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Grundrente
"Das Prinzip der Bedürftigkeitsprüfung ist richtig"

Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Grundrente müsse jetzt schnell kommen, fordert der CDU-Politiker Carsten Linnemann. Sonst gebe es wieder nur ein Rentenversprechen, das nicht eingehalten werde, sagte er im Dlf. Die CDU halte an einer Bedürftigkeitsprüfung fest, um zielgerichtet zu helfen.

Carsten Linnemann im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Union (MIT) Carsten Linnemann spricht am 13.11.2015 auf der MIT-Tagung in Dresden (Sachsen).
    Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann (picture alliance/dpa - Karlheinz Schindler)
    Christiane Kaess: "Respektrente" oder "Gerechtigkeitsrente": Am liebsten würde Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD sein Konzept einer Grundrente so nennen und damit ausdrücken, was er nur gerecht findet, nämlich, wenn Menschen, die lange genug gearbeitet haben und deren Rente trotzdem nicht reicht, Anspruch auf mehr haben. Am Telefon ist jetzt Carsten Linnemann. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, und er ist Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU. Guten Morgen!
    Carsten Linnemann: Guten Morgen, Frau Kaess!
    Kaess: Es geht also heute vor allem um die Grundrente. Wie weit kann sich die Union auf das Konzept von Arbeitsminister Heil einlassen?
    Linnemann: Ich glaube, dass die Positionen klar sind, dass wir auch etwas machen wollen. Ich meine, Sie müssen sich mal die Geschichte anschauen dieser Rentenversprechen für Menschen, die lange gearbeitet haben. Es gab die sogenannte Zuschussrente 2011, die nicht gekommen ist. 2012, die Lebensleistungsrente, 2013 die solidarische Lebensleistungsrente. 2016 die gesetzliche Solidarrente, jetzt die Respektrente. Und nie ist irgendwas gekommen, und das hat auch einen Grund: Weil das System sehr kompliziert ist beziehungsweise wir haben zwei verschiedene Systeme. Und genau deshalb haben wir uns ja in den Koalitionsverhandlungen auch Zeit genommen, weil fünfmal was versprochen wurde.
    "So schaffen wir neue Ungerechtigkeiten"
    Kaess: Aber jetzt, Herr Linnemann, um das ein bisschen abzukürzen, die Vorgeschichte, jetzt liegt ein Konzept auf dem Tisch, und die Union will nicht mitgehen.
    Linnemann: Genau. Deswegen habe ich die Vorgeschichte erzählt, weil es einen Grund gibt. Weil jedes Mal, als etwas in der Rentenversicherung gemacht werden sollte, dass wir an dieses Leistungsprinzip gehen, jedes Mal ist es nicht gekommen, weil wir immer neue Ungerechtigkeiten schaffen durch eine Änderung am Rentensystem. Und deswegen haben wir uns Zeit genommen, das wollte ich eben sagen, bei den Koalitionsverhandlungen. Da war Frau Nahles dabei, Frau Kramp-Karrenbauer, ich war mit von der Partie. Wir haben uns Zeit genommen, mehrere Tage, um diese Grundrente, die jetzt im Koalitionsvertrag steht, zu vereinbaren. Und deswegen muss die jetzt auch kommen. Ansonsten haben wir wieder nur ein Versprechen, das nicht eingehalten wird.
    Kaess: Und der Knackpunkt ist die Bedürftigkeitsprüfung. Da will die Union nicht mitmachen. Dabei hat Hubertus Heil seine Argumenten doch schon auf den Tisch gelegt und gesagt, da geht es eben um die Anerkennung einer Arbeitsleistung, man könnte auch sagen, einer Lebensleistung.
    Linnemann: Ja, das ist ja auch richtig. Und genau das steht ja auch in dieser Grundrente im Koalitionsvertrag drin. Bei der Bedürftigkeitsprüfung geht es wie gesagt darum, dass wir zielgerichtet vorgehen. Und es stimmt nicht, dass wir uns nicht ansehen wollen, welche Details es da gibt. Zum Beispiel der Punkt, dass das Eigenheim außen vor bleiben soll. Ich glaube, dass meine Partei nicht nur offen ist, sondern das auch will. Es kann nicht sein, dass jemand in Altersarmut ist, sein Haus verkaufen muss, um dann zu Leistungen zu kommen. Die Gesetzeslage ist im Moment so, dass eine Grundstücksfläche bei 500 Quadratmetern liegt. Dann habe ich Anspruch. Wenn ich danach 600 oder 700 Quadratmeter Grundstück habe, muss ich mein Haus erst verkaufen. Da sagt die Union auch, das geht nicht, da müssen wir ran. Aber das grundsätzliche Prinzip der Bedürftigkeitsprüfung ist richtig. Und im Unterschied zu den sechs Versprechen, die ich eben aufgezählt habe der letzten Jahre, haben wir jetzt ein Konzept, das umsetzbar ist, und zwar schnell. Das schaffen wir noch vor dem Sommer, und deswegen muss das jetzt kommen.
    "Wir haben jetzt wirklich ein Konzept, das funktioniert"
    Kaess: Aber Herr Linnemann, ist das nicht tatsächlich respektlos, wie Hubertus Heil das auch nennt, wenn man tatsächlich Menschen nach einem Arbeitsleben zwingen würde, ihre gesamten Vermögensverhältnisse darzulegen, und dann eventuell – Sie haben jetzt gerade über das Eigenheim gesprochen –, aber dann eventuell auch zu sagen, jetzt müssen erst mal Rücklagen aufgebraucht werden.
    Linnemann: Das Problem, das Herr Heil angesprochen hat, ist, dass viele Menschen sich schämen, wie man sagt, sich dann auszuziehen, bildlich.
    Kaess: Warum sollte das denn nötig sein. Das ist ja keine Sozialleistung.
    Linnemann: Frau Kaess, genau diesen Punkt haben wir ja auch besprochen, und deswegen haben wir gesagt, natürlich muss die Grundsicherungsstelle weiter prüfen. Aber es läuft in Zukunft alles über die Rentenstelle. Und genau das ist ja – das war die Problematik der letzten Jahre. Und dieses Problem haben wir gelöst. Die zweite Problematik war das Eigenheim, das haben wir gelöst. Und deswegen haben wir jetzt wirklich ein Konzept, das funktioniert, und die Union ist davon überzeugt. Und deswegen, glaube ich, sollten wir das jetzt umsetzen, anstatt zu sagen, wir haben kein Konzept.
    Kaess: Das Konzept funktioniert, soweit ich es verstanden habe, eben nicht, weil die Union auf der Bedürftigkeitsprüfung beharrt, und die SPD will das eben nicht. Ich will das noch mal sagen, was unser Korrespondent auch gerade gesagt hat und worauf Hubertus Heil noch mal hingewiesen hat, dass es eben um Leute geht, er sagt, die aufstehen und arbeiten, und nicht um die, so wörtlich, "reichen Angehörigen wie etwa die berühmte Zahnarztgattin". Solche Einzelbeispiele seien eben kein Grund, das Modell insgesamt zu diskreditieren, das für Reinigungskräfte, Lkw-Fahrer, Lagerarbeiter oder auch für die Arzthelferinnen gemacht sei, die nicht mit reichen Ärzten verheiratet seien. Warum will die Union, warum wollen Sie die Einzelfälle über die Mehrheit stellen?
    Linnemann: Weil wir der Überzeugung sind, dass wir neue Ungerechtigkeiten schaffen. Es wird in der Rentenversicherung nicht unterschieden, ob Sie jahrelang Teilzeit gearbeitet haben oder Vollzeit. Es war erst gestern noch, vorgestern ein Beispiel bei "Hart aber fair", wo jemand 40 Jahre Vollzeit gearbeitet hat und am Ende genau das zusätzlich bekommen soll wie jemand, der halbtags gearbeitet hat.
    "Wir müssen aufpassen, unseren Sozialstaat infrage zu stellen"
    Kaess: Weil es nicht zum Leben reichen würde.
    Linnemann: Das ist doch nicht gerecht. Das hat doch nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Wir treffen genau diejenigen, die bedürftig sind, zielgerichtet helfen wir denen. Es kann doch nicht sein, dass wir wieder nicht zielgerichtet vorgehen. Ich meine, wir reden da – ich möchte nicht immer diesen finanziellen Aspekt hervorziehen, weil es geht wirklich hier auch um den Punkt in der Sache. Aber wir reden nicht über fünf Milliarden von Herrn Heil, sondern meines Erachtens, nach meinen Berechnungen, das, was ich gehört habe, über sieben, acht Milliarden, übrigens jedes Jahr. Und das ist nicht zielgerichtet, und damit muss endlich mal Schluss sein. Ich meine, wir müssen auch aufpassen, unseren Sozialstaat hier infrage zu stellen. Übrigens, auch die SPD, die regiert seit 16 Jahren, also die letzten 20 –
    Kaess: Sie haben jetzt kurz die Finanzierung angesprochen, können wir gleich noch drüber sprechen. Aber weil Sie das Beispiel der Teilzeit genannt haben. Das ist ja nur ein Teil. Viel größer ist wahrscheinlich der Teil der Menschen, die auf Niveau des Mindestlohns gearbeitet haben, und warum es dann deshalb nicht reicht. Das Problem gäbe es also gar nicht, wenn vernünftige Löhne gezahlt würden. Aber die Union wehrt sich ja auch gegen einen höheren Mindestlohn.
    Linnemann: Das ist auch ein interessanter Punkt, weil wir ja vor drei, vier Jahren – ich war ja mit von der Partie – haben wir ja im Bundestag genau über diese Frage gesprochen. Und wir haben uns geeinigt auf einen Mindestlohn, und der erste ist staatlich festgelegt worden. Wir haben damals gesagt, die Tarifautonomie, die es in Deutschland gibt, die uns seit Jahren wirklich erfolgreich gemacht hat, an der halten wir fest. Und da gibt es eine Mindestlohnkommission, wo die Gewerkschaften sitzen und die Arbeitgeber. Dann haben wir uns das damals angeschaut und haben gesagt, wir machen das so, ähnlich wie in Großbritannien mit der sogenannten Low Pay Commission. Das haben wir uns angeguckt und haben gesagt, wir machen das deshalb, weil wir einen Überbietungswettbewerb über politische Mindestlöhne in Wahlkampfzeiten nicht wollen. Keine vier Jahre später ist es passiert.
    Finanzierbarkeit ist nicht geklärt
    Kaess: Es geht ja gar nicht um einen Überbietungswettbewerb, sondern darum, festzustellen, welcher Mindestlohn reichen würde, um danach eben auch eine ordentliche Rente zu haben. Denn, wie gesagt, dann hätten wir das Problem, über das wir jetzt gerade sprechen, gar nicht.
    Linnemann: Frau Kaess, dann sind aber auch zwölf Euro zu wenig. Das gehört dann auch zur Wahrheit. Dann müssten Sie mir die Frage stellen, wir müssten 13 oder 14 Euro haben. Wenn Sie zwei oder drei Kinder haben, reichen auch zwölf Euro Mindestlohn nicht aus, um hinterher die Rente zu bekommen. Auch dann bräuchte ich eine Aufstockung. Und deshalb wollen wir unser Konzept durchsetzen. Zwölf Euro Mindestlohn würden bei einer Familie mit vielen Kindern nicht ausreichen.
    Kaess: Jetzt haben Sie kurz die Finanzierbarkeit angesprochen. Warum glauben Sie nicht, dass das Ganze finanzierbar ist, so wie die SPD sich das vorstellt? Denn die beruft sich ja auf Olaf Scholz. Glauben Sie dem Finanzminister nicht mit seinen Einschätzungen?
    Linnemann: Frau Kaess, nur noch mal als Vorabbemerkung, dass wir uns nicht falsch verstehen. Wir lehnen das in der Sache ab, und natürlich kommt die Finanzierbarkeit hinzu. Bei der Finanzierbarkeit habe ich nicht gehört, dass Herr Scholz dieses finanzieren will jedes Jahr mit fünf, sechs, sieben Milliarden. Im Gegenteil. Ich habe Herrn Scholz letzte Woche so wahrgenommen, dass ab jetzt jedes Jahr fünf Milliarden fehlen im Haushalt.
    Kaess: Aber ist das nicht eine Frage von Priorität? Es wird ja jetzt immer oft dieses Beispiel genannt, dass die Union zum Beispiel massive Erhöhungen des Rüstungshaushalts fordert. Da werden Zahlen genannt von 40 Milliarden pro Jahr. Und demgegenüber steht dieser einstellige Milliardenbetrag, den Sie jetzt auch gerade genannt haben für die Grundrente. Also, muss man nicht einfach die Prioritäten anders setzen?
    Linnemann: Da wäre ich jetzt vorsichtig. Es kommen ja jeden Tag neue Prioritäten hinzu. Jetzt haben wir ja die Kohlekommission, wo auf einmal wieder eine neue Priorität kommt mit über 80 Milliarden in den nächsten Jahren. Natürlich müssen wir auch bei der Bundeswehr was tun, auch bei der NATO, dass wir da vorankommen. Das ist alles richtig. Aber deshalb sind wir gewählt. Aber es gibt einen Koalitionsvertrag, da steht genau drin, welche prioritären Projekte wir haben, wie die finanziert werden, und deshalb ist es interessant, dass Herr Scholz nicht explizit und klar und deutlich sagt, ich werde das finanzieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.