"Talks at Goldman Sachs" – so lautet die Vortragsreihe, zu der der Londoner Ableger der US-Bank Theresa May am 26. Mai als Rednerin eingeladen hatte, vier Wochen vor dem Referendum. May war damals Innenministerin im Kabinett von David Cameron – und für einen Verbleib in der EU. Allerdings trat sie öffentlich kaum in Erscheinung – und so klar und deutlich für die EU wie an diesem Abend schon gar nicht.
"Die ökonomischen Argumente sind doch klar. Es ist für uns entscheidend, Mitglied in einem Handelsbund zu sein mit 500 Millionen Einwohnern. Das ist einer der Gründe, warum eine Menge Leute hier im Vereinigten Königreich investieren."
Lobpreisung des EU Binnenmarkts
Die Audioqualität ist bescheiden, vielleicht hat jemand damals mit seinem iPhone die Rede heimlich mitgeschnitten und jetzt dem Guardian zugespielt. Theresa Mays Lobpreisung des EU-Binnenmarkts hörten damals jedenfalls nur die Gäste von Goldman Sachs, nicht die Öffentlichkeit. Die Bank bestätigt heute, dass Theresa May Gastrednerin war. Geld habe sie nicht dafür erhalten. May sagte das, was die Banker hören wollten.
"Wenn wir nicht in Europa wären, dann gäbe es Unternehmen, die sagen, wir müssen einen Standort auf dem EU-festland haben, das ist wichtiger als hier in gro0ßbritannien. Es gibt in der EU entscheidende wirtschaftliche Vorteile für uns. Und das gilt auch für den Bereich der Sicherheit."
Gefundenes Fressen für die Opposition
Die Worte Mays sind in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Formal unterstützte sie vor dem Referendum David Cameron zwar darin, dass Großbritannien in der EU bleibt. Faktisch weigerte sie sich, am Wahlkampf teilzunehmen. Cameron hätte sich eine solche Rede Mays nur allzu sehr gewünscht. Zweitens klingt das heute bei Theresa May alles völlig anders.
"Lasst uns die Pessimisten ignorieren. Wir werden selbstbewusst Handelsverträge sichern, um Wohlstand und Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wollen den Brexit zum Erfolg werden lassen für ein globales Großbritannien."
Kehrtwende auch beim Flughafenausbau Heathrow
Für die Opposition ist das heute ein gefundenes Fressen. Tim Farron, der Chef der Liberaldemokraten, warf May vor, ihr habe damals der politische Mut gefehlt, die Briten und nicht nur privat einen "Haufen von Bankern" vor den ökonomischen Folgen des Brexit zu warnen. Labour-Politiker forderten May auf, sich gemäß ihrer Rede von damals jetzt für den Verbleib im EU-Binnenmarkt einzusetzen.
Gerade heute Morgen erst berichten die britischen Zeitungen von Mays gestriger Kehrtwende beim Flughafenausbau Heathrow. Auch da gibt es alte Reden von ihr, die sie allerdings öffentlich hielt, in denen sie vehement gegen eine neue Startbahn warb. Die Frage bei Brexit und Flughafen Heathrow lautet jetzt mehr denn je: was will Theresa May eigentlich wirklich?