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Gruppenbild mit Dame

Die Frauen in den Büchern von Gustav Sobin haben einiges gemeinsam. Die Äußerlichkeiten: Sie sind blond. Sei es, natürlich, Greta Garbo in Sobins neuestem Roman "Auf der Suche nach einem verlöschenden Stern". Oder Solange Daubigny, die von ihrem Liebhaber lieber Frédrique genannt werden will, im ersten Roman des Autors mit dem Titel "Das Taubenhaus". Mittlerweile zwölf Jahre alt, und kürzlich, fast zeitgleich mit dem neusten Buch, in deutscher Übersetzung im Berlin Verlag erschienen.

Von Uwe Springfeld |
    Auch in ihren inneren Konflikten sind die Frauen durchaus vergleichbar. Die Garbo wie Solange Daubigny suchen ihre persönliche Identität. Der Filmstar, als Idol für Millionen Kinozuschauer: Sie muss ein Mensch ohne Charakter, ohne Eigenschaften werden - ein blanker Spiegel für alle Projektionen des Publikums. Solange Daubigny hingegen, verheiratet mit einem wohlhabenden Bauunternehmer, sucht in ihren Seitensprüngen nach ihrem Ich, ihrem Wesen, ihrem Selbst. Während in Sobins neustem Buch Greta Garbo ihr Ziel erreicht, indem sie lernt, alle menschlichen Regungen nach und nach abzustreifen, bleibt Solange Daubigny im ersten Werk des Autors diejenige, die sie schon immer war. Eine zickige Frau, die sich nur dank des Wohlstandes ihres Mannes ihre Marotten leisten kann.

    Gustaf Sobin ist ein Chronist des Niedergangs, mit Blick für soziale, menschliche Beziehungen: Er hat den Frauen Männer an die Seite gestellt. Und daraus ein Konstruktionsprinzip für seine Romane abgeleitet, das sich schon im englischen Originaltitel des Erstlingswerks "das Taubenhaus" findet: Dark Mirrors, dunkle Spiegel.

    Beim Schreiben versuche ich eine Struktur zu entwickeln, wo sich alles in allem reflektiert und man in das Buch eintritt wie in ein Spiegelkabinett. Ein perfektes Buch ist für mich wie ein Labyrinth, in das man hineinkommt, und nie wieder raus will.

    Da ist der schwedische Stummfilm-Regisseur Mauritz Stiller, der 1924 ein von ihm entdecktes Ladenmädchen zu Dreharbeiten nach Istanbul engagiert, im geplanten Film "Die Odaliske von Smolny" die Rolle der Gräfin Marja Ivanovna zu übernehmen. Das Projekt selbst wird nie realisiert. Aber Stiller lehrt das Ladenmädchen, ein Star zu sein: Greta Garbo, die Göttliche. Daher ist dieses Buch im Gegensatz zur Verlagsankündigung kein Roman über Greta Garbo.

    Man sagt, es sei ein Buch über die Garbo. Ist es aber nicht. Es ist ein Buch über Ideologien. Und über die Ideale der Entscheidung, die Ideale, die uns zu einem Bild treiben, das man nicht mehr beobachten kann.

    Der Protagonist in Sobins Garbo-Roman ist ein Berufskollege des Autors: Philip Nilson, ein Drehbuchautor, spezialisiert auf Boigraphien und an Knochenkrebs leidend. Dieser Philip Nilson versucht, sich schreibend dem Geheimnis der Garbo zu nähern. Und als er zu Papier gebracht hat, wie sich die Göttliche von ihrem Ich als vormaliges Ladenmädchen verabschiedet, schließt der Erzähler auch den letzten Frieden mit sich selbst.

    Als ich das Buch beendete, suchte ich ein schwedisches Wort und ging deshalb zu einem freund in der Nähe. Er fragte, warum ich das Wort suchte und ich antwortete, weil ich über Greta Garbo schreibe. Und er fragte mich, ob ich Betty kennen würde. – Betty? wer? – Und er sagte: Betty wäre Gretas letzte Geliebte. Ich sagte: Nein, woher sollte ich Betty kennen? Und er: Weil sie hier direkt nebenan wohnt. Ich traf mich also Betty und sie war begeistert vom Manuskript. Sie sagte, das sei die beste Beschreibung von G. – Sie nannte sie G.

    Auch in Sobins älteren Roman "Das Taubenhaus" ist der Protagonist ein Schriftsteller. Guy Fellows. Ausgebrannt, alkoholabhängig, depressiv und der Liebhaber von Solange Daubigny. Für seine Geliebte denkt er sich einen neuen Namen aus, Frederique, der ihr zu einem neuen Selbst-Bewusstsein verhelfen soll. Gleichzeitig, so hofft Guy Fellows jedoch vergeblich, würde ihm die Namensgebung einen Rückweg in die Sprache, ins Schreiben und Benennen eröffnen. Doch die Geschichte vom Wiederaufbau eines Taubenhaus, das einstmals der Mutter seiner Geliebten befand und die den einzigen Arbeiter, den Steinmetz Guido Stampelli, mit Sex bezahlte, wird er nicht vollenden.

    Beide Romane sind durchweg realistisch gehalten. Sie zeigen nichts surrealistisches mehr wie in Sobins früheren, lyrischen Texten. Die Begebenheiten, die der Autor schildert, haben sich in groben Zügen entsprechend zugetragen. Selbst die fiktionale Geschichte rund um das Taubenhaus, wie der Autor nach Fertigstellung des Manuskriptes zufällig erfuhr.

    Kennst du die Geschichte von Monieur Mille aus Lumière? Ein Kollaborateur., der erst Asyl in der Kirche suchte und dann für einige Jahre nach Afrika verschwand. – Oder der große Turm Saint Philippe im Luberon? Die selbe Geschichte. Eine Großbürgerin, verarmt, die den Steinmetz mit ihrem Körper bezahlte.

    Ebenso realistisch, und nebenbei gesagt, frei von allem Kitsch à la Peter Mayle, ist das Bild vom südlichen Luberon, seit 35 Jahren die Wahl-Heimat des US-amerikanischen Autoren Sobin. In den Fünfziger du Sechziger Jahren von Schriftstellern und bildenden Künstlern entdeckt, errichteten hier in den Siebziger vornehmlich Bankiers, Politiker und Industrielle ihre Ruhesitze.

    Heute ist die Gegend von Bungalows zersiedelt und im alltäglichen Unterhalt viel zu teuer, als dass man durch Kunst in dieser Gegend noch ein Auskommen findet. Nur in den touristischen Dörfern wie Bonniex, Lacoste und Gloult wird weiterhin der Schein aktiver Kreativität aufrecht erhalten. Tatsächlich haben jedoch viele Künstler, wie zum Beispiel der Maler und Schriftsteller John Berger, die Region verlassen, oder zeigen sich, wie die Bildhauerin Romaine Blomberg, kaum noch in der Öffentlichkeit. Der langgezogene Garten von Gustav Sobin, der Haus und die zur Schriftstellerstube umgebaute Schäferhütte verbindet, liegt inmitten hunderter Hektar eines Großgrundbesitzers: Was dem Autor zumindest den Blick über die weitgeschwungene Landschaft mit Wein, Wald und Obstplantagen frei hält.

    Zu den ganz großen angelsächsischen Erzählern wie Salman Rushdie und Thomas Pynchon gehört Gustav Sobin sicher nicht. Dafür fallen seine Bücher mit etwa 150 und 180 Seiten zu dünn aus, als dass der Autor darin einen genialen lebens- oder Gesellschaftsentwurf hätte unterbringen können. Hinzu kommt, dass der Erzählfluss, vermutlich aufgrund der vielfachen Bearbeitungen des Textes in der Entstehungsphase, an manchen Stellen etwas holpert. Und die gewählte Komposition, in der sich die Menschen jeweils paarweise ineinander spiegeln, erinnert an die Dramaturgie gängiger Kinofilme.

    Doch Sobins Bücher mit solch formalem Blick zu lesen, hieße, auf das wichtigste Anliegen seiner schriftstellerischen Arbeit zu verzichten. Dass wie in so vielen anderen zeitgenössischen Romanen auch die Protagonisten aus dem Medienbetrieb kommen, ist keine Nabelschau, sondern inhaltliches Anliegen.

    Es geht ganz stark darum, dass man Dinge nicht mehr benennen und ihnen Namen geben kann, dass man sie erkennt und sich erinnert. Namen und Strukturen ändern sich, wie die ganze Welt heute. Das ist Teil der Struktur einer bankrotten Welt, einer spirituell bankrotten Welt.

    Sobins Protagonisten nehmen das auf sich, worunter deutschsprachige Autoren, wie zum Beispiel Wolfgang Hildesheimer, bis in die Achtziger Jahre hinein litten. In seinem Buch "Mitteilungen an Max" ging Hildesheimer zugegebener Maßen ironisch der Frage nach, was Sprache noch benennen, was sie noch leisten kann. Und kam zum Schluss, dass Sprache mehr verschleiert als offen legt. Seine logische Konsequenz: Nachdem er seine Mitteilungen an Max veröffentlicht hatte, hörte er auf zu schreiben.

    Anders bei Gustav Sobin. Sein letzter Protagonist, der Drehbuchautor Philip Nilson, hat benennende, aufdeckende und erklärende Bilder für Greta Garbos Biographie gefunden, die er sprachlich fassen konnte. Die ältere Figur Guy Fellows hingegen scheitert noch, sich der Geschichte von der Mutter seiner Geliebten und ihrem Steinmetz Guido Stampelli aufzuschreiben.

    Im Namen Guido findet man das Wort Gott. Gott erschafft das Universum, aber die Menschen benennen es. Die Beziehung zwischen Guido und Guy erinnert mich an Gott und Adam, außer: Guy kann nicht benennen. Er schafft es nicht, die Geschichte des Taubenhauses so zu erzählen, wie es Guido aufgebaut hat.

    Gustaf Sobin verwendet eine bild- und symbolhaften Sprache in seinen Romanen. Durch stimmungsvoll-lyrische Detailbeschreibungen wird der Leser auf Wellen vollkommen verschiedener Stimmungen getragen. Angst und Langeweile, Erotik und Depression, Einsamkeit und den Versuchen, halbwegs als Mensch zu bestehen. Was für Sobin bedeutet: Als sprachbegabtes Tier.
    Warum ich ein Buch wie dieses schreibe? Weil man immer die Bücher schreibt, die man gerne liest. Und mein Kriterium, einen Roman zu schreiben ist: Auch etwas zu schreiben, das ich gerne lesen würde.

    In Deutschland bekannt wurde Gustaf Sobin vor zwei Jahren mit seinem Buch "Der Trüffelsucher". Heute ist Deutschland der einzige Fleck auf de Welt, wo alle vier Sobin-Romane erhältlich sind. Mit Grund.

    Der Grund ist: Bis zum "Trüffelsucher" gab es keinen deutschen Markt. Dann kam ganz unerwartet dieser Erfolg. 40.000 verkaufte Exemplare. Das ist enorm für einen Roman. Dann sagte Conradi, der Verlagsleiter: Übersetzt doch alles von Sobin.

    Dieser Erfolg hat sich bis in die Filmindustrie herumgesprochen. Gerüchteweise liegt ein Exemplar des Garbo-Romans zur Zeit bei einem namhaften Produzenten in New York. Man darf gespannt sein, wie sich Sobins Anliegen einer benennenden Sprache im amerikanischen Film machen wird.

    Gustaf Sobin
    Das Taubenhaus
    BTV, 204 S., EUR 8,90

    ders.:
    Auf der Suche nach einem verlöschenden Stern
    BTV, 142 S., EUR 16,-