Sandra Schulz: Besonders dringlich werden die Fragen nach fehlenden Erziehern und fehlenden Kitaplätzen ja in Nordrhein-Westfalen gestellt. Das Land ist bei der Betreuungsquote bundesweit das Schlusslicht. Ich konnte darüber mit Thomas Kutschaty sprechen, SPD-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag. Als Erstes habe ich ihn gefragt, ob den Kommunen mit diesem Kitagesetz von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) denn jetzt nachhaltig geholfen sei.
Thomas Kutschaty: Es ist ein ganz wichtiger Baustein für eine bessere Kitalandschaft auch in Nordrhein-Westfalen. Entscheidend ist, dass wir mehr finanzielle Mittel bekommen, auch nach Nordrhein-Westfalen. Wir brauchen deutlich mehr Geld im System, wir brauchen mehr Plätze, wir brauchen mehr Qualität. Aber wir brauchen auch niedrigere und am besten gar keine Gebühren für unsere Kitas, und deswegen ist das ein ganz wichtiger Tag für Nordrhein-Westfalen.
Schulz: Wenn Sie Geld brauchen, wie Sie gerade sagen, für das System, warum dann noch weiteren finanziellen Druck aufbauen über diese Beitragsfreiheit?
Kutschaty: Na ja, ich glaube, wir müssen schon schauen, wie wir auch Gerechtigkeit herstellen können, auch in unserem Bundesland. Mittlerweile hängt es gar nicht mehr so sehr davon ab, ob ich jetzt ein hohes oder ein niedriges Einkommen habe, ob ich Kitagebühren zahlen muss, sondern in welcher Stadt ich gerade wohne. Wir haben arme Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die können sich es gar nicht erlauben, die Eltern beitragsfrei zu stellen; die müssen Gebühren von den Eltern nehmen. Und das sind manchmal auch für einen Durchschnittsverdiener mehrere hundert Euro im Monat für die Versorgung und Betreuung des Kindes. Dann gibt es wiederum andere reichere Städte in Nordrhein-Westfalen, die brauchen das nicht nehmen, die haben genug Geld im Haushalt. Deswegen ist das manchmal eine Glückssache, wo ich gerade wohne, ob ich Gebühren zahlen muss oder nicht, und das möchte ich eigentlich nicht. Ich möchte schon gleiche Chancen für alle Familien in Nordrhein-Westfalen. Das geht dann auch nur über eine Gebührenfreiheit.
"Kita sollte perspektivisch gebührenfrei sein"
Schulz: Was ist daran gerecht, wenn gut verdienende Familien keinen Beitrag zur Kita zahlen müssen?
Kutschaty: Ich finde es vernünftig, wenn Gutverdiener auch ordentliche Beiträge zahlen müssen für unser Gemeinwohl. Aber wir sollten es nicht davon abhängig machen, ob sie Kinder haben oder nicht. Sie können mit mir gerne über eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes diskutieren. Ich halte es für gerecht, dass Gutverdiener auch mehr für unser Sozialsystem zahlen, auch für die Kitas zahlen. Aber ich möchte nicht die Eltern zusätzlich bestrafen, die schon Kinder haben, egal welches Einkommen sie denn dann auch tatsächlich haben, und mit dem gleichen Argument könnten Sie auch wieder Schulgeld einführen wollen, dass Reiche auch wieder Schulgeld zahlen könnten für ihre Kinder. Da denkt ja auch keiner ernsthaft drüber nach und deswegen sollte auch die Kita perspektivisch gebührenfrei sein.
Schulz: Was nutzt dieses "Gute Kita"-Gesetz denn jetzt den Familien, die für ihre kleinen Kinder keinen Betreuungsplatz haben?
Kutschaty: Es bietet zusätzliche Mittel, damit wir Plätze erweitern können, ausbauen können. Es ist dringend nötig, dass wir zusätzliche Einrichtungen schaffen. Im Augenblick sind die Träger von Einrichtungen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, sehr zurückhaltend, was den Bau neuer Einrichtungen anbelangt. Sie brauchen da deutlich mehr finanzielle Anreize, dass es für sie sich auch lohnt, eine entsprechende Kita zu errichten. Und da wollen wir die Bundesmittel gerne für einsetzen. Das ist ein wichtiger Baustein für mehr Angebot, aber auch für ein qualitätsvolleres Angebot.
"Eine ganze Menge aufzuholen" in NRW
Schulz: Warum ist Nordrhein-Westfalen - das Land, das ja jahrzehntelang sozialdemokratisch regiert war -, warum ist das überhaupt Schlusslicht bei der Betreuungsquote?
Kutschaty: Weil wir eine ganze Menge aufzuholen hatten. Das haben wir zu unserer sozialdemokratischen Regierungszeit in den letzten Jahren schon gemacht. Wir haben die Anzahl der Kitaplätze deutlich erhöht. Es gab ganz massive Investitionen im Baubereich, es sind zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher eingestellt worden. Aber das reicht längst noch nicht. Die Nachfrage ist sehr, sehr groß in Nordrhein-Westfalen. Die Eltern möchten das Programm auch gerne in Anspruch nehmen. Sie wollen Plätze haben auch im Unter-Dreijährigen-Bereich. Das ist heute anders, als das vielleicht vor einigen Jahren noch der Fall war. Das ist aber auch gut so, weil eine Kita schon die erste frühkindliche Bildungseinrichtung ist, und je mehr Kinder in den Kitas sind, umso besser auch, glaube ich, die Entwicklungschancen für die Kinder.
Schulz: Mit "aufzuholen hatten" meinen Sie eigene Versäumnisse der SPD-Landesregierung?
Kutschaty: Nein, die Zeit ist ja weitergegangen. Früher war die Nachfrage nach Kitaplätzen nicht so groß. Wir haben auch erst dann den Rechtsanspruch vor einigen Jahren ja bekommen, auch dass jetzt die unter Dreijährigen in eine Kita gehen können. Das wird mittlerweile zur Regel. Das ist früher nicht so gewesen. Deswegen musste da massiv gebaut werden und wir haben natürlich in Nordrhein-Westfalen auch die meisten Kinder von allen Bundesländern. Deswegen gibt es da auch das meiste aufzuholen in dem Bereich.
Bundesmittel, um mehr Projekte anzustoßen
Schulz: Wobei die Betreuungsquote in Nordrhein-Westfalen auch bundesweit die niedrigste ist, sogar noch hinter Bayern. – Wer oder was hat die Landesregierung denn daran gehindert, die Weichen rechtzeitig richtig zu stellen?
Kutschaty: Es ist eine Menge passiert in den letzten Jahren. Es ist ja nicht so, dass da der Ausbau verschlafen wurde. Aber sie kommen natürlich nur stückchenweise nach. Das ist auch eine Frage, wie die Kommunen entsprechend investieren können. Sie müssen in den Städten auch Flächen haben, wo sie Einrichtungen bauen können. Sie brauchen dann Träger, die dazu bereit sind. Viele Kommunen sind in Nordrhein-Westfalen finanzschwächer, so dass sie ihre Eigenanteile kaum noch mehr selbst erbringen können in dem Bereich.
Deswegen ist es gut, dass wir jetzt auch zusätzliche Mittel aus Berlin vom Bund bekommen, damit auch gerade in solchen Städten mehr passieren kann, die nicht so viele eigene finanzielle Mittel zur Verfügung haben.
Schulz: Wenn wir jetzt noch mal auf diese neuen Regelungen schauen, die der Bundestag ja heute diskutieren will. Dieses Label "Gute-Kita"-Gesetz, das kommt ja von Familienministerin Giffey. Ist denn überhaupt klar, inwiefern dieses Gesetz Kitas besser machen wird, für bessere Betreuungsschlüssel sorgt, für ein besseres pädagogisches Angebot oder für bessere Mittagessen in der Kita?
Kutschaty: Entscheidend ist, was die jeweiligen Bundesländer dann daraus machen. Es sind ja entsprechende Vereinbarungen mit den 16 Ländern dann zu treffen. Die Länder und der Bund verständigen sich dann auf gemeinsame Ziele und die Mittel sind ja in vielerlei Hinsicht einsetzbar, was den Ausbau anbelangt, was die Qualitätsstandards anbelangt, was die Frage von Gebührenreduzierung oder Gebühren- und Beitragsfreiheit anbelangt. Da kann man eine ganze Menge machen.
"Gesetz mit dem einfachen, aber sehr genialen Namen"
Wir schauen natürlich in Nordrhein-Westfalen darauf, dass unsere Landesregierung das auch vernünftig umsetzt. Das darf aber auch nicht dazu führen, dass die Länder ihre Aktivitäten einstellen. Es wäre, glaube ich, schlecht, wenn man jetzt als Landesregierung ausschließlich auf diese Bundesmittel setzt. Ich glaube, alle Landesregierungen, insbesondere auch die neue nordrhein-westfälische Landesregierung, sind gut beraten, auch noch zusätzlich mit eigenen Kräften, mit eigenen Mitteln was dabeizutun.
Schulz: Ich habe es aber schon richtig verstanden, dass auch Ihnen heute nicht klar ist, ob das Gesetz, das die Familienministerin "Gute-Kita"-Gesetz nennt, ob das überhaupt für bessere Kitas sorgt?
Kutschaty: Das wird für bessere Kitas sorgen. Da bin ich fest von überzeugt, weil wir hier deutlich mehr finanzielle Mittel bekommen, auch in den Ländern, in den Kommunen. Das heißt, wir können mehr Plätze schaffen. Wir können uns aber auch darüber unterhalten, dass wir vielleicht an der einen oder anderen Stelle Gruppen kleiner machen, mehr Fachkräfte auch in die Kitas bekommen können, und das sorgt natürlich auch für eine bessere Qualität und für eine bessere Betreuung in diesem Bereich. Da bin ich mir sehr sicher, dass dieses Gesetz mit dem einfachen, aber sehr genialen Namen auch ein voller Erfolg wird.
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