"In dieser Zelle hausten 50 bis 70 Leute. Hier war alles streng geheim. Die Waggons, in denen die politischen Häftlinge hergebracht wurden, standen tagsüber auf Abstellgleisen. Sie fuhren nur nachts. Die Häftlinge wussten nicht, wo sie waren."
Eine Führung durch das Museum "Perm 36". Hier saßen vor allem
politische Häftlinge und Dissidenten, unter ihnen zahlreiche Ukrainer und Balten. Schautafeln zeigen die prominentesten Insassen und ihre Biografien. Der Menschenrechtler Sergej Kovaljov ist darunter. Er hatte Ende der 60er-Jahre eine Untergrundzeitschrift herausgegeben. Und der ukrainische Dichter Vasil Stus, Kandidat für den Literaturnobelpreis. Er starb im Lager unter ungeklärten Umständen.
politische Häftlinge und Dissidenten, unter ihnen zahlreiche Ukrainer und Balten. Schautafeln zeigen die prominentesten Insassen und ihre Biografien. Der Menschenrechtler Sergej Kovaljov ist darunter. Er hatte Ende der 60er-Jahre eine Untergrundzeitschrift herausgegeben. Und der ukrainische Dichter Vasil Stus, Kandidat für den Literaturnobelpreis. Er starb im Lager unter ungeklärten Umständen.
Seit einigen Wochen ist es mit den Führungen vorbei. Die Behörden haben Strom und Wasser abgestellt. Arsenij Roginskij, Leiter der Menschenrechtsorganisation Memorial und Mitgründer der Gedenkstätte "Perm 36", spricht von einer Kampagne. Schon seit mehr als einem Jahr machen Aktivisten einer rückwärtsgewandten patriotischen Jugendorganisation gegen die Gedenkstätte im Ural mobil. Roginskij:
"Eine ihrer Losungen heißt: 'Zurück in die UdSSR'. Sie haben Briefe an den Gouverneur und an den russischen Präsidenten geschickt. Darin schreiben sie, dass unser Museum systematisch Propaganda gegen die Sowjetmacht betreibe."
Immer neue Kampagnen gegen die Gedenkstätte
Die Regionalregierung kürzte daraufhin vor einem Jahr zunächst die Zuschüsse für das Sommerfestival der Gedenkstätte Pilorama. Seit 2005 trafen sich Menschen aus ganz Russland in dem ehemaligen Lager, um in offener Atmosphäre aktuelle Fragen der Gesellschaft zu diskutieren. Im letzten Jahr musste das Festival ausfallen. Anfang dieses Jahres stellte die Regierung dann die Zuschüsse für die gesamte Gedenkstätte ein und entließ die Direktorin des Museums. Aber die Kampagne gegen die Gedenkstätte ging weiter.
Anfang Juni strahlte der für Propagandamachwerke bekannte kremlnahe Sender NTW einen Film über Perm 36 aus. Der Titel: "Die Fünfte Kolonne". Die Filmemacher unterstellen den Musuemsbetreibern, sie würden mit ausländischem Geld Russlands Geschichte in den Dreck ziehen. Sie würden ukrainische Faschisten verherrlichen, deren Nachfahren heute einen, so wörtlich, Genozid, an der russischstämmigen Bevölkerung in der Südostukraine verübten. In dem Film äußert sich auch der Kulturminister der Region, Igor Gladnew, über die Museumsmacher:
"Am Ende schreiben die uns noch vor, wie wir Geschichte, Personen und Ereignisse bewerten sollen, die mit unserem nationalen Charakter zusammenhängen. Die entwickeln dabei einen solchen Eifer, dass ich mich frage: Warum? Wem nützt das?"
Kurz nach der Ausstrahlung des Films benannte die Regionalregierung einen neuen Museumsdirektor – ohne es mit Memorial abzusprechen, und obwohl das Museum Memorial gehört. Arsenij Roginskij vom Vorstand der Menschenrechtsorganisation vermutet, dass es den Behörden vor allem darum gehe, Kontrolle auszuüben und Einfluss auf die Ausstellungsinhalte zu nehmen. In Russland wird heute Stalin rehabilitiert, es gibt sogar Überlegungen, Wolgograd in Stalingrad zurückzubenennen. "Perm 36" passe nicht ins Konzept der heutigen Politik, so Roginskij.
"In Russland findet ein Kampf um die Geschichte statt, und die Kampagne gegen Perm 36 ist Ausdruck dieses Kampfes. Präsident Putin sagt seit vielen Jahren: Wir hatten eine ruhm- und siegreiche Vergangenheit. Auf sie müssen wir stolz sein. Wir hingegen sagen: In unserer Geschichte gab es außer Siegen auch sehr viel Beschämendes. An das Beschämende müssen wir erinnern und es verstehen.
Man darf in Russland heute Mitleid mit den Opfern des Terrors haben. Aber weiter in die Tiefe zu gehen, zu fragen, warum es die Opfer gab, um eine Wiederholung der Geschichte zu vermeiden – das ist nicht gewünscht."
Man darf in Russland heute Mitleid mit den Opfern des Terrors haben. Aber weiter in die Tiefe zu gehen, zu fragen, warum es die Opfer gab, um eine Wiederholung der Geschichte zu vermeiden – das ist nicht gewünscht."
Memorial hat sich an die Putin-Administration gewandt, sucht einen Kompromiss. Roginskij sagt aber, Staatsterror müsse auch Staatsterror genannt werden. Wenn das nicht mehr möglich sei, werde sich seine Organisation aus Perm 36 zurückziehen. Dann gibt es keine Gulag-Gedenkstätte am historischen Ort mehr.