Sina Fröhndrich: Nicht einmal 20 Prozent Anteil hat der Schienengüterverkehr: Die Deutsche Bahn will die Sparte stärken - ab Januar gibt es einen eigenen Vorstandsposten für den Güterverkehr - und den übernimmt Sigrid Nikutta. Sie hat zehn Jahre lang die Berliner Verkehrsbetriebe gemanagt. Vor ihrem Wechsel konnte ich mit ihr sprechen. Auch über die Rolle des Nahverkehrs für den Klimawandel.
Das Ergebnis des Klimagipfels in Madrid ist eher dürftig. Um CO2 einzusparen, muss auch der Verkehr seinen Beitrag leisten - nach zehn Jahren an der Spitze der BVG - welche Bilanz ziehen Sie in Bezug auf den Klimaschutz?
Sigrid Nikutta: Der öffentliche Nahverkehr, gerade hier in Berlin, ist bereits extrem klimafreundlich. Zwei Drittel des Angebotes der BVG sind komplett CO2-neutral, denn U-Bahnen und Straßenbahnen fahren seit 1881 elektrisch und hier in Berlin auch mit grünem Strom.
Bei den Bussen haben wir derzeit 1500 Busse, überwiegend Euro-VI-Busse, und da sind wir jetzt dabei, diese Busse auf Elektrobusse umzustellen. So haben wir das klare Ziel, bis 2030 komplett elektrisch zu sein.
Fröhndrich: Jetzt ist es ja so, dass auch die Anzahl der Fahrgäste bei der BVG seit Jahren steigt. Allerdings nimmt auch der Autoverkehr in Berlin zu und wird dichter. Ist da nicht noch Spielraum, was die Fahrgastzahlen und die Nutzung der BVG angeht? Ist da noch mehr Potenzial nach oben?
Nikutta: Ich freue mich sehr über die steigenden Fahrgastzahlen. An einem Montag wie heute haben wir drei Millionen Fahrgäste, nur bei der BVG. Aber Sie haben recht: Es gibt Potenzial. Das heißt, wir können noch viel, viel mehr Fahrgäste aufnehmen.
Wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen für den öffentlichen Nahverkehr gut sind. Das heißt, dass Busse und Bahnen wirklich mit Priorität durch diese Stadt kommen, dass Ampelschaltungen da sind, die die Busse und Straßenbahnen bevorzugen, dass wir Busspuren haben, dass diese Busspuren frei sind. Und natürlich: Es muss deutlich investiert werden in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.
"Irgendjemand muss den öffentlichen Nahverkehr bezahlen"
Fröhndrich: Welche Rolle spielen denn vielleicht auch die Preise? Auch die BVG erhöht ja die Ticket-Preise jetzt wieder und es wird dann gleichzeitig auch immer auf Wien zum Beispiel verwiesen, wo es ein Jahres-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr für 365 Euro gibt. Wäre das was, was auch für die BVG in Frage käme?
Nikutta: Der Vergleich zu Wien ist immer gut. Wien ist halb so groß wie Berlin und unser Ticket kostet weniger als das Doppelte von Wien. Das heißt, wir sind eigentlich günstiger als das Wiener Modell, wie es so schön heißt.
Die Preise sind immer wieder in der Diskussion. Für mich ist die Frage aber wichtiger: Wer bezahlt eigentlich den öffentlichen Nahverkehr und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs? Irgendjemand muss es bezahlen. Wenn die Fahrgäste weniger bezahlen - und da bin ich auch durchaus ein Fan davon …
Fröhndrich: Aber 700 Euro sind ja dann doch eine Stange Geld, auch wenn Sie sagen, Berlin ist größer als Wien. Aber über 700 Euro für ein Jahres-Ticket, das ist natürlich schon ein bisschen was.
Nikutta: Das Gros unserer Fahrgäste fährt rabattiert. Das Job-Ticket, was wir anbieten, kostet unter 50 Euro im Monat. Schülerinnen und Schüler fahren komplett kostenlos in Berlin. Auch Auszubildende werden entsprechend rabattiert. Es gibt da schon ein umfangreiches System.
Wichtig ist nur: Es gibt keinen kostenlosen Nahverkehr. Irgendwer muss es bezahlen. Die politischen Diskussionen laufen sehr zurecht ja gerade, was soll der Fahrgast tragen und was trägt die Stadt.
Fröhndrich: Wie sehen Sie das denn? Was würden Sie sagen? Sollte die Stadt da mehr schultern?
Nikutta: Ich glaube, es ist wichtig, dass jeder Einzelne seinen Beitrag leistet – einerseits -, aber dass die Stadt und das Land dafür sorgen, dass die Infrastruktur ausgebaut wird, sprich, dass wir mehr Busse und Bahnen einsetzen können, denn das führt dazu, dass Menschen dann auch sagen, der Nahverkehr ist so praktisch, so viel einfacher, als mit dem Auto durch die Gegend zu fahren.
Fröhndrich: Jetzt haben Sie der BVG in den vergangenen Jahren ja ein ziemlich cooles Image verpasst. Wenn man sich den Twitter-Kanal anschaut, das ist schon sehr unterhaltsam, was die Kolleginnen und Kollegen da immer so absetzen an Tweets.
Trotzdem beschweren sich Fahrgäste natürlich immer noch über Ausfälle oder Verspätungen, erst gestern der SPD-Politiker Kevin Kühnert. Der hat sich über die Linie M41 in Neukölln beschwert. Cooles Image, aber gibt es immer noch einige Baustellen für die BVG?
Nikutta: So ein Riesenunternehmen mit 15.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, 1500 Bussen jetzt mal als Beispiel, da haben Sie immer Themen, an denen Sie arbeiten müssen und wo es auch Verbesserungspotenzial gibt.
Die M41 zum Beispiel ist eine Linie, die extrem häufig im Stau steht. Das führt dazu - und da verstehe ich dann auch unsere Fahrgäste -, dass sie sagen, was soll denn das, der Bus kommt gar nicht dann, wann er kommen sollte. Das liegt nicht an dem Busfahrer, nicht am Bus, hart gesprochen auch nicht an der BVG, sondern an den Straßenverhältnissen.
"Wenn wir das alles auf LKW packen, müssen wir neue Autobahnen bauen"
Fröhndrich: Jetzt sind diese Tage die letzten Tage für Sie bei der BVG. Da wurde ja von vornherein immer gesagt, das sei kein Traumjob. Jetzt wechseln Sie im Januar zur Deutschen Bahn, übernehmen da den Güterverkehr. Das sei ein Höllenjob, meint die "taz". Sind Sie bereit für diesen Höllenjob?
Nikutta: Das mit den Höllenjobs hat man bereits gesagt, als ich zur BVG kam. Ich bin da ganz optimistisch. Ich glaube, es ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, denn der Warengüterverkehr wird gemäß Prognosen in den nächsten Jahren um 40 Prozent steigen und da gibt es keine vernünftige Lösung, als dieses Wachstum über die Schiene abzubilden. Wenn wir das alles auf LKW packen, dann müssen wir neue Autobahnen bauen, und ich glaube, das möchte keiner.
Der Wechsel auf die Schiene ist genau jetzt angesagt und ich weiß, dass im Güterverkehr extrem viele, sehr engagierte und leidenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, und deshalb freue ich mich sehr auf die Herausforderung.
Fröhndrich: Das heißt aber auch, das Thema Klimaschutz wird Sie jetzt im Bahn-Tower wieder begleiten?
Nikutta: Genau! Das wird mich genau wieder begleiten und ich nehme auch die Beispiele mit, die wir in den Städten haben. In den Städten stellen wir auf Elektromobilität um. Das kostet, aber es bringt etwas für die Umwelt. Und genauso sollte man es, glaube ich, im Güterverkehr machen: Umstellen auf die Schiene. Das kostet, aber es bringt etwas für die Umwelt.
Fröhndrich: Ich würde mit Ihnen gerne noch über was anderes sprechen: über das Thema Frauen in Führung. Sie sind ja auch eine weibliche Führungskraft. Ärgert es Sie oder nervt es Sie sogar, dass wir darüber eigentlich noch immer reden müssen?
Nikutta: Ehrlich gesagt: Natürlich finde ich es schwierig, dass immer noch darüber geredet werden muss - einerseits. Andererseits finde ich es gut, dass darüber geredet wird, denn solange es nicht völlig selbstverständlich ist, dass Frauen die gleichen Chancen haben, in diese Führungspositionen zu kommen, solange müssen wir darüber reden.
"Sie sprechen gerade mit einer echten Befürworterin der Frauenquote"
Fröhndrich: Jetzt gibt es ja für Aufsichtsräte eine Quote, für Vorstände ist sie zumindest im Gespräch. Wie stehen Sie zu diesem Instrument? Ist das noch notwendig?
Nikutta: Eigentlich ist eine Quote natürlich das letzte Mittel. Viel schöner wäre es, wenn sich die Dinge von selbst regeln. Allerdings hat mich im Laufe meines Berufslebens der Optimismus verlassen, dass sich das von selbst regelt. Also sprechen Sie gerade mit einer echten Befürworterin der Quote, sowohl für Aufsichtsräte als auch für Vorstände.
Fröhndrich: Und Sie selbst haben ja auch bei Ihnen im Unternehmen Managerinnen und Managern weniger gezahlt, wenn die beispielsweise zu wenig Frauen in ihrer Abteilung beschäftigen. Welches Fazit ziehen Sie da? Ist das ein gutes Instrument? Hat das funktioniert?
Nikutta: Ja! Wir haben den Anteil von Frauen in der Zielvereinbarung verankert, und zwar den Anteil der einzustellenden Frauen. Ganz einfach: Die Hälfte der frei werdenden Stellen ist mit Frauen zu besetzen. Und wenn sie das nicht hinbekommen, aus welchen Gründen auch immer, dann merken sie es in ihrem eigenen Portemonnaie.
Das wirkt! Ich glaube, man braucht es, um hier wirklich Bewegung hinzubekommen, um wirklich alle Leute dazu zu bringen, ganz gezielt zu gucken, wie schaffe ich es eigentlich, Frauen und Männer gleichberechtigt einzustellen.
Fröhndrich: Was ich daran ja interessant finde ist, dass es bei dieser Quotenfrage ja eher um die Chefetagen geht. Sprich: Da fragt man sich am Ende auch, profitieren da vielleicht nicht nur Frauen, die besonders gut vernetzt sind, Besserverdienende. Und das Instrument, was Sie jetzt angewandt haben, bezieht sich ja auch auf alle Ebenen.
Nikutta: Genau.
Fröhndrich: Fehlt uns das manchmal bei dieser Quotenfrage, dass es dazu sehr um die privilegierte Frau geht?
Nikutta: Es geht um das gesamte Thema. Bei der BVG ist es so, dass sich das schon bei uns wirklich jetzt auch bei der Einstellung der Auszubildenden zeigt. Da ist das ein ganz entscheidendes Thema, denn da muss ich Hälfte-Hälfte einstellen.
Denn aus den Auszubildenden rekrutiert sich im Idealfall der Mitarbeiter, die Mitarbeiterin für morgen und auch die Führungskraft für morgen. Das heißt, bereits da muss ich quasi mit der Parität anfangen, damit ich dann die Chance habe, das auch auf anderen Ebenen weiterzuentwickeln.
Fröhndrich: Jetzt sind Sie ja sehr bekannt für Ihren Schal mit dem Muster der U-Bahn-Sitze. Nehmen Sie den mit in den Bahn-Tower, oder bleibt der im alten Büro oder Zuhause in Zukunft?
Nikutta: Ich nehme ihn mit nachhause. Ich werde ihn auch privat tragen. Aber die Kollegen der Bahn haben schon dafür gesorgt, dass meine Garderobe jetzt auch um Bahn-Schals reicher geworden ist. Ich habe für den Einsatz in der Bahn jetzt auch schlicht rote Schals.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.