Grundsätzlich seien die USA als Global Player an der weltwirtschaftlichen Entwicklung interessiert, sagte EU-Kommissat Günther Oettinger weiter. Er könne sich darum nicht vorstellen, dass die USA in Zukunft nur noch regionale Politik machen werden - und Regionen außerhalb des eigenen Landes nicht mehr sichern würden.
In Europa müsse man eine Lehre daraus ziehen, dass Trump mit seinem von Unfairness geprägtem Wahlkampf Erfolg gehabt habe. Die Politik habe die Aufgabe, in einer komplexen Welt differenzierte Antworten zu geben und dafür zu sorgen, dass diese Antworten auch beim Bürger ankämen. Als Mittel, das zu erreichen, schlug Oettinger Medienbildung an Schulen und die Stärkung des Qualitätsjournalismus vor. Außerdem sollten Politiker weniger Fachchinesisch sprechen.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Barack Obama empfängt heute seinen Nachfolger Donald Trump im Weißen Haus. Obama sagte, ihm sei sehr an einer friedlichen Übergabe der Macht gelegen. Aus Unmut über Trumps Sieg sind unterdessen landesweit tausende Menschen auf die Straßen gegangen, Proteste gab es vor allem in Metropolen entlang der traditionell demokratischen Ost- und Westküste sowie in Studentenstädten. Die Menschen riefen: "Nicht mein Präsident!" Donald Trump wird aber der 45. Präsident der Vereinigten Staaten.
Eins steht fest, dumm ist der Mann nicht, sonst hätte er es wohl kaum so weit geschafft. Am Telefon ist Günther Oettinger, EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, künftiger Handelskommissar, guten Morgen!
Günther Oettinger: Guten Morgen, Herr Heinemann!
Heinemann: Herr Oettinger, sitzt da ab Januar ein Schlitzohr im Weißen Haus?
Oettinger: Das werden wir sehen. Ich bin auch heute Morgen wie viele andere Deutsche und Europäer enttäuscht und überrascht über das Ergebnis, aber das müssen wir akzeptieren. Demokratie heißt, dass man auch verlieren kann, auch als Wahlbürger, auch als Sympathisant verlieren kann. Ich habe oftmals selbst in kleineren Wahlen gewonnen, aber auch verloren. Und ich finde, souverän war der scheidende Präsident Obama und auch nach einer kurzen Pause Frau Clinton. Und wenn beide jetzt aufrufen, dass sich Amerika versöhnen soll, dann glaube ich, dass auch Europa dem Präsidenten und hoffentlich seinem professionellen Team von Ministern, Staatssekretären, Beratern eine Chance, die Partnerschaft mit unseren Werten und unseren gemeinsamen Grundlagen fortzusetzen, eine Chance geben sollte.
Heinemann: Kleine Korrektur, ich hatte Sie als Handelskommissar angekündigt, Sie werden Haushaltskommissar sein. Sie sprachen gerade von professioneller Zusammenarbeit. Trump hat Angela Merkels Politik ja als verrückt, als "insane" bezeichnet. Frank-Walter Steinmeier hat Trump vor der Wahl als Hassprediger bezeichnet. Wird deutsch-amerikanisch zurzeit ein bisschen viel frei von der Leber geredet?
Oettinger: Sie meinen auch mich?
Heinemann: Nein, nein, gar nicht, im deutsch-amerikanischen Verhältnis.
Oettinger: Das mag ja sein. Schauen Sie, der Wahlkampf war meines Erachtens vom Stil her, vom Umgang her nicht von Respekt geprägt, nicht von Härte und Sportlichkeit geprägt, sondern er war schlichtweg unfair und auch durch Lügen geprägt. Und die Lehre, dass wir diese Methoden des amerikanischen Wahlkampfs – übrigens auch zunehmend die Art, wie die Amerikaner sich vor Wahlen informieren –, die sollten wir in Europa eher als Fehlentwicklung sehen. Wir sollten alles tun, um eine positive Lehre für künftige Wahlkämpfe in Europa, was die Qualität im Umgang anbelangt und auch die Grundlagen, die Informationen anbelangt, ziehen. Insofern ist das mit dem Hass, was Herr Steinmeier ansprach, völlig zu Recht gesagt worden. Die Sitten in den USA sind ziemlich stark nach unten gegangen und ansonsten, Wahlkampf in den USA war schon immer härter als bei uns, war schon immer zugespitzter. Er ist vorbei, jetzt müssen wir sehen, ob es einen Neuanfang gibt. Und die ersten Aussagen von Trump waren zumindest klug, zumindest klug und klangen versöhnlich. Ob er versöhnlich ist, das muss sein Regierungsprogramm zeigen. Und deswegen warten wir mit großer Spannung, aber letztendlich mit der Bereitschaft, das Ganze zu akzeptieren, auf die ersten Schritte in Washington, D.C.
"Die Zeiten, wo wir in der Sicherheit der USA wachsen konnten, werden eher der Vergangenheit angehören"
Heinemann: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" überschreibt ihren Kommentar heute auf Seite eins mit "Amerikas Abwendung von der Welt". Werden die USA auch Europa den Rücken kehren?
Oettinger: Europa muss zumindest erwachsen werden. Das heißt, die Zeiten, wo wir uns als kleiner Bruder der USA verstehen konnten, wo wir im Schatten und in der Sicherheit der USA wachsen konnten und unsere wirtschaftlichen Entwicklungen pflegen konnten, die werden eher der Vergangenheit angehören. Ansonsten aber, die USA sind mit ihrer Exportwirtschaft, mit dem, was sie von der Welt benötigen, was sie in die Welt verkaufen wollen, was sie aus der Welt einkaufen oder wie viel investiert sind … Schauen Sie mal die Milliarden an Investments amerikanischer Firmen allein in Deutschland! Es ist so stark interessiert an der weltwirtschaftlichen Entwicklung, in Südostasien, aber auch im Bereich der Europäischen Union, darüber hinaus, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass die Politik diese Verflechtung von Wirtschaft und Gesellschaft der Amerikaner verletzt. Ich kenne auch viele junge Amerikaner, die in Europa studiert haben oder hier Familie haben. Denken Sie auch immer an eine große Anzahl von Soldaten, die hier in Deutschland stationiert sind. Das heißt, das Engagement der Amerikaner über Jahrzehnte hinweg erfordert auch weiter eine Teilhabe der Politik, die Zukunft der Regionen außerhalb der USA gemeinsam mit zu sichern.
Heinemann: Aber genau das war ja sein Rezept, dass er genau alles das infrage gestellt hat, sowohl militärisch als auch wirtschaftlich. Protektionismus hat er gesagt, TTIP können wir gerade mal vergessen, Freihandel und Freihandelsabkommen. Womit rechnen Sie, worauf stellen Sie sich ein?
Oettinger: Ich glaube, man wird sich diesen Realitäten jetzt stellen müssen. Ein Beispiel: Schauen Sie mal unsere Sozialen Medien an. Wir googeln. Wir machen alles, was WhatsApp, was Facebook, was Amazon, was Microsoft, was Apple, was Cisco zu bieten hat, an Hardware, an Software und an Plattformangeboten hier in Europa gerne mit. Das heißt, die Amerikaner sind doch mehr als jemals zuvor Global Player. Und da kann die Regierung, kann der Präsident, nicht eine reine Regionalpolitik machen.
"Amerikaner und Russen können mit ihren Systemen keine Partner werden"
Heinemann: Regional bestimmt nicht, nein. Interessant und mit Spannung wird bestimmt geschaut werden auf das künftige Verhältnis zwischen Washington und Moskau. Es gibt ja Gerüchte – Beweise bisher nicht –, dass möglicherweise russische Behörden hinter der Veröffentlichung von Frau Clintons E-Mails stecken könnten. Ist Trump Putin zu Dank verpflichtet, könnten die beiden vielleicht in Syrien sogar ganz erfolgreich zusammenarbeiten?
Oettinger: Also, wir haben auch jede Menge Indizien, das weiß ich aus der täglichen Arbeit, dass gerade aus Moskau Politikspionage betrieben wird und man die digitale Welt zu nutzen versucht, und zwar zu missbrauchen versucht. Aber ansonsten, ich bin mir sicher, dass die Amerikaner und die Russen bei einigen Projekten Partner bleiben müssen, bei anderen Projekten Partner werden müssen, aber ansonsten auch mit ihren ganzen Systemen keine Partner werden können. Die USA bleiben eine Demokratie, bleiben eine soziale Marktwirtschaft, bleiben ein Land, das durch Eigentum geprägt ist, das durch Unabhängigkeit der Entscheidungen der Wirtschaft geprägt ist, das durch starke Mitbestimmung geprägt ist. Und all dies sind ja Werte, die auch wir teilen und die in Russland zunehmend ver[...](letzer Teil unverständlich; Anm. d. Red.) sind.
Heinemann: Herr Oettinger, wenn man sich Führungspersonal anschaut, Trump, Putin, Erdogan: Berlusconisiert sich die internationale Politik gerade?
Oettinger: Ja, da ist sicher etwas dran. Die Differenziertheit im demokratischen Streit nimmt ab. Die Dinge spitzen sich zu, schwarz und weiß, gut und böse, richtig oder falsch. Und einfache Fragen kann man stellen, aber einfache Antworten sollte man nicht geben. Die Welt ist sehr komplex geworden, deswegen müssen wir in der Politik und auch Sie in den Medien alles tun, dass differenzierte Betrachtung von Problemen und differenzierte Antworten seitens der Politik beim Bürger ankommen, vom Bürger verstanden werden und dann auch die Grundlage für Entscheidungen sind, für Wahlen zum Beispiel.
Heinemann: Nur haben die differenzierten Antworten ja offenbar wenig oder eine geringe Rolle gespielt. Die Faktenprüfer konnten mit Donald Trumps Fantasie ja kaum Schritt halten. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Oettinger: Wir haben in den USA eine andere … ich sage jetzt nicht eine schlechtere, aber eine vereinfachte Medienwelt. Deswegen müssen wir, glaube ich, das Thema Medienbildung in der Schule, Medienerziehung unserer Kinder und der nächsten Generationen, aber auch das Thema Qualitätsjournalismus erneut auf die Tagesordnung bringen. Wir haben gerade in Deutschland noch immer eine Vielfalt von Presse, wir haben die duale Ordnung im elektronischen Bereich, wir haben einen Qualitätsanspruch, wir haben Grundversorgung. Die möchte ich erhalten. Jetzt sage ich nicht, weil ich gerade mit Ihnen spreche, aber Deutschlandradio ist ein einmaliges Qualitätsangebot. Und vor allen Dingen, die Chance, mit Ihnen so lange zu reden, fünf, sechs, sieben, acht Minuten, die bekommt man ansonsten in vielen anderen Medien nicht mehr, die bekommt man in den USA gar nicht mehr. Und ich glaube, das zu erhalten, zu stärken und darüber zu reden, jenseits der Inhalte, das scheint mir jetzt gerade nach diesem Wahlkampf entscheidend wichtig zu sein.
"Wir müssen schauen, dass unsere Sprache nicht zu fachchinesisch wird"
Heinemann: Uns bleiben noch zweieinhalb Minuten. Wie sollten, Herr Oettinger, Volksparteien im postfaktischen Zeitalter um Stimmen werben? Also in einem Zeitalter, wo sie einen Teil der Bevölkerung mit Fakten nicht mehr erreichen?
Oettinger: Unsere klassischen Formen der Veranstaltungen, der Abgeordnete kommt aus Berlin am Feierabend zurück, geht in den Ratskeller und Nebenzimmer und die Partei lädt ein, spricht und informiert, finden immer weniger Resonanz. Das heißt, wir müssen neue mediale Möglichkeiten nutzen, soziale Medien, unser eigener Auftritt im digitalen Zeitalter. Und zum Zweiten, das werfe ich auch mir immer vor: Wir müssen schauen, dass unsere Sprache nicht zu fachchinesisch wird, nicht zu stark durch Fachbegriffe geprägt ist, die zwar wir verstehen, in den Parlamenten, in der Kommission, in der Regierung, die aber der Bürger nicht mehr letztendlich begreift, die ihm zu komplex sind. Das heißt, eine gewisse sprachliche Verklarung, auch Vereinfachung halte ich für notwendig. Und dann, wir in der Politik müssen jeden Tag uns prüfen: Habe ich genügend Respekt vor dem Mitbewerber? Bin ich genügend souverän und korrekt zu einem Sozialdemokraten, einem Liberalen, einem Grünen, ja einem Linken? Bin ich genügend souverän zu dem, der völlig anders denkt? Habe ich Respekt vor einer anderen Meinung? Ich glaube, die kulturelle Grundlage für Politik im demokratischen Streit muss neu erarbeitet werden.
Heinemann: Sagt EU-Kommissar Günther Oettinger, CDU, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Oettinger: Ich danke auch, einen guten Tag!
Heinemann: Ihnen auch!