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Gustave Doré
Vater der Comic-Kunst

Es ist nicht nur die schiere Masse von Hunderttausenden Illustrationen, die Gustave Doré einzigartig machen in der Welt der Bilder und Karikaturen. Er gilt als Vater des Comics, wurde berühmt auch mit der Illustration von Bibeln – und hat sogar Hollywood-Produktionen beeinflusst. Nun ist sein Werk im Musée D'Orsay in Paris zu sehen.

Von Kathrin Hondl |
    Es ist nicht nur die schiere Masse von Hunderttausenden Illustrationen, die Gustave Doré einzigartig machen in der Welt der Bilder und Karikaturen. Er gilt als Vater des Comics, wurde berühmt auch mit der Illustration von Bibeln – und hat sogar Hollywood-Produktionen beeinflusst. Nun ist sein Werk im Musée D'Orsay in Paris zu sehen.
    "Ich bedaure", soll Gustave Doré einmal gesagt haben, "ich bedaure, dass ich mit 33 nur 100.000 Zeichnungen gemacht habe." Das Bedauern kann nur gespielt gewesen sein. Im zarten Alter von 15 hatte Doré seine professionelle Karriere als Karikaturist beim Pariser Verleger Charles Philipon begonnen. In den 18 Jahren, die folgten, hatte er also täglich, auch an Sonn- und Feiertagen, mehr als 15 Zeichnungen produziert. Gustave Doré sei ein "Künstler der Maßlosigkeit", sagt Ausstellungskurator Edouard Papet.
    "Er sprengt alle Grenzen; wir hätten die Ausstellung 'Der außergewöhnliche Gustave Doré' nennen können. Er liebte es auch, Menschenmassen darzustellen. Er wollte die größten Aquarelle, die größten Radierungen machen – und er machte sie!"
    Im Musée d'Orsay ist jetzt das ganze Werk dieses "maßlosen" Bildproduzenten zu sehen – nicht nur die berühmten Illustrationen und Karikaturen, sondern auch Malerei und Skulpturen. Zur Bildhauerei fand Doré erst spät, 1877, fünf Jahre vor seinem Tod. Diese späten Bronzen – meist Allegorien, aber auch Madonnen-Statuen – machen zusammen mit großformatigen Gemälden in der Pariser Ausstellung den Anfang. Ein überraschender Auftakt – allerdings zeugen die recht konventionellen Bronzeskulpturen dann doch mehr von Gustave Dorés überbordender Schaffenskraft und Virtuosität als vom Witz und der Kreativität, die seine Illustrationen ausmachen.
    "Seine Modernität," sagt Edouard Papet, "besteht vor allem darin, wie er seine Bildproduktion inszeniert hat. Weniger in den ästhetischen Codes, für die er sich entscheidet. Seine Skulpturen sind typisch für den akademischen Realismus am Ende des zweiten Kaiserreichs. In seiner Malerei erkennt man, dass er noch sehr von Romantikern wie Delacroix oder der Historienmalerei beeinflusst ist. Dorés Modernität liegt in der Verbreitung seiner Bilder – sie waren wirklich überall!"
    Diese Modernität zeigt sich besonders im zweiten Teil der Ausstellung, für den die Besucher von den Sälen des Erdgeschosses in die fünfte Etage des Museums wandern müssen. Ähnlich wie nach der Pause im Theater geht es dort dann "Zurück auf Los" – zu den Anfängen des illustren Illustrators.
    "Zu viele Illustrationen, nicht genug Ruhm" (Gustave Doré)
    Die Klassiker – womöglich ALLE Klassiker der Weltliteratur zu bebildern, war Dorés großes Projekt. Die Texte von Balzac oder Cervantes, von Rabelais oder Shakespeare werden bei ihm zu beeindruckenden Bilderspektakeln in oft übergroßen Ausgaben. Nicht umsonst gilt Doré als "Vater des Comics". Besonders begehrt waren seine illustrierten Bibeln. Als klassisches Geschenk zur Erstkommunion verbreiteten sie Dorés Bildwelten in Zehntausenden Exemplaren überall in Europa – Schockeffekte inklusive: So musste zum Beispiel Dorés Porträt Gottes, wie er auf einer Wolke stehend die Welt erschafft, nach Protesten aus dem Schaufenster eines Londoner Buchhändlers entfernt werden.
    Besonders anschaulich wird in der Ausstellung der nachhaltige Einfluss von Gustave Doré auf den Film. Überblendungen demonstrieren zum Beispiel die frappierende Ähnlichkeit der fantastischen Gestalten auf Dorés Radierungen mit King Kong oder manchen Kreaturen des Star Wars-Universums.
    "Von den Anfängen des Kinos über die Hollywood-Filme der 40er-Jahre bis heute beeinflussen Gustave Dorés Illustrationen die Filmregisseure: Von 1911 und dem Film L'enfer – die Hölle über 'Oliver Twist' aus dem Jahr 1946 bis zu den Filmen von Tim Burton der letzten Jahre: In dem Horrorfilm 'Sleepy Hollow' ähnelt der Totenbaum an Darstellungen von Doré.
    Im Katalog ist eine Federzeichnung abgebildet, die in der Ausstellung nicht zu sehen ist. Gustave Doré hat sich da als greisen Kopf mit einem Lorbeerkranz dargestellt und darunter geschrieben: "Zu viele Illustrationen, nicht genug Ruhm." Die fulminante Retrospektive im Musée d'Orsay korrigiert das bittere Selbstbildnis, indem sie dem Gesamtkünstler Doré mehr als 100 Jahre später die Aufmerksamkeit schenkt, nach der er sich vergeblich gesehnt hatte. So ist der letzte Saal allein seiner beeindruckenden Landschaftsmalerei gewidmet. Kontemplative und dramatische Naturszenen, schottische Seen, Bergmassive in den Alpen – hier zeigt sich, dass der große Illustrator auch ein bedeutender Landschaftsmaler war, mit Bildern, die nicht nur von ungefähr an den deutschen Romantiker Caspar David Friedrich erinnern.
    Die Macht der Bilder – eine Retrospektive auf das Werk von Gustave Doré im Musée d'Orsay ("L'imaginaire au pouvoir", Musée d'Orsay, Paris, 18.2. – 11.5.2014, danach National Gallery of Canada, Ottowa, 12.6. - 14.9.2014)