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Gunther Nickel und Johanna Schrön: Carl Zuckmayers ''Geheimreport''

Ihre Arbeit ist so gut. Wenn Sie nicht schon berühmt wären, könnten Sie es damit werden.

Ariane Thomalla |
    Emmy Rado, eine Mitarbeiterin des amerikanischen Geheimdienstes, schrieb das 1944 an Carl Zuckmayer. Ihr Lob bezog sich auf die Dossiers über Künstler und Intellektuelle in Nazi-Deutschland, die der exilierte Dramatiker als Auftragsarbeit des OSS verfasst hatte. Unter dem Titel "Geheimreport" erscheint diese Porträtsammlung erstmals.

    Da es in unserem Fall hauptsächlich um die Vertreter künstlerischer oder kunstnaher Berufe geht - Schauspieler, Regisseure, Dichter, Maler, Musiker, Schriftsteller, Journalisten -, muss man sich darüber klar sein, dass man sie charakterologisch und besonders in ihrem charakterlichen Verhalten während einer Zeit politischer Umschwünge und Katastrophen anders beurteilen muss als etwa führende Politiker, Industrielle, Militärs, Beamte, Wissenschaftler. Tatsache ist, dass eine Reihe der hier zu behandelnden Personen auf dem Standpunkt standen und vielleicht noch stehen, die ganze Schweinerei ginge sie im Grund nichts an. Sie seien dazu da, ihre Kunst zu machen, und es käme nur darauf an, dass die Kunst gedeihe und weiterlebe.

    Gedeihe und weiterlebe im Dritten Reich. Mit diesen Sätzen begann Carl Zuckmayer 1943/44 seinen "Geheimreport", den er für keinen geringeren Auftraggeber als den amerikanischen Geheimdienst OSS verfasste, dem Office of Strategic Services, dem Vorläufer des CIA. Eine freilich im Vergleich mit dem 1947 gegründeten CIA, der eine Institution des Kalten Kriegs und der MacCarthy-Ära war, harmlose Institution, die kulturelle Aufklärung für die Nachkriegszeit in Deutschland betrieb, also wissen wollte: Mit wem sei dann zu arbeiten, mit wem auf keinen Fall. Auch wenn es geheim war, für das OSS zu arbeiten, empfand man es mit Sicherheit nicht als ehrenrührig und keineswegs als Denunziantentum. Informierte man doch - anders als die späteren Stasi-Spitzel - nicht für, sondern gegen ein totalitäres Regime. Fast die Hälfte der deutschen Emigranten in den Staaten, schreibt der federführende Herausgeber des "Geheimreports" Gunther Nickel vom Marbacher Literaturarchiv, habe mitgetan. Allen voran Herbert Marcuse und einige weitere Mitarbeiter des emigrierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Selbst die Familie Mann, weiß Thomas-Mann-Biograph Klaus Harprecht, habe, sie wiederum dem FBI, "willig über die Zuverlässigkeit der Mitglieder des Exilantencorps" berichtet, was vielleicht denn doch ein wenig mehr an Spitzeltum erinnert. Zuckmayers "Geheimreport" umfasst 150 Charakterporträts von im Reich verbliebenen "Vertretern künstlerischer oder kunstnaher Berufe". Spektakulär ist weniger, dass er den Report verfasste, sondern wie er ihn schrieb. Aus der Emigration versuchte er eine Binnensicht des Dritten Reichs. Dorthin war er bis zum "Anschluss" von seinem österreichischen Domizil aus noch mehrfach eingereist. Natürlich immer illegal. Einmal, um im dunklen Zuschauerraum in Berlin eine Probe bei Heinz Hilpert, "dem besten aller Nichtnazis im Dritten Reich", wie er urteilt, zu erleben. Ein Beispiel für des Autors Sicht auf die Kultur im Dritten Reich:

    Man wird fragen: Wie geht das damit zusammen, dass er als Leiter des vom Propagandaministerium subventionierten Deutschen Theaters ein von den Naziautoritäten anerkannter Mann an erster Stelle, ja der Auserwählte des Dr. Goebbels, ist? Antwort: Es geht zusammen - wie so vieles - anscheinend Unvereinbare - in dem seelisch verworrenen und organisatorisch intakten Bienenstock oder Ameisenbau des Nazistaates. Die Nazis haben immer Ausnahmen gemacht, wo sie glaubten, sicher sein zu können, dass diese ihnen nicht wirklich schaden, sondern ihrem Glanz, ihrem Prestige, aber auch ihrem eigenen Wohlbehagen oder Standard dienlich sein könnten. Wer nicht selbst miterlebt hat, wie Hilpert dem Heil-Hitler eines beflissenen Statisten nach langem vernichtenden Blick, Räuspern, Spucken und bedeutsamen Kopfschütteln mit einem breiten "Guten Mor'jen" antwortet, kann sich keine Vorstellung machen.

    Zuckmayer wollte also keine Schwarz-Weiß-Sicht, als er 1943/44 nächtens auf seiner abgelegenen und oft durch Schnee von der Welt abgeschlossenen Farm in den Bergen von Vermont an seinen Dossiers bastelte. Emmy Rado, die Chefin des mit dem für die Zusammenarbeit mit den Emigranten zuständigen New Yorker Büros des OSS, schrieb:

    Tun Sie bitte Gerüchte, Geschichten, "dirts" etc. mit herein. Vielleicht kann so etwas noch gebraucht werden im Psychological Warfare. Halten Sie nicht zurück!

    Aber Zuckmayer differenzierte. Mehr noch: Er entwickelte literarische Ambition. Es gibt Kabinettstücke unter den Porträts. Statt des verlangten Schwarz oder Weiß gab er Grau in den feinsten Schattierungen. Ein Dramatiker, der, um die Wahrheit seiner Charaktere bemüht, nicht anders konnte, als sie psychologisch tief auszuloten und ‚gut' zu machen. Differenzierungen, die sicherlich den heutigen "Gewissenswächtern" über die Schuld der Deutschen wehtun. Die seinerzeit unter den deutschen Emigranten ausgebrochene Debatte hat Deutschland bis heute nicht verlassen, bis zum Historikerstreit nicht und nicht bis zur Walser-Debatte. Zuckmayer sah den Morgentau-Plan, sah die rigide Haltung der einflussreichen Familie Mann. Die Kollektivschuldthese misshagte ihm sehr, dagegen wollte er handeln. Auch übrigens Bertolt Brecht, wie im ausführlichen Kommentar zum "Geheimreport" zitiert wird. Brecht notierte 1943 :

    Als Thomas Mann vorigen Samstag, die Hände im Schoß, zurückgelehnt, sagte: "Ja, eine halbe Million muss getötet werden in Deutschland", klang das ganz und gar bestialisch. Der Stehkragen hoch. Es handelte sich um kalte Züchtigung.

    In Vorwort seines "Geheimreports" , wie er ihn selbst nannte, teilt Zuckmayer "die Künstler und Geistigen" des Dritten Reichs in vier Gruppen ein:

    Gruppe 1: Positiv (Vom Nazi-Einfluss unberührt, widerstrebend, zuverlässig) Verleger: U. a. Peter Suhrkamp Schauspieler: u.a. Dorsch, Wessely, Attila Hörbiger, Rühmann, Hans Albers Autoren: u.a. Wichert, Carossa, Barlach, Kästner -

    Dem er als positive Empfehlung für die Siegermacht mitgibt:

    Wenn er überlebt, mag er einer der wichtigen Männer für die Nachkriegsperiode werden. Gruppe 2: Negativ (Nazis, Anschmeisser, Nutzniesser, Kreaturen).

    Allen voran werden hier Hans Reimann, Arnold Bronnen, Waggerl, Lothar Müthel und die "Reichsgletscherspalte" Leni Riefenstahl gegeißelt, über die Zuckmayer sehr abfällig schreibt. Gottfried Benn gesteht er zu, dass er "bestimmt nicht aus Opportunismus und Spekulation, sondern aus Unbehagen an der Kultur, aus geistiger Verzweiflung, weltanschaulicher Verworrenheit, die an Wahnsinnsgrenzen trieb, im Jahr 33 zu den Nazis" übergelaufen sei, um ihn dann aber auch zu verspotten:

    Als in einem Naziblatt sein Name als jüdisch bezeichnet wurde - nämlich das semitische ‚Ben', - ‚Sohn', als Ursprung angenommen -, veröffentlichte er eine hoch peinliche Apologese, dass er mit dieser Rasse nichts zu tun habe, dass er urarisch sei und ganz reinen Bluts, dass das Wort Benn im Fränkischen und Althochdeutschen im Sinn von Berghöhen und Hochsitzen vorkomme, der Hoch-Benn, Rage-Benn usw. Womit er sich leider doch als ziemlicher Nieder-Benn gekennzeichnet hat.

    Am interessantesten sind wohl die Gruppen 3 und 4: "Sonderfälle, teils positiv, teils negativ - nicht ohne weiteres einzuordnen" und "Indifferente, Undurchsichtige, Verschwommene, Fragliche", unter die er zum Beispiel Ina Seidel und Agnes Miegel rubriziert. Beide seien,"ohne etwa Nazi-Megären oder Frauenschaftsführerinnen geworden zu sein", als eher "schöngeistige Mädchenschullehrerinnen oder Kränzchen-Schwestern" "zeitweise ganz folgerichtig einer völligen Hirnvernebelung" verfallen, "in deren trübem Qualm Hitler als der gottgesandte Erlöser der Deutschen" erstand.

    Am meisten faszinierten ihn die Schauspieler, vor allem die ganz Großen, die es eigentlich nicht nötig hatten. Zum Beispiel Gründgens, von dem er schon im Vorwort schreibt, er halte ihn nicht für den "abgründigen Bösewicht, als den ihn die Enttäuschung seiner früheren Freunde" sehe, womit er auf Klaus Mann anspielt. Gründgens Brillanz sei die "einer hochbegabten Spielernatur auf dem Theater wie im Leben, immer auf ‚grand jeu' eingestellt". Dann Werner Krauss und Emil Jannings, dem er eines der amüsantesten der immer auch mit Witz, Humor und Distanz gespickten Porträts widmet:

    Nach der Tragödie Furtwängler das Satyrspiel und die Rüpelkomödie: Emil. Ich muss vorausschicken: Ich liebe die alte Sau. Er ist, obwohl Schauspieler - ein einzigartige Figur. Dämonisch ist seine Beziehung zum Geld . Aber auch dabei beobachtet er sich selbst und weiß sich plötzlich zu ironisieren. Da trifft man ihn auf dem Salzburger Bahnhof und fragt ihn, wohin er fahre. "Nach Zürich", sagt er augenzwinkernd, "an meinen Goldbarren riechen." Er bläht dabei in einer selbstkarrikierenden Weise die Nasenflügel, und man sieht ihn wirklich schnüffeln.Warum warf er sich an die Nazis? Der erste Grund war vielleicht, dass er es - wie viele Schauspieler - nicht ertragen konnte, bei dem Glanz einer solchen Aufführung und dem tobenden Rauschen eines solchen Applauses nicht mit an der Rampe zu stehen.

    Bei manchen Porträts sollen sich die vier Mitarbeiter des New Yorker Büros vor Lachen gebogen haben. Einer der vier war übrigens Robert M. W. Kempner, der spätere stellvertretende Chefankläger bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen. Hat der Geheimreport, den vermutlich nur diese vier Leute zu Gesicht bekamen, Folgen gehabt? Die Herausgeber bezweifeln es. Die Militärregierung im besetzten Deutschland sei schnell auf die gesamten Akten der NSDAP gestoßen. 1945 wurde das New Yorker Büro des OSS geschlossen und alle Dossiers in die National Archives nach Washington überführt. Dort konnte man jedoch Zuckmayers Report nicht finden. Hat Emmy Rado ihn privat mit sich genommen, um den Autor zu schützen? 1967 ist sie verstorben. Jetzt fand sich kein Nachlass mehr. So existiert also nur die bisher gesperrte Kopie des Typoskripts aus Zuckmayers Nachlass. Ein Text, der mit Sicherheit künftig einer der wichtigsten der deutschen Exilliteratur sein wird, und nicht nur der Exilliteratur!

    Ariane Thomalla über Carl Zuckmayers "Geheimreport". Die Dossiersammlung wird von Gunther Nickel und Johanna Schrön im Göttinger Wallstein-Verlag herausgegeben. 480 Seiten für 30 Euro.