aufgabe bestehe darin, diese beiden Seiten in der aktuellen Situation der Corona-Pandemie zur Geltung zu bringen.
Der Begriff "Freiheit" bedeute im Sinne des Grundgesetztes nicht, "einfach tun und lassen zu können, was man will, ohne sich um die anderen kümmern zu müssen", erklärte der Jurist. "Freiheit ist eigentlich die Grundlage des Menschenbildes des Grundgesetzes, das davon ausgeht, dass die Menschen in Freiheit die besten Entscheidungen für sich und für andere treffen."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Diskussion um Grundrechte
Derzeit werde die Diskussion um die Grundrechte und Maßnahmen in der Corona-Ausnahmesituation in einem "hysterischen Diskant" geführt, kritisierte Oswald. In dem die einen sagen, "euch sind Menschenleben nichts wert" und die anderen sagen, "euch ist die Freiheit nichts wert", komme die Diskussion nicht weiter. Der Jurist und Schriftsteller wundert sich zudem, dass es gegenüber unseren Rechtsgrundlagen so großes Misstrauen gebe. Es sei unschön, dass "Aluhüte und Rechtsextreme" als Verteidiger des Grundgesetzes erscheinen - "sie sind es ja auch nicht". Denn Einschränkungen der Grundrechte durch andere Grundrechte seien nicht immer rechtswidrig. "Ich fände es schön, wenn sich auch sozusagen Bürger, die jetzt überhaupt weder verschwörungstheoretisch noch sonst irgendwie politisch radikal in Erscheinung treten, sich sozusagen zu unserer politischen Ordnung bekennen."
Oswald: In Deutschland gibt es keinen Willen, das System abzuschaffen
Die Exekutive werde auf Grundlage von Gesetzen handlungsfähig gemacht, erklärte Oswald. Das sei verfassungsrechtlich ein hoch kritischer Vorgang und auch kritisch zu betrachten. "Aber mir fehlt hier im Unterschied zu den historischen Parallelen der Wille, das System abzuschaffen. Der ist einfach nicht da, sondern der Wille ist ganz offensichtlich, mit der Krisensituation richtig umzugehen." Im Parlament selbst werde schließlich auch diskutiert, wie weit die Einschränkungen von Grundrechten gehen dürften, so der Jurist.