Dass die Alternative für Deutschland (AfD) in ihrem am Wochenende beschlossenen Grundsatzprogramm Minarette ablehne und dies mit dem Herrschaftsanspruch des Islam begründe, werfe auch die Frage nach den Kirchtürmen der christlichen Gotteshäuser auf. "Müssen wir die aus Rücksicht auf Atheisten bald abschleifen?", fragte Schneiders mit Blick auf die Tatsache, dass ein Drittel der Deutschen inzwischen keiner Konfession angehören. "Was kommt als Nächstes, wenn wir der Logik der AfD folgen?"
Die Aussage, der Islam habe in Deutschland nie eine kulturelle Rolle gespielt, sei eine Frage der Perspektive, so Schneiders: "Wann lassen wir unsere Geschichte beginnen?" Wenn wir in die neuere Geschichte blickten, habe er tatsächlich keine Spuren hinterlassen - sehr wohl aber zuvor.
Die Frage, ob die AfD eine islamkritische oder -feindliche Partei ist, könne man eindeutig mit islamfeindlich beantworten. Einzelne Gruppierungen innerhalb des Islam könne man kritisieren. Doch übernehme die Partei pauschalisierende Aussagen über eine Religion, die sehr vielfältig sei.
Das komplette Interview zum Nachhören:
Dirk-Oliver Heckmann: Ist die AfD islamkritisch oder ist sie islamfeindlich? Über diese Frage will ich jetzt sprechen mit dem Kollegen Thorsten Gerald Schneiders, Islam- und Politikwissenschaftler und Redakteur hier in der Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks. Herr Schneiders, der Islam gehört nicht zu Deutschland. Das ist ja eine der Kernaussagen des Programms. Die AfD, die reagiert damit ja praktisch auf die Aussage von Altbundespräsident Wulff. Der hat ja damals gesagt, der Islam gehört zu Deutschland. Bundespräsident Gauck, der wollte sich diesen Satz nicht zu eigen machen. Der Islam gehört nicht zu Deutschland, ist das eine Aussage, die man treffen können muss in Deutschland? Es gibt ja hier Meinungsfreiheit.
Thorsten Gerald Schneiders: Ja, selbstverständlich gibt es Meinungsfreiheit und man kann auch diese Aussage treffen. Die Frage ist nur, inwiefern es sinnvoll ist, eine solche Aussage zu treffen. Denn für mich ist dieser Satz in erster Linie ziemlich absurd, möchte ich sagen. Denn woran möchte man das denn fachlich festmachen, beziehungsweise welchen Maßstab möchte man denn anlegen, ob eine Religion, ob Menschen, die zu einer Religion gehören, nun Teil einer Gesellschaft sind. Und wer kann das bestimmen und wer nicht. Ich denke, dass es damals durch den Bundespräsidenten Wulff ... Das muss man ja übrigens auch wissen, dass gerade Wulff auch in diesen Kreisen der AfD-Anhänger unheimlich verhasst ist aufgrund dieses Satzes. Dass man eine Aussage von Herrn Wulff, die eigentlich dazu gedacht gewesen ist, dieses Land zusammenzuführen, jetzt dazu benutzt wird, das Land zu spalten und das in ein Parteiprogramm zu schreiben, das finde ich schon beachtlich. Ansonsten wie gesagt bleibt die Aussage, dass ich diesen Satz und auch die Diskussion darüber für ziemlich überflüssig halte.
Heckmann: Die AfD sagt ja, wir differenzieren durchaus zwischen dem Islam und den Moslems. Sie sagen, die Moslems dürfen natürlich ihren Glauben ausüben im Rahmen der Menschenrechte und der Gesetze und auch der hier herrschenden Werte. Aber der Islam selbst, der gehört eben nicht zu Deutschland.
Schneiders: Diese Trennung ist ein Konstrukt, muss man ganz klar sagen, denn diese Trennung lässt sich ja inhaltlich kaum begründen. Wie wollen Sie denn die Kritik an dem Islam aufhängen, wenn Sie sich nicht an den Verhaltensweisen der Mitglieder dieser Religionsgemeinschaft orientieren? Dazu muss man natürlich wissen: Der Satz wird häufig zitiert und wird auch häufig vor sich hergetragen, im gewissen Sinne wie eine Monstranz, dass es den Islam nicht gibt. Nur dadurch, dass es immer wieder gesagt wird oder betont wird, bedeutet dies nicht, dass es falsch ist. Es ist in der Tat so, dass es keinerlei Institutionen, keinerlei Menschen, keinerlei Personen gibt, die in der Lage wären, universell, allgemein gültig eine Aussage zu treffen, was der Islam ist. Wir reden hier über eine Religion, über eine Kulturgeschichte, die 1400 Jahre währte, die nach wie vor von 1,5 Milliarden Menschen auf dieser Welt verfolgt wird. Wie soll es da möglich sein, eine allgemeine Aussage zu treffen. Sie können sich allenfalls an einzelnen Gruppierungen orientieren an einzelnen Stellen.
Heckmann: Aber das gilt natürlich genauso gut für die Aussage von Christian Wulff, der gesagt hat, der Islam gehört zu Deutschland. Das hat man ihm nicht vorgeworfen.
Schneiders: Selbstverständlich gehört das auch dazu. Der Satz ist auch genauso infrage zu stellen wie die Aussage, der Islam gehört nicht zu Deutschland. Ich sagte ja eingangs, dass ich überhaupt diese Debatte im Grundsatz für unsinnig halte.
Heckmann: Jetzt ist die Debatte aber da. Die AfD sagt, wir lehnen Minarette und auch den Muezzin-Ruf ab als Ausdrucksform des islamischen Herrschaftsanspruchs. Ist es nicht so, dass Minarette einen solchen Herrschaftsanspruch tatsächlich ausdrücken?
Schneiders: Wer legt das fest? Die AfD? Bestimmt die AfD für die Religionsgemeinschaft, was nun Herrschaftsanspruch ist und was nicht? Und wie sieht es mit Kirchtürmen aus? Sind das auch Herrschaftsansprüche? Was sagen dann Atheisten dazu? Müssen wir demnächst Kirchtürme schleifen?
Heckmann: Wir sind ja ein christlich geprägtes Land, sagt die AfD.
Schneiders: Wir sind ein christlich geprägtes Land. Aber wir wissen auch, wenn wir uns die Aufteilung der Religionsgemeinschaften in Deutschland angucken, dass ein Drittel atheistisch beziehungsweise konfessionslos ist und dass natürlich die Mitglieder der Kirchen, die Zahl der Mitglieder der Kirchen zurückgeht. Also ist das vielleicht auch eine Frage, die irgendwann mal auf uns zukommt. Was wir uns als Gesellschaft fragen müssen ist: Wenn wir diese Hemmschwellen hier schleifen, wenn wir diese Hemmschwellen nach und nach einreißen, erst geht es gegen den Islam, was ist die Folge, was kommt als Nächstes, was wird der nächste Schritt sein? Diese Fragen muss man sich stellen. Was muss als Nächstes kommen, wenn man der Logik der AfD beispielsweise folgt.
Heckmann: Und das fragt sich auch der Zentralrat der Juden, auch mit Blick auf das Schächtverbot, das ja gestern gefordert wurde. Alexander Gauland hat gesagt, der Islam, der hat hier keine Spuren hinterlassen. Das wiederholte er immer wieder, diese Aussage. Ist da irgendwas dran? Kann man das so sagen?
Schneiders: Kurz noch mal vorweggeschoben die Aussage von Herrn Gauland zum Judentum. Da haben wir dasselbe. Herr Gauland legt für das Judentum fest, was dazugehört und was nicht dazugehört. Er sagte ja im Interview, dass das Schächten nicht zum Judentum gehört und deswegen das auch kein Angriff gegen die Religion ist.
Heckmann: Gerade eben im Deutschlandfunk verkündet.
Schneiders: Das nur mal vorweggeschoben. Zu der Aussage, dass der Islam aktuell keinen kulturellen Beitrag zu Deutschland an sich geleistet hat, das ist natürlich aus seiner Perspektive und auch grundsätzlich so durchaus nicht verkehrt. Denn wir müssen uns fragen, ab wann lassen wir unsere kulturelle Geschichte beginnen in Deutschland. Lassen wir sie nach dem Zweiten Weltkrieg beginnen? Lassen wir sie mit dem Jahr 1840 beginnen? Wo fangen wir an? Wenn wir die jüngere, neueste Geschichte uns anschauen, dann hat der Islam selbstverständlich im Ganzen keine Spuren hier hinterlassen. Aber die Frage, die natürlich im Raum steht, ist: Wieviel Einfluss hat der Islam durch seine langjährige Herrschaft in Teilen Europas, durch seinen Einfluss auf Philosophie und Politikgeschichte hinterlassen, die dann wiederum auch nach Deutschland gekommen ist? Auch hier ist das meines Erachtens eine ziemlich künstliche Frage, ob der Islam nun einen Teil oder einen kulturellen Beitrag zu Deutschland geleistet hat oder nicht.
Heckmann: Schlussfrage: Islamkritisch oder islamfeindlich, wie würden Sie die AfD mit Stichtag heute einordnen?
Schneiders: Da müssen wir nicht um den heißen Brei herumreden. Die AfD ist mit ihrem Grundsatzprogramm ganz eindeutig islamfeindlich. Die AfD übernimmt pauschalisierende Äußerungen über eine Religionsgemeinschaft, über eine Religion. Und das ist eines der Hauptkriterien dafür, dass eine sachliche Kritik hier nicht möglich ist. Ich sagte ja vorhin, der Islam ist sehr breit gefächert. Man kann einzelne Teile kritisieren, man kann einzelne Bestandteile kritisieren. Kritik hat im besten Sinne ja auch das Ziel, zu einer Verbesserung zu führen, zu einer Weiterentwicklung zu führen. Was die AfD aber gestern auf dem Parteitag auch klipp und klar gesagt hat, dass sie das gar nicht möchte, dass sich der Islam weiter reformiert. Zumindest haben das einzelne Redner gesagt. Vor diesem Hintergrund ist es klar, dass hier keine sachliche Kritik geübt wird.
Heckmann: Der Islam- und Politikwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders war das, ebenfalls Redakteur der Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion. Schönen Dank für diese Einordnung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.