Archiv

Günter Guillaumes Verhaftung
Vor 40 Jahren: Ein Spion im Kanzleramt

Die Nachricht der Verhaftung des Agentenpaares Günter und Christel Guillaume am 24. April 1974 löste in der Bonner Republik ein politisches Beben aus. Ein Agent der Staatssicherheit war - getarnt als rechter Sozialdemokrat - ins Zentrum der Macht eingedrungen. Bis ins Vorzimmer von Bundeskanzler Brandt.

Von Inge Braun |
    Ausgelassen kickt Bundeskanzler Willy Brandt am 13.6.1973 bei einer Gartenparty einen Ball über den Rasen vor dem Palais Schaumburg. Unter den Zuschauern: Günter Guillaume (Mitte, heller Anzug)
    Ausgelassen kickt Bundeskanzler Willy Brandt am 13.6.1973 bei einer Gartenparty einen Ball über den Rasen vor dem Palais Schaumburg. Unter den Zuschauern: Günter Guillaume (Mitte, heller Anzug) (picture-alliance/ dpa - Egon Steiner)
    "Es gibt Zeitabschnitte, da möchte man meinen, dass einem nichts erspart bleibe. Ich will es mir nicht leicht machen, indem ich sage, ich bin nicht zuständig. Dass man einen besonders geschickten und durchtriebenen Agenten auf mich ansetzte, sollte im Grunde, wenn man es sich genau überlegt, nicht überraschen."
    Am 24. April 1974 kehrt Willy Brandt von seinem Staatsbesuch in Algerien und Kairo zurück. Bereits an der Gangway wird der Kanzler unterrichtet. Beamte des Bundeskriminalamts haben am frühen Morgen seinen Referenten Günter Guillaume und dessen Ehefrau verhaftet. Guillaume gab sich als Bürger der DDR und Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit zu erkennen. Später erklärte er:
    "Natürlich war es in gewissem Sinne ein Schuldeingeständnis, zumindest das Schuldeingeständnis der geheimdienstlichen Tätigkeit. Das war mir in dem Moment nicht bewusst. Ich sag: Bewusst war mir das, es darf nicht geheim gehalten werden, dass der jetzt ... verhaftet wird, zur Warnung für alle anderen."
    1956 unter dem "Decknamen" Hansen nach Frankfurt am Main eingeschleust, hatte Guillaume sich als rechter Sozialdemokrat hochgedient. Der ehemalige Fotograf beim Ostberliner Verlag Volk und Wissen betrieb eine Kaffeestube, stieg zum Hauptgeschäftsführer des SPD-Unterbezirks auf, managte den Wahlkampf des späteren Verteidigungsministers Georg Leber, der ihn ins Kanzleramt empfahl.
    "Seit 1972 war er ein enger persönlicher Mitarbeiter des Bundeskanzlers, einer von vier Referenten. Er begleitete den Bundeskanzler auf Reisen",
    so der damalige CDU-Oppositionsführer Carl Carstens am 26. April 1974 in der Bundestagsdebatte zum Spionagefall Günter Guillaume.
    Kanzler als Lockvogel zum Agentenfang
    Funksprüche seines DDR-Führungsoffiziers aus den 50er-Jahren hatten die Fahnder im Frühjahr 1973 zufällig zu Guillaume geführt. Doch die Verfassungsschützer ließen den Parteireferenten, um ihn zu überführen, weiter ungehindert seinen Dienst tun. Und benutzten den Kanzler quasi als Lockvogel zum Agentenfang. Sogar im Sommerurlaub in Norwegen gehörte Guillaume zum Begleitpersonal Brandts. Und überbrachte dem Regierungschef täglich die Funkschreiben aus Bonn, darunter auch Nato-Papiere. Er wurde dabei nicht einmal überwacht.
    "Das einzige, womit sie Guillaume wirklich verurteilen konnten, waren die Geheimsachen in Norwegen, die er angeblich weitergegeben hat."
    Reinhard Wilke war der Büroleiter des Bundeskanzlers Willy Brandt und Vorgesetzter Günter Guillaumes.
    "Er hat das in seiner Autobiografie dann ganz groß aufgebauscht, wie er da über Göteborg gefahren ist und das dann jemandem abgegeben hat. Ich glaub' dem kein Wort."
    Markus Wolf:
    "Wir hatten sie nicht bekommen, weil eben diese fotografierten Dokumente von der Kurierin dann im Rhein versenkt wurden, was aus unserer damaligen Sicht auch völlig richtig gewesen war."
    Glaubt man dem ehemaligen Spionagechef der DDR, Markus Wolf, so fiel der größte Coup seines Top-Spions förmlich ins Wasser, weil die Stasi-Kurierin sich verfolgt fühlte.
    "Der Sturz Willy Brandts widersprach vollkommen unseren politischen Absichten, die wir auch 1974 hatten. Das war also, wenn man so will, ein Eigentor, eine Sache, die eben nicht hätte passieren dürfen."
    13 Jahre Haft für Guillaume
    "Herr Honecker mag in der Lage sein, zum Rücktritt eines Bundeskanzlers beizutragen, aber niemand sollte ihm gestatten, die Politik der Entspannung im Zentrum Europas zu unterlaufen",
    so Willy Brandt nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler am 6. Mai 1974. Damit ging die Ära der Reformen zu Ende, unter seinem Nachfolger Helmut Schmidt setzte realpolitische Nüchternheit ein.
    Günter Guillaume wurde wegen besonders schwerem Landesverrats zu 13, seine Ehefrau Christel wegen Beihilfe zu acht Jahren Haft verurteilt. 1981 wurden beide ausgetauscht. Doch Guillaume, der eines der größten politischen Dramen der Nachkriegsgeschichte ausgelöst hatte, war nur ein mittelmäßiger Agent. In der sensiblen Phase der Neuen Ostpolitik lieferte der Spion, wie durch die Öffnung der Stasi-Geheimarchive nach der Wende bekannt wurde, keine brisanten Informationen. Von der Staatssicherheit abgeschrieben, aber mit vielen Orden ausgezeichnet, starb er 1995.