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Güler (CDU) zum Integrationsgipfel
"Wir reden fast nur noch über Flüchtlinge"

Die NRW-Integrationsbeauftragte Serap Güler (CDU) hat im Dlf kritisiert, dass es beim beim Thema Integration in Deutschland viel zu häufig nur um Flüchtlinge gehe - und nicht um Menschen, die schon lange in Deutschland lebten. Kritik übte sie auch an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der dem gestrigen Integrationsgipfel fernblieb.

Serap Güler im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Serap Güler (CDU) spricht am 15.02.2017 im Landtag in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen).
    Serap Güler (CDU) kritisierte Horst Seehofer, der nicht zum Integrationsgipfel kam (picture-alliance / dpa / Rolf Vennenbernd)
    Ann-Kathrin Büüsker: Was sich abzeichnet in Sachen Asylpolitik: Es geht bei der von Innenminister Seehofer letztlich vor allem darum, die Zahl der Menschen, die nach Deutschland kommen, möglichst klein zu halten, und von denen, die hier sind, möglichst viele wieder abzuschieben. Das ist ja Teil seiner geplanten sogenannten Ankerzentren, die heute beim Treffen der Länderministerpräsidenten in Berlin auch noch mal auf der Themenliste stehen werden.
    Dem Integrationsgipfel gestern blieb der Innen- und Heimatminister dagegen fern. Über diese Prioritätensetzung möchte ich jetzt mit Serap Güler sprechen, Mitglied der CDU und Staatssekretärin für Integration der schwarz-gelben Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen!
    Serap Güler: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Frau Güler, hat Horst Seehofer mit Blick auf Migration und Integration gerade die richtigen Prioritäten?
    Güler: Man bekommt nicht unbedingt den Eindruck. Es geht erst mal viel zu lange um die Diskussion bei der Integration um Flüchtlinge. Wir reden tatsächlich, so wie es die Migranten-Selbstorganisationen gestern auf dem Integrationsgipfel ja auch kundgetan haben, bei der Integration mittlerweile fast nur noch um Flüchtlinge. Es gibt nach wie vor Herausforderungen, Baustellen, wenn Sie so wollen, bei der Integration, bei den Menschen mit Migrationsgeschichte, wenn es um die Arbeitsmarktintegration geht, wenn es um die Bildungsintegration geht, und das kommt alles viel zu kurz. Leider hat Herr Seehofer gestern mit seiner Absage und mit seinem Fernbleiben auf dem Integrationsgipfel auch noch mal deutlich gemacht, dass es ihm nur um Flüchtlinge geht und nicht um die Menschen, die schon seit Jahrzehnten hier leben und heute auch als neue Deutsche tatsächlich zu verstehen sind.
    Büüsker: Wird hier alles mit Blick auf Migration gerade der Landtagswahl in Bayern untergeordnet?
    Güler: Ja, auch das Gefühl bekommt man, dass es dem Bundesinnenminister eher um die Interessen Bayerns geht als um die Interessen der Gesamtgesellschaft.
    Büüsker: Aber warum gelingt es der Kanzlerin gerade nicht, da einen Kontrapunkt zu setzen?
    Güler: Das hat sie ja gestern gemacht. Sie hat den Integrationsgipfel gestern durchgeführt, zum zehnten Mal. Sie hat den Integrationsgipfel überhaupt ins Leben gerufen als erste Bundeskanzlerin. Und auch die Aussagen, die sie gestern getroffen hat, waren die in die richtige Richtung, dass sie auch noch mal bekundet hat, dass es bei einer gemeinsamen Wertedebatte natürlich auch um die Belange und Interessen der Menschen mit Migrationsgeschichte gehen muss. Das hat sie gestern unterstrichen.
    "Es ist wichtig, gemeinsam über Werte zu diskutieren"
    Büüsker: Frau Güler, was macht denn aus Ihrer Sicht gute Integration aus?
    Güler: Wir haben immer gesagt, dass Integration aus mehreren Säulen besteht, wenn Sie so wollen, dass Sprache für die Integration wichtig ist, dass die Arbeitsmarktintegration wichtig ist, genauso aber auch Bildung, und sind davon ausgegangen, dass wenn das alles gegeben ist oder die Möglichkeiten an Teilhabe gegeben sind, dass Integration dann auch gelingt, haben dann aber auch einsehen müssen, dass es nicht ausreichend ist, wenn man nicht ein gemeinsames Wertefundament teilt aufgrund der Diskussionen in den letzten Jahren. Dabei ging es nicht nur um Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, sondern wenn Sie sich auch diverse Diskussionen um Türkeistämmige anschauen, dann macht das deutlich, dass man vielleicht seit Jahrzehnten zusammen lebt, aber nicht unbedingt dieselben Werte teilt, vor allem nicht dasselbe Demokratieverständnis unbedingt teilt. Insofern ist es wichtig, dass wir heute auch viel mehr über diese Wertedebatte diskutieren oder über Werte gemeinsam diskutieren, weil sie mittlerweile auch unabdingbar für eine Integration erscheinen.
    Büüsker: Aber lässt sich ein gemeinsames Wertefundament politisch herstellen?
    Güler: Es ist wichtig, dass die Politik diese Diskussion anstößt. Es kann nicht sein, wie wir es vor Jahren mit der Leitkultur-Debatte versucht haben, dass Politik vorgibt, was die Leitkultur oder in diesem Falle was die Werte sein sollen, und alle, die jetzt neu dazukommen, müssen sich daran halten. Das funktioniert nicht und deshalb war es wichtig, diese Diskussion gestern auf dem Integrationsgipfel auf Augenhöhe mit Menschen mit Migrationsgeschichte zu führen und zu sagen, was ist eigentlich der Zusammenhalt unserer Gesellschaft, was erwarten wir, aber gleichzeitig auch, was sind eure Belange, was ist für euch wichtig, was erwartet ihr? Deshalb muss diese Diskussion von der Politik angestoßen, aber mit ganz vielen Menschen geführt werden.
    Büüsker: Wie hilfreich ist, wenn Sie jetzt auch auf die Leitkultur-Debatte anspielen, dann derzeit die Diskussion über den Heimatbegriff?
    Güler: Ja! Es ist ja schön, dass man den Heimatbegriff auch wieder mit neuem Leben füllen möchte. So habe ich eigentlich auch die Intention der Bundesländer verstanden, die als erste ein Heimatministerium hatten. Das war tatsächlich Bayern auch vor der Flüchtlingskrise.
    "Viele Migranten sagen, Deutschland ist meine neue Heimat"
    Büüsker: Aber, Frau Güler, wenn ich da ganz kurz einhaken darf? Gerade diese Diskussion über Heimat, über den Heimatbegriff, wie sie auch Horst Seehofer führt, wird von vielen Migranten als ausgrenzend wahrgenommen.
    Güler: Ja, gut. Da muss ich den Ball allerdings tatsächlich zurückspielen und sie auch dazu auffordern, sich an dieser Neugestaltung des Heimatbegriffs zu beteiligen, statt sich direkt ausgegrenzt zu fühlen und zu sagen, das diskriminiert uns oder grenzt uns aus. Diese Möglichkeit gab es ja gestern, wieso der Gipfel mehr als ein Symbolcharakter ist. Viele Migranten sagen, Deutschland ist meine neue Heimat. Auch sie benutzen ja diesen Heimatbegriff. Wieso sollte man die Diskussion denn nicht jetzt dazu nutzen, diesen Begriff auch gemeinsam zu gestalten? Wenn man sich ausgegrenzt fühlt, wenn man sich selbst ausgrenzt, wenn man außerhalb der Diskussion bleiben möchte, entsteht ja ein Heimatbegriff, mit dem sie vielleicht nichts mehr anfangen können.
    Büüsker: Viele Migranten sagen aber auch, dass sie alltäglich in Deutschland Rassismus erleben, Alltagsrassismus allgegenwärtig ist für sie. Wie sehr schadet das Integration?
    Güler: Das schadet der Integration massiv. Das ist richtig. Das hat jetzt aber nichts mit dem Heimatbegriff an sich zu tun. Es kann nicht sein, dass in unserem Land Moscheen angezündet werden und das interessiert niemanden, oder Moscheen angegriffen werden. Es kann auch nicht sein, dass wir nach wie vor Menschen haben, die meinen, andere aufgrund ihres Namens, aufgrund ihres ausländisch klingenden Namens ausgrenzen zu können. Das sind Diskussionen, die wir aber auch schon seit längerem führen. In der Tat, es ist nicht immer der Eindruck entstanden, dass wir dafür die richtigen Antworten hatten. Aber auch deshalb war es wichtig, darüber in aller Deutlichkeit gestern auf dem Integrationsgipfel zu sprechen, dass Menschen, die sich ausgegrenzt fühlen, die diese Erfahrungen gemacht haben, auch zu Wort gekommen sind und das der Bundesregierung direkt vortragen konnten. Das ist ja letztendlich der erste wichtige Schritt zu einer Lösung, dass man die Gelegenheit bekommt, vor denjenigen, die die Möglichkeit haben, daran etwas zu ändern, das aussprechen zu können.
    "Wir haben viel zu lange abgewehrt, dass wir ein Einwanderungsland sind"
    Büüsker: Nun wird aber bereits seit vielen Jahrzehnten in Deutschland über Integration gesprochen, auch miteinander gesprochen. Der Integrationsgipfel gestern war ja nicht der erste; er steht in einer Reihe von Veranstaltungen. Trotzdem ergibt sich das Gefühl, dass wir letztlich in Sachen Integration immer noch nicht wesentlich weitergekommen sind. Wie sehr hilft es tatsächlich, immer nur zu reden?
    Güler: Nein, das stimmt ja so nicht. Wir sind in Sachen Integration sehr viel weiter, als wir das vor 20 Jahren waren, und wir sind in Sachen Integration auch weiter als 2006, als der Gipfel zum ersten Mal stattgefunden hat. Das können Sie beispielsweise daran festmachen, dass heute mehr Kinder, mehr junge Menschen mit Migrationsgeschichte das Gymnasium besuchen, als das 2006 oder davor der Fall war, dass heute mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in besseren Jobs tätig sind, bessere Zugänge an den Arbeitsmarkt haben. Dass es trotzdem nach wie vor Diskriminierung in unserem Land gibt, das wird es wahrscheinlich auch in 20 Jahren, auch nachdem wir 20 Jahre wieder intensiv über das Thema diskutiert haben, weil es immer Menschen geben wird, die aufgrund des Aussehens oder des ausländisch klingenden Namens andere ausgrenzen möchten. Aber wenn Sie sich die Situation einmal sachlich und nüchtern anschauen, dann sind wir heute sehr, sehr viel weiter, und ich glaube, wir sollten auch unsere Erfolge, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, nicht kleinreden.
    Hinzu kommt: Wir haben ja mit der Integration oder mit einer wirklich strukturierten Integrationspolitik erst 2005 in diesem Land angefangen. Wir haben viel zu lange abgewehrt, dass wir ein Einwanderungsland sind. Also können wir jetzt, glaube ich, auch nicht erwarten, dass wir in 15 Jahren den Riesenschritt machen. Wir haben viele Schritte gemacht, trotz der Tatsache, dass wir Integration lange für nicht notwendig gesehen haben und jahrzehntelang davon ausgegangen sind, dass Menschen, die zu uns gekommen sind, auch wieder zurückkehren werden. Insofern: Trotz einer verschlafenen Integrationspolitik oder einem Nachholen dieser Integrationspolitik haben wir viele Schritte gemacht, die ich hier auch nicht kleingeredet wissen möchte.
    Büüsker: Frau Güler, Sie sprechen jetzt von wir, wir haben lange Integration nicht genug gefördert, wir haben lange nicht erkannt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Ist es vor allem Ihre Partei, die CDU, die das nicht erkennen wollte?
    Güler: Nein, das war vor allem wir als Deutsche gemeint, wir als deutsche Politik. Es war nicht nur die CDU. Es war vielleicht meine Partei tatsächlich, die sich am längsten dagegen gewehrt hat. Aber wissen Sie, wir haben insgesamt Fehler gemacht. Wir hatten auch lange politische Stimmen in diesem Land, die gesagt haben, die müssen nicht Deutsch lernen, die sollen doch ruhig ihre Sprache sprechen, und die Forderung nach dem Deutsch lernen als Zwangsgermanisierung gesehen haben. Insofern: Nicht nur die CDU hat in der Vergangenheit ihre Fehler gemacht, die sie definitiv gemacht hat, sondern auch viele andere, die gedacht haben, es ist doch in Ordnung, wenn Menschen zu uns kommen und sich nicht integrieren möchten, auch das müssen wir akzeptieren. Heute sehen das viele anders. Wenn Sie alleine an die Diskussion um die Integrationskurse denken, die wir seit 2007 haben, wo sich diverse Parteien …
    Büüsker: Frau Güler, ich fürchte, für diese Diskussion haben wir jetzt hier heute Morgen im Deutschlandfunk nicht mehr genügend Zeit, weil gleich die Nachrichten kommen.
    Güler: Okay.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.