Daß Netzer seinen Gegenspieler in Franz Beckenbauer fand, fügt sich nahtlos ins Bild. Der Bayer galt als konservativ und sein Klub, der FC Bayern, als Inbegriff der Ratio. Netzer mußte sich dem Druck der Bayern während der WM 1974 beugen, er bestritt nur ein Spiel, bei der historischen Pleite gegen die DDR, wo er eingewechselt wurde. Die WM wurde dennoch ein Erfolg, vor allem ein Erfolg der Bayern-Achse im DFB-Team; mithin ein Triumph des Bürgertums unter dem Anführer Beckenbauer. Auch hier findet Böttiger eine politische Analogie: wenige Wochen zuvor war Politvisionär Willy Brandt über den DDR-Spion Günther Guillaume gestolpert, das Temperament seines Nachfolgers Helmut Schmidt entsprach eher dem der Münchner Bayern, die ihre Titel mit kühler Berechnung erspielten und so den phantasievolleren Borussen letztlich voraus waren. Böttiger vermag dies überzeugend zu schildern, die Beschreibung von Netzers Spiel ist versiert, und wer Pässe als "ein retardierendes Moment im Borussen-Spiel" ausmacht, geht zweifellos mit dem Gegenstand Sport wohltuend respektvoll um. "Manager und Rebell" ist letztlich auch ein Plädoyer für den Fußball, und unmißverständlich ist es die Forderung nach einem deutschen Fußball, dem gegenüber man keinen ästhetischen Vorbehalt haben muß. Das erschien solange naiv, wie das Team erfolgreich war. Jetzt, wo die Mängel des deutschen Fußballs nicht mehr vom Erfolg kaschiert werden, ergeht es den Enttabuisierern des bloßen Siegens schlechter. Vor ein paar Jahren noch hatte man Böttiger als spinnerten Utopisten abgetan, und Netzer ein Relikt genannt. Mittlerweile gilt Netzers sachliche TV-Präsenz den kritischen Fußballfreunden als ein Gegenmodell zum schluderigen medialen Jugendwahn. Die Zeit hat den Biographen und seinen Helden eingeholt.
Günter Netzer - Manager und Rebell
Das Abschneiden der deutschen Elitekicker bei der WM in Frankreich war desaströs, die Komödie um die Neubesetzung des Traineramtes war amüsant. Nun, inmitten der Turbulenzen um die anstehende Qualifikation des Nationalteams zur Europameisterschaft, hat sich der Widerstand gegen die unansehnlichen Tretkünste der DFB-Deutschen auch bibliophil massiert. Dabei wird es jedoch nur die Außenstehenden überraschen, daß dies in der Biographie "Manager und Rebell" des einstigen Nationalspielers Günter Netzer geschieht, die der Literaturkritiker Helmut Böttiger aufgezeichnet hat: Netzer, Spielmacher bei Borussia Mönchengladbach und 1972 Europameister mit einer glanzvollen deutschen Elf, transportierte stets die Aura des Subversiven; niemand schlug schönere Pässe, keiner hatte eine auffälligere Frisur, niemand ein schnelleres Auto. Wechselweise fuhr er Jaguar oder Ferrari, nicht eben gediegen wie die Kollegen im Mercedes. Auch wagte es in den siebziger Jahren kein Fußballer, über Kunst zu sprechen und zu monieren, daß dem Fußball "ein Hauch Dämlichkeit" anhänge. Netzer tat dies. Er wurde zur beliebten Projektionsfläche für Intellektuelle, und Karlheinz Bohrer, Feuilletonkorrespondent der FAZ, meißelte ein Diktum, als er das Spiel des Mittelfeldregisseurs mit den Worten beschrieb: "Netzer kam aus der Tiefe des Raumes".
Daß Netzer seinen Gegenspieler in Franz Beckenbauer fand, fügt sich nahtlos ins Bild. Der Bayer galt als konservativ und sein Klub, der FC Bayern, als Inbegriff der Ratio. Netzer mußte sich dem Druck der Bayern während der WM 1974 beugen, er bestritt nur ein Spiel, bei der historischen Pleite gegen die DDR, wo er eingewechselt wurde. Die WM wurde dennoch ein Erfolg, vor allem ein Erfolg der Bayern-Achse im DFB-Team; mithin ein Triumph des Bürgertums unter dem Anführer Beckenbauer. Auch hier findet Böttiger eine politische Analogie: wenige Wochen zuvor war Politvisionär Willy Brandt über den DDR-Spion Günther Guillaume gestolpert, das Temperament seines Nachfolgers Helmut Schmidt entsprach eher dem der Münchner Bayern, die ihre Titel mit kühler Berechnung erspielten und so den phantasievolleren Borussen letztlich voraus waren. Böttiger vermag dies überzeugend zu schildern, die Beschreibung von Netzers Spiel ist versiert, und wer Pässe als "ein retardierendes Moment im Borussen-Spiel" ausmacht, geht zweifellos mit dem Gegenstand Sport wohltuend respektvoll um. "Manager und Rebell" ist letztlich auch ein Plädoyer für den Fußball, und unmißverständlich ist es die Forderung nach einem deutschen Fußball, dem gegenüber man keinen ästhetischen Vorbehalt haben muß. Das erschien solange naiv, wie das Team erfolgreich war. Jetzt, wo die Mängel des deutschen Fußballs nicht mehr vom Erfolg kaschiert werden, ergeht es den Enttabuisierern des bloßen Siegens schlechter. Vor ein paar Jahren noch hatte man Böttiger als spinnerten Utopisten abgetan, und Netzer ein Relikt genannt. Mittlerweile gilt Netzers sachliche TV-Präsenz den kritischen Fußballfreunden als ein Gegenmodell zum schluderigen medialen Jugendwahn. Die Zeit hat den Biographen und seinen Helden eingeholt.