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Guinea
Die grausame Geschichte des Camp Boiro

Nach der Unabhängigkeit 1958 ließ Guineas Staatschef Sekou Touré zehntausende Menschen inhaftieren, foltern und ermorden. Bis heute wird das Camp Boiro totgeschwiegen. Die Opfer sprechen von einem Fluch, der auf dem Land liegt.

Von Benjamin Moscovici |
Abbas Bah besucht die Überreste des Camp Boiro. Unser Begleiter war schon zu Zeiten des Camp Boiro hier stationiert. Allerdings in dem Kasernenteil, nicht in dem Gefängnisabschnitt. Von dem Horror nebenan wusste er sehr gut. Aber wenn du den Leuten helfen wolltest, bist du selbst im Camp gelandet, sagt er.
Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass innerhalb von 26 Jahren 50.000 Menschen ermordet wurden. Sieben Jahre hat Abbas Bah hier verbracht. (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)
Guinea. Ein kleiner Staat im äußersten Südwesten des afrikanischen Kontinents. Einst galt Guinea als absolute Avantgarde in Westafrika. 1958 war es das erste Land, das die französische Kolonialherrschaft abschüttelte. Heute hingegen rangiert das Land in so ziemlich jedem Ranking irgendwo auf den letzten Plätzen. Wie konnte es dazu kommen?
Guinea ist ein Land mit einer ganz eigenen Geschichte. Ein Land, dessen Probleme dennoch in Vielem stellvertretend für die Probleme eines ganzen Kontinents stehen. Es geht um Rohstoffe und Korruption, um die Ursprünge und Ursachen von Migration und um die fatalen Irrwege nach der Unabhängigkeit.
"Wir sprechen nicht gerne darüber"
Wir sitzen in einem kleinen Café im Herzen von Guineas Hauptstadt Conakry. Es ist schwül, die Sonne brennt auf das Wellblechdach der Holzhütte, die sich an eine hohe Betonmauer lehnt. Einige Männer spielen Dame.

"Wissen Sie, was hier hinter der Mauer liegt?"
"Ich habe davon gehört. Camp Boiro, Camp Boiro."
"Und Sie, kennen Sie die Geschichte des Camp Boiro?"
"Ja, ein bisschen. Damals war hier ein großes Lager. Ein großes Camp, wo man die Leute eingesperrt hat."
"Wir sprechen nicht gerne darüber. Wenn man damit anfängt, lässt es einem keine Ruhe."
Bertis Café. Männer beim Dame spielen. Links hinter der Mauer liegt das Camp Boiro
Bertis Café. Männer beim Dame spielen. Links hinter der Mauer liegt das Camp Boiro (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)
Zwischen 1961 und 1984 befand sich hier das berüchtigte Foltergefängnis Camp Boiro. Tausende verschwanden für Jahre hinter Gittern, verhungerten, verendeten an ihren Folterwunden und Krankheiten. Nur wenige kamen lebend wieder heraus. Hier, hinter den schweren Eisentüren im Verhörraum des Camp Boiro zerbrach die Hoffnung Guineas auf Freiheit und eine bessere Zukunft, damals, kurz nach der Unabhängigkeit von Frankreich.
Guinea befreit sich von der französische Kolonialherrschaft
Wie konnte es dazu kommen? Wie wurde aus dem ersten afrikanischen Land, das die französische Kolonialherrschaft abwarf, eine Diktatur nach stalinistischem Vorbild? Eine Reise in die Vergangenheit:
Am 25. August 1958 um 16 Uhr landet die Maschine von Regierungschef Charles de Gaulle auf dem Flughafen in Conakry. Es ist eine seiner letzten Stationen auf einer ausgedehnten Afrikareise. Der General spürt, dass die Zeichen auf Wandel stehen. Die Zeit des Kolonialismus neigt sich dem Ende zu.
Der französische General Charles de Gaulle beim Besuch in Conakry 1958
Der französische General Charles de Gaulle beim Besuch in Conakry 1958 (picture-alliance / akg-images )
De Gaulle hat daher ein Angebot im Gepäck: eine neue Verfassung. Die soll den Status der Kolonien neu regeln. Die Rede ist von einer interkontinentalen "französischen Gemeinschaft". Der implizite Deal: "Wir bereiten schrittweise die Unabhängigkeit vor, dafür zettelt ihr keine Aufstände an." Die Reaktionen sind positiv. Doch in Guinea erlebt de Gaulle an diesem Tag eine böse Überraschung. Ein junger Mann fordert die Kolonialmacht offen heraus. Sekou Touré. Er ist der Chef der führenden antikolonialen Partei Guineas. In einer Rede im Parlament richtet sich Sekou Touré mit deutlichen Worten an de Gaulle:
"Wir ziehen die Armut in Freiheit einem Leben in Wohlstand und Sklaverei vor."
Es sind die wohl berühmtesten Sätze in der Geschichte Guineas. Inspiration für Freiheitskämpfer in ganz Afrika. Der Auftakt für ein neues Kapitel in der guineischen Geschichte. Die Antwort de Gaulles fällt knapp aus, sein Zorn ist deutlich hörbar.
"Guinea kann die Unabhängigkeit ergreifen, wenn es am 28. September mit Nein über unser Angebot abstimmt. In diesem Fall garantiere ich, dass das französische Mutterland diesen Schritt nicht behindert. Aber Guinea wird die Konsequenzen tragen müssen."
Tatsächlich stimmen die Guineer einen Monat später mit überwältigender Mehrheit mit Nein ab. Als einzige französische Kolonie. Und de Gaulle zeigt der Unabhängigkeitsbewegung, was er mit "Konsequenzen" meinte. Frankreich tut jetzt alles, um die junge Republik zu destabilisieren.
Ahmed Sékou Touré, der erste Präsident Guineas war von 1958 bis zu seinem Tod 1984 im Amt.
Ziel war es, Ahmed Sékou Touré, den ersten Präsidenten Guineas, zu destabilisieren. (World History Archive)
Am 29. Februar 1959, ein halbes Jahr nach der Unabhängigkeit Guineas, landet eine Maschine des Typs C47 in Dakar. An Bord sieben Franzosen. Ihre geheime Mission: Guinea destabilisieren. Nach Möglichkeit Sekou Touré stürzen. Alles belegt durch Briefe, Telegramme, historische Unterlagen und die Memoiren Beteiligter. Aber die Waffenlieferungen der Agenten fliegen auf, guineische Mitverschwörer werden enttarnt. Sekou Touré ist außer sich. Er weiß, dass alles auf dem Spiel steht: die Revolution, die Freiheit, sein eigenes Leben. Schon bald sah Touré überall Verschwörungen und Verschwörer.
Die grausame Geschichte des Camp Boiro
"Es war die reinste Terrorherrschaft, die Sekou Touré aufbaute," erklärt der Historiker Djibril Tamsir Niame. Eine der ersten frei erfundenen Geschichten war der angebliche Komplott der Lehrer. Djibril Tamsir Niame, damals Schulleiter an einem Gymnasium in Conakry, wurde so einer der ersten Insassen des Camp Boiro. Drei Jahre verbrachte er im Gefängnis.
Der Historiker Djibril Tamsir Niame kam 1961 als einer der ersten ins Camp Boiro. Porträt
Der Historiker Djibril Tamsir Niame kam 1961 als einer der ersten ins Camp Boiro. (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)
Was damals passierte, will er nicht erzählen. Aber es gibt andere, die bereit sind zu sprechen.
Ich treffe Abbas Bah vor dem Eingang des Camp Boiro. Für einen 75-Jährigen steigt er ziemlich beschwingt von dem Motorrad, mit dem er sich zum Lager hat fahren lassen.

Heute ist das Camp Boiro ein ganz normales Militärlager. Nur ein kleiner Teil erinnert hier noch an den Horror der Vergangenheit. Aber ohne Genehmigung können wir die Überreste des Camp Boiro nicht besuchen. Wir stellen uns beim Lagerkommandanten vor.
"Ich werde euch einen Militär mitgeben, damit ihr nicht belästigt werdet. Das ist hier schließlich ein Militärlager. Mit einem Repräsentanten des Chorchefs habt ihr keine Probleme."
Mit einem Zeitzeugen durch das Foltergefängnis
Gemeinsam mit unserem Begleiter machen wir uns auf den Weg zwischen den Kasernen zu dem, was vom Camp Boiro noch steht.
"Hier war der Eingang. Es gab ein schwarzes Eisentor. Hier waren die Zellen, und dort rechts war das Büro der Wächter. All das hier waren Häuser mit Zellen. Ich wurde dort drüben untergebracht. Zelle 22. Ich habe geschrien und gewettert. Einen Monat lang."
Zu dritt gehen wir ins Innere des Gebäudes. Im Zentrum liegt ein schmaler, hoher Innenhof, links davon liegen vier Zellen mit schweren Eisentüren. Es ist furchtbar schwül, die Hitze staut sich. Sieben Jahre hat Abbas Bah hier verbracht. Erst wurde er tagelang ausgehungert. "Afrikanische Diät", so nannten die Wärter die Methode. Danach kam die Folter.
"Zwei Tage haben sie mich bearbeitet. Sie holten mich um zwei Uhr nachts und haben mich gefoltert bis der Muezzin zum Morgengebet rief. Alle die hier waren, haben das durchlaufen. Schließlich habe ich ein Geständnis abgelegt. Ich habe unterschrieben, dass ich der CIA beigetreten sei, Spion der Nazis war und für den französischen Geheimdienst gearbeitet habe. Ich war damals 24 Jahre alt. Ich habe gestanden, dass ich sehr viel Geld erhalten hätte, um eine Miliz im Messerkampf auszubilden, Präsident Sekou Touré zu ermorden und sein Amt zu übernehmen. Ich soll Sekou Toure beerben. Das ist unglaublich. Völlig verrückt."
Als Sekou Touré 1984 schließlich stirbt und das Camp Boiro nach 20 Jahren seine eisernen Tore öffnet, gibt es nur wenige Überlebende. Zehntausende sind für immer verschwunden. Historiker und Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass in den 26 Jahren von Sekou Tourés Herrschaft rund 50.000 Menschen ermordet und Opfer der staatlichen Willkür wurden. Der Journalist Facely Deux Mara war einer der ersten, die das Lager nach der Öffnung besuchten.
"Es war furchtbar."
Facely Mara wollte mehr wissen, wollte erfahren was sich in dem Lager abgespielt hatte. Gleich am nächsten Tag begann er im staatlichen Radio mit einer neuen Sendereihe. "A vous la parole". Opfer konnten kommen und ihre Geschichte erzählen.

"Ich war mir nicht bewusst, dass ich an diesem Tag ein neues Kapitel in der Geschichte unseres Landes aufschlagen würde."
"A vous la parole" wurde unzweifelhaft die wichtigste Radiosendung in der Geschichte Guineas. Jeden Abend um 18 Uhr schaltete das ganze Land ein. Mara erhielt Dankesnachrichten und Morddrohungen. Schließlich, nach 93 Tagen wurde die Sendung abgesetzt. Zu eng waren die Militärs, die inzwischen die Macht übernommen hatten, mit den Gräueln im Camp Boiro verbunden. Seitdem hat sich Schweigen über die Geschichte gelegt. Abbas Bah sagt: "Sekou Touré hat 50.000 Menschen ermorden lassen. Diese Menschen haben nie ein richtiges Begräbnis bekommen. Bis heute hängen ihre Seelen über Guinea und suchen unser Land heim."
Porträt des Journalisten Facély Deux Mara. Er war einer der ersten, der das Camp Boiro nach dem Tod Sekou Tourés 1984 besuchten. Seine Radiosendung "A vous la Parole" wurde bald zur unzweifehaft wichtigsten Sendung in der Geschichte Guineas. Opfer konnten hier jeden Tag eine halbe Stunde ihre Geschichte erzählen.
Porträt des Journalisten Facély Deux Mara. Er war einer der ersten, der das Camp Boiro nach dem Tod Sekou Tourés 1984 besuchten. Seine Radiosendung "A vous la Parole" wurde bald zur unzweifehaft wichtigsten Sendung in der Geschichte Guineas. Opfer konnten hier jeden Tag eine halbe Stunde ihre Geschichte erzählen. (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)