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Gummi rettet Leben

Technik. - Nicht-letale Waffen sollen den Gegner nicht töten, sondern nur kampfunfähig machen. Vor rund fünf Jahren erlebte die Forschung auf diesem Gebiet einen regelrechten Boom, bedingt durch die wachsende Zahl asymmetrischer Konflikte. In Ettlingen erörtern derzeit Experten den Stand der Entwicklung. Darüber spricht der Wissenschaftsjournalist Ralf Krauter mit Gerd Pasch.

22.05.2007
    Gerd Pasch: Herr Krauter, gab es denn nennenswerte Fortschritte bei den nicht tötenden Waffen?

    Ralf Krauter: Nicht-letale Waffen sollen Opponenten zeitlich begrenzt unschädlich machen, ohne sie eben ernsthaft zu verletzen. Geforscht wird in vielen Gebieten: das klassische Tränengas wird hier ebenso thematisiert beim Europäischen Symposium zu Nicht-letalen Waffen in Ettlingen wie gerichtete Energiestrahlen - Mikrowellen, oder auch Elektroschockgeräte. Fortschritte gab es eigentlich überall, technisch gesehen, aber ein zentrales Problem bleibt, nämlich das der Dosierung. Denn vieles, was in einer bestimmten Dosis nicht tödlich ist, wird in Überdosis eben doch tödlich, beispielsweise bei Elektroschocks. Sehr wichtige Fortschritte hat man erzielt bei der so genannten Wuchtmunition. Das sind Projektile aus Gummi oder Plastik, die sehr stark schmerzen, wenn man davon getroffen wird, die aber nicht in den Körper eindringen und deswegen auch keine bleibenden Schäden verursachen.

    Pasch: Gummi-Geschosse, das scheint mir ein alter Hut zu sein?

    Krauter: Richtig, die gibt es schon seit den 70er Jahren, aber man muss schon sagen, es gab besonders in den Jahren 2003 und 2004 vor allem in Großbritannien ein großes Optimierungs- und Evaluierungsprogramm. Das Ziel war es, die Zahl tödlicher Zwischenfälle bei Verwendung solcher Geschosse zu reduzieren. Das Ergebnis sind so genannte Attenuated Energy Projectiles - handtellergroße Projektile, die mit speziellen Gasgewehren auf Ziele in bis zu 70 Meter Entfernung verschossen werden. Wird man davon getroffen, tut das ordentlich weh, es fühle sich an, so berichten Testpersonen, wie der Faustschlag eines Profiboxers. Zurück bleiben dann faustgroße Prellungen. Der Schmerz führt dazu - so das Kalkül der Entwickler - dass das Ziel von seinem üblen Tun ablässt. In der Tat wäre das eine Deeskalation ohne Blutvergießen.

    Pasch: Wie harmlos sind denn diese neuen Geschosse tatsächlich?

    Krauter: Bevor diese neuartige Wuchtmunition 2004 nach ausführlichen Tests von der britischen Polizei erstmals benutzt wurde, gab es in Nordirland insgesamt 17 Tote durch Plastikgeschosse bei Polizeieinsätzen. Danach gar keine mehr. Es ist also eine Erfolgsgeschichte, da waren sich alle Experten einig. Das funktioniert aber auch nur, weil die Einsatzkräfte in Großbritannien speziell geschult worden sind. Denen wurde etwa eingetrichtert, dass Kopf, Hals und Genick nach wie vor tabu sind für solche Geschosse, denn sonst wird es gefährlich. Ein Beispiel für die Wirksamkeit dieses ganzheitlichen britischen Ansatzes gab es in Belfast 2005: da gab es einen protestantischen Mob von 3000 Leuten, die das Katholikenviertel stürmen wollten. Die Polizei nahm die Anführer mit Wuchtmunition ins Visier und feuerte insgesamt 500 Schuss ab. Das Ergebnis war: die Situation entspannte sich, ohne dass es zu Blutvergießen gekommen war.

    Pasch: Welche technologischen Tricks hat man denn sonst noch so auf Lager?

    Krauter: Das Problem ist nach wie vor: über kurze Distanz ist die kinetische Energie dieser Projektile eben immer noch groß genug, es kann zu gefährlichen Verletzungen kommen, zum Beispiel zu inneren Verletzungen. Abhilfe hat sich der italienische Waffenhersteller Beretta ausgedacht im Auftrag des italienischen Militärs: bei diesem neuen Gewehr stellt man vorab die Entfernung zum Opponenten ein und wenn der besonders nah steht, dann wird mit geringerer Energie gefeuert als bei größerer Distanz. Das Ziel ist, immer die gleiche Wucht beim Aufprall zu erzielen, um so schlimmere Verletzungen zu vermeiden. Das Ganze wird gerade von der italienischen Armee im Feld getestet.