Die Gülen-Bewegung, die sich selbst auch Hizmet nennt, sei ein Netzwerk von Menschen, das sich pazifistisch im Bereich Bildung engagiere, so Karakoyun. Gewalt sei mit ihren Werten nicht vereinbar. Deswegen habe Fethullah Gülen selbst und auch Karakoyuns Stiftung den Putschversuch noch an demselben Tag verurteilt.
Fethullah Gülen setze sich bereits seit 30 Jahren für Minderheiten, interreligiösen Dialog, Religionsfreiheit und Demokratie ein, sagte Karakoyun. Er vertrete die Meinung, dass Staat und Religion voneinander getrennt werden sollten.
"Lehnen Personenkult strikt ab"
Karakoyun wehrte sich gegen die Anschuldigung, seine Stiftung und andere Gülen-nahe Organisationen würden nicht offenlegen, dass sie der Bewegung nahe stünden. Sie wollten den Namen Gülens nicht in den Namen der Organisation aufnehmen, weil sie Personenkult strikt ablehnten: "Es geht um Bildung und nicht darum, Gülens Gedankengut zu verbreiten." Auf ihren Internetseiten sei aber klar einsehbar, dass sie mit Gülen verbunden seien.
Das Interview in voller Länge:
Thielko Grieß: Für den türkischen Präsidenten Erdogan ist die Suche schon beendet. Die Urheber des Putsches sind in den Reihen der Gülen-Bewegung zu finden.
O-Ton Recep Tayyip Erdogan: "Diese Terrororganisation ist nicht länger ein Bauer irgendeines Landes. Helft ihnen erst gar nicht, gebt euch keine Mühe mit ihnen. Wir werden sie mit Stumpf und Stiel ausreißen."
Grieß: Erdogan vor wenigen Tagen. - Gemeint ist der frühere Imam Gülen, der heute im amerikanischen Exil lebt, der frühere Freund auch Erdogans und der Kopf einer weltweiten Bewegung eines Netzwerks. Dieses Netzwerk nennt den Islam seine religiöse Grundlage und die Interpretation und Handlungsanleitung stammt von ihm selber, von Gülen.
Gülens Anhänger in der Türkei werden zurzeit verfolgt, verhaftet, aus dem Staatsdienst entlassen. Die Bewegung ist weltweit in etwa 140 Ländern aktiv, darunter auch Deutschland, in einer Vielzahl von Vereinen, Stiftungen, Schulen, Bildungseinrichtungen, getreu dem Leitsatz des Gründers Gülen: "Baut Schulen statt Moscheen." Zahlen sind nicht leicht zu nennen, weil die Struktur von außen einigermaßen unübersichtlich ist. Als Sprecher der Gülen-Bewegung fungiert Ercan Karakoyun und der ist am Telefon. Guten Morgen, Herr Karakoyun!
Ercan Karakoyun: Guten Morgen, Herr Grieß.
Grieß: Sie sind ganz formal Vorsitzender der Stiftung Dialog und Bildung, eine Stiftung, die als Vertretung der Gülen-Bewegung in Deutschland fungiert. Ist Erdogan übergeschnappt?
Karakoyun: Ich denke schon. Das bestätigt seine Sprache. Direkt nach dem Putsch, wenige Minuten danach wusste er, wer schuldig ist. Er hat nach einem Sündenbock gesucht, den hat er gefunden, und unter diesem Vorwand versucht er jetzt, alle Andersdenkenden in der Türkei mundtot zu machen, sie einzusperren, sie auszuschalten, und entlässt sie auch aus dem Staatsdienst.
"Hizmet ist eine pazifistische Bildungsbewegung"
Grieß: Sind Sie denn sicher, dass der Putsch von den Ihnen befreundeten Gülen-Mitgliedern in der Türkei nicht befördert worden ist?
Karakoyun: Hizmet ist eine pazifistische Bildungsbewegung.
Grieß: Hizmet muss ich kurz erklären. Hizmet, so nennen Sie sich auch. Es gibt verschiedene Begriffe. Gülen-Bewegung, sage ich jetzt, Sie sagen Hizmet, heißt Dienstleistung auch im religiösen Sinn. Das wollte ich nur kurz erklären. - Bitte jetzt die Antwort.
Karakoyun: Hizmet, die sogenannte Gülen-Bewegung ist ein Netzwerk von Menschen, das sich pazifistisch im Bereich Bildung engagiert. Wir sind eine pazifistische Bewegung und lehnen jegliche Form der Gewalt strikt ab. Und deshalb ist so etwas mit unseren Werten absolut nicht vereinbar. Auch Fethullah Gülen hat den Putsch direkt an dem gleichen Abend noch aufs Allerschärfste verurteilt und auch wir in Deutschland haben ihn aufs Allerschärfste verurteilt. Diese Vorwürfe sind daher absolut absurd.
Grieß: Handelt es sich denn nicht um einen Machtkampf dieser früher befreundeten Politiker Erdogan und Gülen?
Karakoyun: Nein! Es ist ein Machtkampf Erdogan gegen alle Andersdenkenden in der Türkei. Erdogan geht nicht nur gegen Gülen-Anhänger vor, sondern er geht gegen alle vor, die in der Türkei frei denken und die demokratisch gesinnt sind. Man muss sich mal vorstellen: Er hat jetzt in den letzten Tagen 60.000 Staatsbeamte aus dem Dienst entlassen. Journalisten werden seit Jahren eingesperrt. Die freie Presse existiert nicht mehr. Mit Wasserwerfern und Polizisten werden Medienhäuser gestürmt. Das ist kein Kampf Erdogan gegen Gülen; das ist ein Kampf Erdogan gegen alle frei Denkenden und gegen alle Demokraten in der Türkei.
Grieß: Herr Karakoyun, können Sie noch in die Türkei reisen?
"Ich bekomme von Erdogan-Anhängern Morddrohungen"
Karakoyun: Ich habe seit letztem Jahr bereits ein Einreiseverbot, das mir mitgeteilt wurde. Ich kann nicht in die Türkei einreisen.
Grieß: Werden Sie zurzeit bedroht?
Karakoyun: Ja, ich bekomme von Erdogan-Anhängern Morddrohungen. Das zeigt auch, dass Erdogans Sprache, die er benutzt, wirkt. Erdogan benutzt eine martialische Sprache, wir werden sie ausrotten, wir werden sie verfolgen und wir werden in ihre Höhlen steigen und genau diese gleiche Sprache verbreiten Erdogans Anhänger auch hier. Erdogan-nahe Einrichtungen wie die UETD verbreiten diese Sprache auch hier weiter.
Grieß: Was ist das die UETD?
Karakoyun: Die UETD, das ist der Erdogan-nahe AKP-Ableger in Deutschland. Der ist sehr großflächig organisiert, hat viele Mitglieder und ist in Deutschland auch gemeinnützig anerkannt, was uns natürlich schockiert.
Grieß: Und die Morddrohungen kommen von denen?
Karakoyun: Die verbreiten zum Beispiel Mails, in denen gesagt wird, meldet jeden Gülen-Anhänger den türkischen Behörden, verfolgt sie. Wir bekommen Beleidigungen, Beschimpfungen. Das geht so weit, dass es auch teilweise zu Morddrohungen kommt.
Grieß: Wie reagieren Sie auf diese Morddrohungen?
Karakoyun: Wir gehen zur Polizei. Wie gesagt, wir sind eine pazifistische Bildungsbewegung. Wir lehnen jegliche Form von Gewalt ab. Der Weg, den wir wählen, ist, Provokation zu meiden. Wir meiden Bereiche, in denen AKP-Anhänger sehr verbreitet sind, und melden jeden Vorfall uneingeschränkt der Polizei.
Grieß: Die Gülen-Bewegung schildern Sie als eine pazifistische Bildungsbewegung. Viele sagen, das ist auch eine politische Bewegung, es gibt auch einen politischen Anspruch, nämlich Gesellschaften zu verändern auf Grundlage eines Programms des Gründers, Herrn Gülens, nachzulesen alles im Internet. Oder?
Karakoyun: Fethullah Gülen ist ein muslimischer Prediger, der sich seit mindestens 20, 30 Jahren für den interreligiösen Dialog und für Demokratie engagiert. Seinen ersten Beitrag zur Demokratie hatte er bereits 1992 geschrieben, wo er ganz klar sagt, die Demokratie ist das beste System, das wir haben, es gibt kein Zurück von der Demokratie. Genauso setzt er sich in der Türkei für Religionsfreiheit ein. Er hat sich in den 90er-Jahren mit dem armenischen Patriarchen für die Rechte der armenischen Minderheit in der Türkei eingesetzt. Er hat sich mit den griechisch-orthodoxen Patriarchen getroffen und hat sich auch für ihre Rechte eingesetzt. Wir sehen bei Gülen seit 30 Jahren einen Einsatz für Minderheiten in der Türkei. Er steht für einen Islam, der ganz klar mit demokratischen Werten vereinbar ist.
"Gülen ist gegen einen politischen Islam"
Grieß: Aber er steht auch für den Islam als Grundlage der Gesellschaft. Nach dieser Grundlage habe sich auch der Staatsaufbau zu richten. Auch das ist nachzulesen. Das ist keine laizistische Bewegung?
Karakoyun: Gülen vertritt ganz klar die Meinung, dass Religion und Staat voneinander zu trennen sind. Er ist gegen einen politischen Islam. Erst jüngst in einem Interview hat er ganz klar gesagt, dass der Missbrauch der Religion durch die Politik dazu führt, dass die Religion zu einer politischen Ideologie verkommt. Das heißt, er ist ganz klar für die Trennung von Staat und Religion, und auch wir in der Bewegung verbreiten Interviews, Material, in dem das publiziert wird.
Grieß: Es sind auch etwa Sätze wie dieser nachzulesen: "Koran und Hadith sind wahr und absolut. Wissenschaft und wissenschaftliche Fakten sind wahr, solange sie mit Koran und Hadith", den Lehren des Islam, "übereinstimmen." Noch einmal: Das ist doch keine reine Bildungsorganisation?
Karakoyun: Das ist es doch. Hier geht es nicht, in diesem Zitat geht es nicht um Politik, sondern es geht um beispielsweise Engel, Jenseits, Satan, die Seele.
Grieß: Und um Wissenschaft.
Karakoyun: Genau. Ich meine, zum Beispiel die Wissenschaft kann die Existenz von Engeln nicht beweisen, und genau in solchen Fragen gilt dann der Koran als Grundlage. Das werden Sie auch im Judentum, im Christentum und auch in allen anderen Religionen finden, dass da gesagt wird, wo die Grenzen der Wissenschaft sind, fängt der Glaube an. Das ist ja gerade die Grundlage von Glaube, dass man sagt, das was man nicht beweisen kann, wissenschaftlich, ist dann auch Glaube. Das heißt, das ist im Prinzip ein ganz normaler Satz für einen religiösen Menschen.
"Die Finanzen sind absolut offen"
Grieß: Von außen, Herr Karakoyun, ist die Gülen-Bewegung für viele Menschen recht obskur, nicht klar einzusehen. Warum legen Sie zum Beispiel die Finanzen nicht offen?
Karakoyun: Die Finanzen sind absolut offen. Jeder Verein, der in Deutschland über die Jahre entstanden ist, legt den Behörden sämtliche Spender vor. In Deutschland ist man nicht dazu gezwungen, alle Spender auf der Homepage zu veröffentlichen, sondern man ist dazu gezwungen, sie den Behörden vorzulegen, und genau das passiert. Jeder Verein ist gemeinnützig und ist alle drei Jahre einer Gemeinnützigkeitsuntersuchung unterzogen in den jeweiligen Finanzämtern.
Grieß: Aber zugleich gibt es Fragen, etwa was Spender angeht, die aus anderen Ländern kommen, zum Beispiel die Vereinigten Staaten. Auch da gibt es viele, die sagen, da bräuchte es mehr Transparenz.
Karakoyun: Was wir brauchen, ist mehr Öffentlichkeitsarbeit, denn Hizmet ist ein sehr komplexes Netzwerk. Wir haben so oder so genug Probleme damit, den Islam zu verstehen, die Türkei zu verstehen, und all diese Komplexitäten wälzen sich auch auf die Hizmet-Bewegung ab. Was eindeutig ist, ist, dass die Bewegung getragen wird von einer Mittelschicht, die Ingenieure sind, Ärzte sind, die kleine Unternehmen haben, aber auch große Unternehmen haben, die einen großen Wert auf Bildung und Dialog legen und daher die einzelnen Aktivitäten unterstützen.
Grieß: Nun gibt es eine ganze Reihe von Stiftungen. Sie sind Vorsitzender einer Stiftung, die Dialog und Bildung im Titel trägt. Es gibt auch eine Reihe von Schulen, auch in Deutschland, etwa in Berlin oder in Köln und andernorts. Kaum eine dieser Organisationen trägt den Namen Gülen im Namen. Warum nicht?
Karakoyun: Weil es um Bildung geht. Nur mal ein Beispiel: Die Umweltschutzbewegung, da kann man auch nicht sagen, auf wen sie zurückgeht. Es geht darum, für den Umweltschutz einen Beitrag zu leisten, und genau so geht es auch in Hizmet nicht darum, Fethullah Gülens Gedankengut zu verbreiten, sondern es geht darum, einen Beitrag im Bildungsbereich zu leisten. Deshalb steht auf den Einrichtungen "Bildung" und "Dialog" und es steht deshalb nicht "Gülen" auf den Einrichtungen. Wir lehnen einen Personenkult ganz strikt ab und das, was deshalb im Vordergrund steht, sind die Aktivitäten, die Arbeit, die wir machen. Und wir sind eine Bewegung, die aus Menschen besteht, die in Deutschland aufgewachsen und hier studiert haben, und wir legen deshalb auch großen Wert darauf, dass die Einrichtungen auch deutsche Namen haben. Wir bekennen uns zum Lokalpatriotismus. Das heißt, die Vereine haben dann Namen, die sich auf die jeweilige Stadt beziehen, auf die Region, in der sie sich befinden.
Grieß: Aber man wüsste ja trotzdem gerne, mit wem man es zu tun hat.
Karakoyun: Das ist auf den Webseiten nachvollziehbar. Jeder Schulleiter steht gerne zu Gesprächen bereit. Es gibt keinen, der auf diesen Schulen ist und nicht weiß, wo er sich befindet.
Grieß: Ercan Karakoyun, Vorsitzender der Stiftung Dialog und Bildung und damit auch in der Funktion des Sprechers der Gülen-Bewegung Hizmet in Deutschland. Danke für das Gespräch.
Karakoyun: Danke schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.