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Gütesiegel für Agrartreibstoffe

Agrartreibstoffe müssen seit Anfang des Jahres gewissen Umweltauflagen genügen. Alles, was in den Tank kommt, muss zertifiziert sein.

Jule Reimer im Gespräch mit Britta Fecke | 07.03.2011
    Britta Fecke: Im Vergleich zu herkömmlichen Kraftstoffen verursacht E10 weniger Treibhausgase und verbraucht geringere Mengen Erdöl, so wirbt das Bundesumweltministerium auf seiner Internetseite. Um die Umweltverträglichkeit von Biokraftstoffen wie das im E10 enthaltene Bioethanol zu gewährleisten, hat die Bundesregierung eine Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung erlassen heißt es dort weiter. Bundesumweltminister Norbert Röttgen hat am Wochenende die Ethanol Beimischung zu Benzin und Pflanzenölen erneut verteidigt. Die Nutzung von Biokraftstoffen sei die richtige Strategie, auch im Sinne der deutschen Autofahrer, die umweltbewusst sind. Zu mir in Studio gekommen ist meine Kollegin Jule Reimer.

    Britta Fecke: Die Umweltverbände kritisieren die Beimischung von Agrartreibstoffen als ökologisch schädlich, wie kommt der Umweltminister dazu, diese zu loben?

    Jule Reimers: Die Grundlage für Röttgens Meinung ist die von Ihnen genannte Verordnung über die Anforderungen an eine nachhaltige Herstellung von Biokraftstoffen. Die besagt, dass alles, was in den Tank kommt, zertifiziert sein muss. Und als nachhaltig gilt, wenn der Anbau von Palmöl, Raps oder Zuckerrüben oder Zuckerrohr nicht auf Flächen mit hohem Wert für die biologische Vielfalt geschah, also Naturschutzgebiete, Grünlandfächen oder tropische Wälder dürfen dafür nicht einfach abgeholzt werden, der Referenzzeitpunkt ist der 1. Januar 2008. Weiter sagt die Verordnung, dass die Agrarkraftstoffe nicht von Flächen stammen dürfen, die einen hohen Kohlenstoffbestand aufweisen, also Wälder grundsätzlich, Feuchtgebiete, Torfmoore. Die binden CO2 und das wird freigesetzt, wenn diese zerstört werden.

    Außerdem müssen die Flächen nachhaltig bewirtschaftet werden, landwirtschaftlich nachhaltig. In der EU heißt das, die Landwirte müssen die Cross-Compliance-Auflagen. Dann muss der Einsatz der Agrartreibstoffe nachgewiesener Weise gegenüber dem Einsatz von Erdöl eine Treibhausgasminderung von 35 Prozent erbringen. Ob das gelingt, da muss man jedes Mal genau hinschauen, je nach Pflanze, Verfahren und Transportwegen.

    Britta Fecke: Wie verbreitet ist das Gütesiegel?

    Jule Reimers: Es ist noch nicht so furchtbar weit verbreitet. Die Vorgaben kommen von der Europäischen Union und in Deutschland ist die Umsetzung am weitesten vorangeschritten. Hier sind 80 Prozent der heimischen Ernte zertifiziert. Wir haben hier einmal das redcert-Siegel. Das gilt EU-weit und daran ist unter anderem der Deutsche Bauernverband beteiligt. Die Landwirte ärgern sich übrigens über die Zertifizierungspflicht, weil sie sagen, sie würden doch in der EU automatisch nachhaltig produzieren. Dieses redcert-Siegel bezieht nur die genannten Umweltkriterien mit ein.

    Die internationale Variante, die für Deutschland aus der Taufe gehoben wurde, ist das ISCC-Siegel - "International Sustainability Carbon Certification". Es gilt weltweit und wird von einem Verein getragen, wo unter anderem die großen Agrarhändler Bunge, Cargill, Töpfer International dabei sind, auch Shell und als einzige Umweltorganisation der WWF. Dort werden neben den genannten Umweltkriterien auch Sozialstandards überprüft: Es werden zum Beispiel für den Anbau von Palmen häufig Kleinbauern vertrieben, es gibt sklavenähnliche Zustände beim Zuckerrohranbau, Kinderarbeit, das soll alles ausgeschlossen sein. Zertifiziert sind mit diesem ISCC-Siegel schon viele Unternehmen in den USA, in Australien und Argentinien. Aber die Brasilianer sagen zum Beispiel - überspitzt formuliert - die spinnen, die Europäer, beziehungsweise die Deutschen. Es sind also noch nicht alle dabei.

    Britta Fecke: Reicht das Siegel aus, kann sich der ökologisch und sozial engagierte Autofahrer jetzt zurücklehnen und beruhigt E10 tanken ?

    Jule Reimers: Ja, nein, jein, nein. Das Siegel trägt zur Bewusstseinsbildung bei, es löst aber das Grundproblem nicht, nämlich Teller versus Tank: Auf den Flächen, auf denen Raps oder Zuckerrohr angebaut werden, können keine Nahrungsmittel angebaut werden. Es wirkt der Klimaerwärmung nicht wirklich entgegen, weil es keine Zertifizierung für Lebens- und Futtermittel gibt. Das bedeutet, es findet ein Verdrängungsprozess statt, etwa so: Wo bisher an den Rändern des Amazonas Soja als Futtermittel für europäische Schweine angebaut wurde, kann jetzt zertifiziertes Zuckerrohr für europäische Autotanks wachsen und die Soja-Produzenten ziehen einfach weiter in den Regenwald, holzen dort ab und können trotzdem weiter exportieren. Die Zertifizierung macht also eigentlich nur Sinn, wenn man sie auf Nahrungs- und Futtermittel ausdehnt.