Der CDU-Politiker Schäuble hatte im ZDF gesagt, es gebe keinen Streit zwischen Merkel und Seehofer, sondern Attacken gegen Merkel. Wie in der Union miteinander umgegangen werde, sei ziemlich einseitig und gehe von der CSU aus.
Im DLF wies Beckstein diese Darstellung zurück. Es sei die CDU-Vorsitzende Angela Merkel gewesen, die den gemeinsamen Kurs der Union in der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik geändert habe, sagte Beckstein im DLF. Die CSU sei daran nicht beteiligt gewesen und werde dies auch nicht stillschweigend akzeptieren. Er halte die Auseinandersetzung deshalb für notwendig.
Beckstein betonte, er sehe mit Sorge, dass die große Koalition in Berlin nicht mehr 50 Prozent der Zustimmung habe. Die Erfolge der AfD in den Wahlumfragen seien nicht der CSU geschuldet. Auch sei die Niederlage der CDU bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg nicht auf die CSU zurückzuführen.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Es geht nur um einen Ort für ein Treffen, aber einigen konnte man sich in CDU und CSU nicht einmal darauf. Wie massiv der Konflikt zwischen den beiden Parteien inzwischen ist, zeigt auch dieser Streit darüber, wo die geplante Klausur der Unions-Parteien am 24. Und 25. Juni stattfinden soll.
Führende Politiker von CDU und CSU haben gestern ein Ende der Streitereien gefordert. Gestern Abend haben sich dann Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer in Berlin getroffen. Für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist der Schuldige ausgemacht:
O-Ton Wolfgang Schäuble: "Die Art, wie in der Union miteinander umgegangen wird, ist ziemlich einseitig. Es gibt nichts Vergleichbares aus der CDU gegenüber der CSU, nicht im Ganzen und nicht gegenüber Einzelnen, null. Die Formulierung Streit zwischen Merkel und Seehofer muss ich zurückweisen. Es sind Attacken gegen Merkel."
Kaess: Das sagt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. - Am Telefon ist jetzt Günther Beckstein von der CSU, ehemals bayerischer Ministerpräsident. Guten Morgen.
Günther Beckstein: Einen schönen guten Morgen.
"Die Bundeskanzlerin hat den gemeinsamen Kurs völlig verändert"
Kaess: Hat Wolfgang Schäuble recht?
Beckstein: Ich bin natürlich nicht befugt, für die CSU zu sprechen. Ich habe kein Amt mehr. Aber ich halte das, was Wolfgang Schäuble sagt, für völlig falsch, denn es ist ja ganz offensichtlich, dass es die Bundeskanzlerin beziehungsweise CDU-Vorsitzende war, die den gemeinsamen Kurs in der Einwanderungs- und Integrations- und Flüchtlingspolitik völlig verändert hat.
Früher war die gemeinsame Grundlage, ich selber habe da viele Termine mitgemacht, viele Veranstaltungen, viele Programme formuliert, Zuwanderung steuern und begrenzen. Davon ist seit letztem Herbst nicht mehr die Rede und das ist natürlich eine Veränderung, die auch auf das Parteiensystem Rückwirkungen hat. Und dass die CSU das nicht einfach stillschweigend schluckt, ohne dass sie überhaupt bei diesen Änderungen beteiligt war, die wir übrigens auch für falsch halten in dieser Massivität, deswegen ist es eine Auseinandersetzung, die ich für notwendig halte.
Kaess: Aber es stimmt auch, Herr Beckstein, dass die Attacken - und man kann es ja in der Massivität als Attacken bezeichnen - tatsächlich nur von einer Seite kommen?
Beckstein: Gut, weil die andere Seite schlichtweg nicht darauf reagiert. Man kann doch nicht einfach sagen, wir haben beschlossen, die Kanzlerin hat beschlossen, dass Schengen und Dublin in der bisherigen Weise obsolet geworden sind, dass die Grenzen geöffnet sind, dass man die Österreicher für das, was endlich getan worden ist, nämlich wieder Ordnung in die Zuwanderung zu bringen, dann beschimpft und dass wir das einfach stillschweigend schlucken, dass wir sehen und auch mit Sorge sehen, dass die Große Koalition in Berlin nicht mal mehr 50 Prozent der Zustimmung hat, dass man das in einer Demokratie als unerheblich einfach wegdrückt, das sind Dinge, die bei uns nicht nur Horst Seehofer, sondern auch die große Mehrzahl der Menschen in Bayern bewegen.
"Wir halten den Deal mit der Türkei und die Verbindung mit Visumsfreiheit für falsch"
Kaess: Die Flüchtlingskrise ist allerdings weitestgehend vorbei. Es kommen keine Menschen mehr. Und was die Umfragen betrifft, da deuten ja viele auch, dass die schlechten Ergebnisse vor allem auf die Streitereien zurückgehen. Warum sieht Horst Seehofer das denn nicht und Sie, Herr Beckstein, sehen es ja offenbar auch nicht?
Beckstein: Nein. Ich glaube nicht, dass man ernsthaft behaupten kann, die Wahlniederlage der CDU in Baden-Württemberg sei auf die CSU zurückzuführen. Und dass in Mainz Frau Dreyer wiedergewählt worden ist, das kann man wohl auch nicht ernsthaft sagen. Dass in Mecklenburg-Vorpommern die Umfragen für die AfD weit über 15 Prozent hinausgehen, ist doch wohl offensichtlich nicht von der CSU geschuldet.
Und die andere Frage: Natürlich sind wir froh darüber, dass die Zahl der Flüchtlinge zurückgegangen ist. Bloß ist das nicht ein Verdienst der Bundesregierung, ganz abgesehen davon, dass wir den Deal mit der Türkei und die Verbindung mit Visumsfreiheit und den weiteren Verhandlungen zur Aufnahme der Türkei als Vollmitglied in der EU für falsch halten.
Kaess: Aber es wäre, Herr Beckstein, doch auch mal an der Zeit, dass Horst Seehofer zugeben müsste, dass Angela Merkel recht hatte. Die Flüchtlingszahl in Europa hat ja tatsächlich das Abkommen mit der Türkei zurückgefahren, denn nach der Schließung der Balkan-Route sind ja weiterhin Zehntausende Menschen in Griechenland gestrandet.
Beckstein: Wenn Sie die Zahlen ansehen, die in Bayern und in Deutschland angekommen sind, dann ist die entscheidende Frage der Reduzierung der Flüchtlingszahlen die Schließung der Grenzen von Österreich und Mazedonien, von Ungarn und Kroatien gewesen. Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei war im Prinzip etwas Richtiges, dass man mit der Türkei Rücknahmeabkommen verabredet. Allerdings die Vereinbarung in Zusammenhang zu stellen mit der Aufnahme in die EU und mit Visumsfreiheit, halten wir angesichts der Situation in der Türkei und übrigens auch in der Person des Herrn Erdogan für nicht richtig.
"Wir nehmen eine Veränderung der Zuwanderungspolitik nicht einseitig durch eine Entscheidung der Kanzlerin hin"
Kaess: Aber wenn Sie jetzt wieder die Flüchtlingszahlen in Bayern anführen, auch Horst Seehofer müsste ja in seiner Position über die bayerischen Grenzen hinausdenken.
Beckstein: Natürlich! Wir wissen ja, wieviel Leute nach Deutschland gekommen sind, und fast alle sind über Bayern gekommen. Dass in wenigen Wochen mehrere Hunderttausend ohne jede Kontrolle gekommen sind und dass bis in dieses Jahr hinein Grenzkontrollen nicht durchgeführt worden sind, so dass wir nicht wissen, welche Menschen aus Syrien nach Deutschland gekommen sind und übrigens auch nach Frankreich. Die Franzosen haben ja auch wieder Grenzkontrollen aus Sicherheitsgründen eingeführt.
Kaess: Aber Herr Beckstein, wenn ich da mal unterbrechen darf? Denn das ist ja alles hinlänglich und ausführlich diskutiert worden. Aber wie soll es denn jetzt weitergehen? Horst Seehofer sagt mit Blick auf die Klausur am 24. Und 25. Juni, das macht nur Sinn, wenn etwas dabei herauskommt, man könne nicht zusammenkommen für ein unterhaltsames Wochenende ohne Ergebnis. Was soll denn ein Ergebnis sein? Was will Horst Seehofer?
Beckstein: Also gut: Die CSU hat immer einen ein Stück eigenständigen Wahlkampf geführt. Der Wahlkampf wird nicht gegen die CDU und nicht gegen Merkel sein. Aber wir erwarten schon, dass die CDU auch berücksichtigt, dass bei der Frage der Zuwanderungspolitik eine Begrenzung und Steuerung, so wie wir es über Jahrzehnte als gemeinsame Grundlage haben, auch in der Zukunft sein muss.
Wir müssen uns selbstverständlich über Fragen der Humanität gegenüber Flüchtlingen intensivst unterhalten. Da macht unser Entwicklungshilfeminister Müller, glaube ich, eine gute Politik, dass er sagt, wir müssen viel, viel mehr tun, um Fluchtursachen zu beseitigen und die Menschen in der Region zu versorgen. Die Zahlungen an die Türkei sind richtig. Aber die Frage, dass wir eine Veränderung der Zuwanderungspolitik nicht einseitig durch eine Entscheidung der Kanzlerin hinnehmen, das, glaube ich, das muss die CDU auch sehen und da muss sie sich auch ein Stück bewegen.
"Wir müssen die Außengrenzen der EU endlich sichern"
Kaess: Aber noch mal der Hinweis: Das ist ja wirklich Schnee von gestern, sage ich mal. Warum noch mal dieses Thema Begrenzung, wenn im Moment überhaupt keine Flüchtlinge mehr kommen?
Beckstein: Wir sehen im Moment wieder, dass die Zahlen derzeit wieder steigen.
Kaess: Wo denn?
Beckstein: Von Italien nach Bayern. Die Zahlen der Schleusungen haben massiv zugenommen.
Kaess: Aber das ist doch kein Vergleich zu dem, was im September passiert ist.
Beckstein: Natürlich nicht. Aber in dem Augenblick, wo die Türkei feststellt, dass das Abkommen, der Deal nicht funktioniert, werden wir schnell wieder in große Probleme kommen, es sei denn, dass Deutschland sagt, jawohl, das was Österreich und Mazedonien machen ist notwendig. Wir müssen daneben die Außengrenzen der EU endlich sichern. Da ist ja bis heute noch nichts Ernsthaftes erfolgt.
Die Griechen sehen sich nach wie vor nicht in der Lage, die Aufnahmen in den Verfahren, so wie es in Dublin vorgesehen ist, durchzuführen. Das klappt nicht und da meine ich, da müsste man sich sehr schnell auch auf eine gemeinsame Linie einigen können, dass man das auf den Weg bringt.
Kaess: Aber an all dem wird ja auch gearbeitet, Herr Beckstein. - Eine Frage möchte ich noch stellen. Die "Bild"-Zeitung hat gestern geschrieben, Horst Seehofer vermute ein Komplott im Kanzleramt. Dort werde die CSU als Fehlkonstruktion betrachtet. Ist Horst Seehofer in keinster Weise bereit, irgendwann auch einmal zu deeskalieren?
Beckstein: Gut, da müssen Sie natürlich Horst Seehofer fragen und nicht mich.
"Nicht nur Auseinandersetzungen öffentlich führen"
Kaess: Glauben Sie es?
Beckstein: Die Frage, dass in der CDU immer wieder mal auch diskutiert worden ist, ist es richtig, dass die CSU in Bayern eine eigenständige Partei ist. Auf der anderen Seite werden sich die Strategen im Konrad-Adenauer-Haus auch überlegen, dass mehr als 20 Prozent der Stimmen, die für die Union in Deutschland gehen, auf das Konto der CSU kommen, und ohne ein sehr viel höheres Wahlergebnis in Bayern wird die CDU auch schlichtweg selbst die Frage der größten Partei nicht mehr so selbstverständlich haben.
Von daher hängen beide Parteien gemeinsam davon ab und ich rate auch sehr dazu, dass wir nicht nur Auseinandersetzungen öffentlich führen, sondern dass man dann hinter den verschlossenen Türen auch wieder zu einem vernünftigen Umgang miteinander kommt. Die eine oder andere Dissensfrage hat es immer gegeben und darum war es richtig, dass gestern das erste Gespräch stattgefunden hat, und es werden weitere folgen und auch notwendig sein.
Kaess: Günther Beckstein von der CSU, ehemaliger bayerischer Ministerpräsident. Danke für das Gespräch.
Beckstein: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.