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Grundrente
"Wer arbeitet, muss mehr haben, als wenn er nicht arbeitet"

SPD-Politikerin Manuela Schwesig fordert von der Union, von einer strikten Auslegung des Koalitionsvertrages beim Thema Grundrente abzurücken. Sonst würden zu viele Menschen nicht davon profitieren. Das Thema sei wichtig für die Fortsetzung des Regierungsbündnisses, sagte sie im Dlf.

Manuela Schwesig im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern
Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern (dpa/ AA/ Abdulhamid Hosbas )
Ann-Kathrin Büüsker: Die Große Koalition streitet nicht nur über das Vorgehen in Sachen Syrien. Innenpolitisch kracht es vor allem beim Thema Grundrente. Seit Monaten ringen SPD und Union um einen Kompromiss. Das Modell der Grundrente sieht laut Koalitionsvertrag vor, dass Geringverdiener, die 35 Jahre Beiträge zur Rentenversicherung geleistet haben, zehn Prozent mehr Rente bekommen sollen als den Grundsicherungsbedarf. Soweit ist man sich einig. Streitpunkt ist allerdings die sogenannte Bedürftigkeitsprüfung. Die SPD will sie nicht; die Union argumentiert, dass sonst auch Personen mit hohem Vermögen von einer Grundrente profitieren könnten. Darüber streitet man sich jetzt wie gesagt seit Monaten und wollte zumindest vor der Landtagswahl in Thüringen eine Einigung erzielen. Bisher hat das nicht geklappt. Heute ein neuer Anlauf. Eine entsprechende Arbeitsgruppe kommt zusammen, um zu beraten.
Vielleicht eine Chance auf einen Durchbruch? Fragen wir nach bei einer, die mitverhandelt: Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Einen schönen guten Morgen!
Manuela Schwesig: Guten Morgen, Frau Büüsker!
Büüsker: Frau Schwesig, vielleicht nehmen Sie uns mal bitte mit in diese Verhandlungen. Wo hakt es da gerade?
Schwesig: Vielleicht ganz zum Anfang: Um wen geht es eigentlich? Es geht um die Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und trotzdem eine Minirente bekommen. Es ist ja so in unserem Sozialstaat, dass alle im Alter abgesichert werden mit einer Grundsicherung, egal ob sie gearbeitet haben oder nicht. Das sind ungefähr im Durchschnitt in Deutschland 800 Euro. Die bekomme ich als Rentner, auch wenn ich nicht gearbeitet habe.
Wir haben aber viele Menschen in unserem Land, die ganz lange gearbeitet haben, manchmal sogar über 35 Jahre, und unter diesen 800 Euro landen. Da sagen wir, das ist ungerecht. Wer arbeitet, muss mehr haben, als wenn er nicht arbeitet. Das sollte beim Lohn gelten und auch in der Rente. Deshalb brauchen wir diese Grundrente.
Eine Seniorin zieht einen 20 Euro Schein aus ihrem Portemonnaie.
Sozialpolitik: Über die Grundrente wird weiter gestritten
Beim Thema Grundrente sucht die Große Koalition weiter nach der gemeinsamen Linie. Besonders das Thema Bedürftigkeitsprüfung führt zu Kontroversen. Nun soll eine paritätisch besetzte Kommission einen Kompromiss finden.
Der Knackpunkt ist, dass das Modell im Koalitionsvertrag wirklich nur wenig Menschen erreicht, nur 150.000 Menschen, und das Modell des Arbeitsministers, der das ja auch beraten hat mit Experten, mit den Ländern, weit mehr Menschen erreicht, die es auch brauchen.
Ich will den Punkt Bedürftigkeitsprüfung aufrufen. Das klingt immer so, als ob jetzt die Leute das kriegen sollten, die Millionen Vermögen haben. Die praktische Realität ist doch eine andere. 90 Prozent des deutschen Vermögens haben wirklich Superreiche. Wir reden aber hier über die Köche, die sogar auf 40 Arbeitsjahre kommen und trotzdem nur eine Rente von 640 Euro bekommen, über die Friseurin und so weiter. Dass die jetzt Millionen Einkommen haben, ist sehr unwahrscheinlich. Ich würde es ihnen von Herzen gönnen. Was aber wichtig ist, ist, dass in der Sozialhilfe bei diesen Frauen zum Beispiel auch die Rente des Mannes angerechnet werden würde, und wenn der Mann jetzt eine Rente hat, die ein bisschen über 800 Euro liegt, würde sie schon keine Grundrente mehr kriegen. Da sagen wir, das ist ungerecht. Deswegen wollen wir ein anderes Modell.
"Wir müssen einfach mehr Menschen erreichen"
Büüsker: Aber das ist dann doch eher eine Frage davon, was man tatsächlich bei der Bedürftigkeitsprüfung anrechnet. Dann könnte man die Bedürftigkeitsprüfung doch umstricken.
Schwesig: Man könnte zum Beispiel einen anderen Blick auf die Sache richten und sagen: Okay, es ist wichtig, dass die Grundrente die bekommen, die kleine Einkommen haben und wirklich die Grundrente brauchen. Deswegen kann man schon miteinander darüber reden, über welches Modell können wir erreichen, dass es wirklich die Leute sind mit den kleineren Einkommen. Aber die strenge Auslegung, die die Union macht, laut Koalitionsvertrag, würde viele rauswerfen, gerade in Ostdeutschland, und da will ich ganz klar sagen: Wir feiern in diesem Jahr 30 Jahre friedliche Revolution. Es ist die Generation unserer Eltern, die dieses Ostdeutschland wieder aufgebaut haben, zu total niedrigen Löhnen, und dass da so viele in der Grundsicherung und in der Sozialhilfe landen. Deshalb müssen wir einfach mehr Menschen erreichen.
Da ist der Konflikt. Die Union hat ein Modell, wo wir 150.000 Menschen erreichen. Der Arbeitsminister, was wir als SPD unterstützen, hat ein Modell, wo wir schon weit über zwei Millionen kommen und vor allem viele, viele Frauen erreichen.
Büüsker: Jetzt haben Sie noch mal den Grundkonflikt dargelegt, wo die SPD beginnt, wo die Union beginnt. Aber Sie sind ja in den Verhandlungen, wenn ich das richtig verstanden habe, schon ein bisschen weiter und nähern sich an. Wo bewegt sich da gerade die Kompromissidee?
Schwesig: Wir sind heute wieder zusammengekommen, weil wir noch nicht so weit sind. Das muss man ehrlich sagen, weil wir wirklich sehr weit entfernt sind von der Grundauffassung. Die Grundauffassung der Union ist, es muss sich alles im Bereich dieser Grundsicherung, dieser Sozialhilfe für ältere Menschen bewegen, und wir sagen, nein, Grundrente ist etwas, da müssen wir die Leute rausholen aus der Sozialhilfe. Da geht es um die Anerkennung der Lebensleistung. Da gehören auch Leute rein, die vielleicht fünf Euro über dieser Grundsicherung liegen. Die können wir nicht alle wieder raushauen. Das ist genau das, was die Menschen so ungerecht oft in unserem Sozialstaat empfinden, dass die, die arbeiten, sich anstrengen und ein paar Euro mehr haben als die, die nicht arbeiten, dann nicht unterstützt werden. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, auf diese Personengruppe zu schauen in allen Bereichen, weil die sich in unserem Land ein bisschen allein gelassen fühlen nach dem Motto, ich strenge mich jeden Tag an, aber was bleibt am Ende übrig.
Büüsker: Sie machen jetzt diesen Vergleich mit denjenigen, die fünf Euro zu viel haben. Die würden dann nichts mehr bekommen. Das gilt aber anders herum ja auch für diejenigen: Sie haben jetzt 35 Jahre Einzahlen als Grenze festgelegt. Das gilt ja dann letztlich auch für diejenigen, die nur 32 Jahre eingezahlt haben. Irgendwer fällt ja immer raus. Irgendwer fühlt sich immer ungerecht behandelt.
Schwesig: Ja. Aber wissen Sie, das ist, ehrlich gesagt, ein Totschlagsargument. Das Modell von Herrn Heil sieht ja vor, dass man auch einphasen kann, dass man sagt, okay, wer noch nicht die 35 Jahre erreicht, zum Beispiel 34 Jahre, der kann auch schon davon profitieren, aber geringer, weil irgendwo müssen Sie die Maßstäbe, die Eckwerte setzen. Aber auch darüber können wir reden. Wie gesagt, die Sozialdemokratie ist dafür, es wesentlich gerechter auszugestalten, und wichtig ist, dass jetzt aber Union und Sozialdemokratie zusammenkommen bei diesem Thema, dass wir wirklich die erreichen, die es brauchen. Da sind wir sehr offen und ich hoffe, dass die Verhandlungen da vorankommen, denn man muss schon sagen: 2011 unter Kanzlerin Merkel wurde schon versprochen, hier etwas gegen Altersarmut zu tun. Bisher ist nichts passiert und jetzt wird es höchste Zeit. Die Grundrente ist für uns als Sozialdemokraten ein ganz wichtiger Punkt auch bei der Frage der Fortsetzung der Großen Koalition.
Hermann Gröhe (CDU) spricht im Bundestag
Streit um Grundrente - "Milliardenschwerer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag"Der CDU-Politiker Hermann Gröhe besteht im Streit um die Grundrente auf der Bedürftigkeitsprüfung – wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Die SPD möchte auf die Prüfung verzichten.
"Das ist ein Grundprinzip eines Sozialstaates"
Büüsker: Sie sagen jetzt Totschlagsargument. Ich habe die Frage ja auch deshalb gestellt, weil Sie ganz viel mit Gerechtigkeit argumentieren, weil Sie immer argumentieren, es geht darum, die Lebensleistung der Menschen anzuerkennen. Ich stelle mir die Frage, ob das ganze Projekt dadurch nicht vielleicht auch ein bisschen zu stark moralisch und emotional aufgeladen wird.
Schwesig: Nein, überhaupt nicht. Es geht um eine Gerechtigkeitsfrage, die die Menschen bewegt, und ich bekomme ganz oft Post, gerade von Rentnern, die mir genau dieses Schicksal beschreiben: Eine Köchin, über 40 Arbeitsjahre, 640 Euro Rente. Das hat nichts mehr mit Gerechtigkeit zu tun. Ich möchte gerne vor den Leuten bestehen können und sagen können: Wenn Du Dich anstrengst, wenn Du Dein Leben lang arbeitest, dann hast Du am Ende mehr, als wenn Du nicht gearbeitet hättest. Das ist nicht moralisch aufgeladen. Ich finde, das ist ein Grundprinzip eines Sozialstaates, und die Große Koalition muss dieses Grundprinzip jetzt auch umsetzen mit der Grundrente. Ich denke, dass gerade eine Große Koalition, gerade Volksparteien zeigen müssen, dass sie so ein Gerechtigkeitsthema bewegen können.
Büüsker: Sie argumentieren jetzt viel mit Gerechtigkeit. Aber ist es nicht auch eine Frage von Generationengerechtigkeit? Wenn Sie heute immer mehr Rentengeschenke machen – ich weiß, dieses Wort polarisiert, aber ich fasse es jetzt mal so zusammen -, dann muss irgendwer diese Rente ja auch zahlen. Können Sie das gegenfinanzieren? Können Sie sicherstellen, dass die Rentenpunkte für die anderen, die die Rente zahlen müssen, nach 2025 dann nicht durch die Grundrente steigen?
Schwesig: Sie haben völlig recht. Es ist eine Generationengerechtigkeitsfrage. Deshalb bin ich sehr froh, dass der Finanzminister, der ja nicht dafür bekannt ist, dass er mit Geld um sich wirft, gerade hier auch die Finanzierung abgesichert hat. Zum Beispiel soll die Finanztransaktionssteuer zu großen Teilen in dieses Gerechtigkeitsprojekt fließen.
Und dann will ich was sagen zur Generationengerechtigkeit. Es geht ja gerade auch darum, noch mal, wenn ich den Blick auf Ostdeutschland richte: Es ist die Generation unserer Eltern, die für Minilöhne - ich habe es selber bei meinem Vater erlebt - nach der Wende gearbeitet haben und Ostdeutschland wieder aufgebaut haben. Wir können nicht große Festakte machen, große Reden schwingen und dann ausgerechnet diese Generation in Ostdeutschland hängen lassen.
"Wir müssen dieses Problem lösen"
Büüsker: Malu Dreyer hat im Vorfeld der heutigen Verhandlungen gesagt, es geht auch darum zu zeigen, dass wir in der Lage sind, Probleme zu lösen. Gemeint ist die Große Koalition. Nun hat man tatsächlich schon seit Monaten über die Grundrente verhandelt und scheint nicht in der Lage, dieses Problem zu lösen. Macht Weiterverhandeln dann überhaupt Sinn?
Schwesig: Weiterverhandeln macht immer Sinn, denn es geht ja um die Menschen. Wir müssen wirklich dieses Problem lösen. Wie gesagt, die CDU hat schon 2011, als sie noch mit der FDP regiert hat, eine Art Grundrente versprochen, dann immer wieder, immer wieder, und ich glaube, dass die Union in Zugzwang ist. Wir wollen auch was für die Menschen erreichen, so dass man zusammenkommen muss.
Ich sage, gerade eine Große Koalition ist da, um die großen sozialen Fragen zu lösen. Das ist hier eine und da kann sie beweisen, ob sie wirklich auch für die Menschen was liefert. Ich bin in Sorge, weil wir weit auseinander sind, aber ich bin auch zuversichtlich, dass alle das Ziel haben, es auch wirklich lösen zu wollen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.