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"Gute Schulpolitik ist immer Sozial- und Wirtschaftspolitik"

Man brauche bei der Schulpolitik eine Gesamtverantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden, sagt Sylvia Löhrmann. Die NRW-Bildungsministerin ergänzt, dass sich Bund und Länder in dieser Frage zu einer "Art Reformkonvent" zusammentun müssten.

Manfred Götzke im Gespräch mit Sylvia Löhrmann |
    Manfred Götzke: Bildungspolitik ist schon ein seltsames Metier, hier ist zum Beispiel Kooperation verboten. Bund und Länder dürfen in der Bildung nur in extrem engen Grenzen zusammenarbeiten - das steht sogar im Grundgesetz. Dass das ziemlicher Unsinn ist, haben mittlerweile alle Parteien erkannt und wollen das Kooperationsverbot lockern, Uneinigkeit besteht inwieweit. Schwarz-Gelb will Zusammenarbeit von Bund und Ländern nur in der Hochschulpolitik, die rot-grün geführten Bundesländer, die wollen weitergehen und das Kooperationsverbot auch in der Schulpolitik kippen. Das haben Sie gestern im Kulturausschuss des Bundesrates klar gemacht. Federführend bei dem Thema ist NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann von den Grünen. Frau Löhrmann, haben Sie keine Lust mehr auf Schulpolitik?

    Sylvia Löhrmann: Ja, sicher habe ich Lust auf Schulpolitik!

    Götzke: Na ja, die rot-grün geführten Länder wollen das Kooperationsverbot auch in der Schulpolitik aufheben, das heißt, mehr Einfluss des Bundes.

    Löhrmann: Nein, das heißt es gar nicht, sondern das heißt, eine Verabredung über bestimmte Vorhaben, die eine sozialpolitische Dimension haben. Wir haben in unserem Antrag ausdrücklich festgehalten, dass es nicht darum geht, die Kulturhoheit der Länder abzuschaffen oder anzutasten oder die Schulgesetze vom Bund machen zu lassen, aber wir brauchen eine gesamtstaatliche Verantwortung beim Thema Inklusion, bei der Frage Ganztagsausbau und beim Thema Bildungs- und Teilhabepaket, da brauchen wir vernünftige Regelungen, darum geht es.

    Götzke: Aber da - Frau Löhrmann, da sind wir doch bei wesentlichen Punkten der Schulpolitik.

    Löhrmann: Da sind wir beim Zugang zu Schulpolitik. Die Integrationspolitik ist eine Dimension, die weit über Schule hinausgeht. Gute Schulpolitik ist immer Sozial- und Wirtschaftspolitik, und deswegen ist diese reine Ressortbetrachtung, die ist überholt, und deswegen brauchen wir hier eine Gesamtverantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden.

    Götzke: Und diese Gesamtverantwortung, wie stellen Sie sich die vor, dass der Bund einfach mehr Geld gibt?

    Löhrmann: Ich stelle mir die so vor, dass es zum Beispiel nicht eine verrückte bürokratische Konstruktion braucht, wenn der Bund in Bildung und Teilhabe investieren will, dass man da Umwege braucht und nicht sagen kann, wir - es werden ja Sozialarbeiter jetzt finanziert vom Bund, die dürfen aber nicht Schulsozialarbeiter heißen, weil das dann grundgesetzwidrig wäre -, dass also der Bund zum Beispiel multiprofessionelle Teams mitfinanziert, damit Kinder aus schwierigen sozialen Milieus auch einen guten Zugang zu Schule haben. Es geht nicht um die Lehrer und es geht nicht um die Inhalte der Bildungspolitik der Länder.

    Götzke: Glauben Sie denn tatsächlich, dass der Bund mehr Mittel lockermachen wird, ohne sich bildungspolitischen Einfluss zusätzlich zu sichern in der Schulpolitik?

    Löhrmann: Es gibt doch zwei Beispiele: Es gibt das Beispiel des Bildungs- und Teilhabepakets, da gibt der Bund Geld, aber er gibt es über Umwege, und es hat dieses wunderbare Programm gegeben, das Ausbauprogramm zum Thema Ganztag, auch vom Bund finanziert, vier Milliarden Euro, ein rot-grünes Programm, das war damals möglich. Solche Modelle und solche Programme sind nicht mehr möglich, weil wir einen Schub beim Ganztagsausbau brauchen, auch hier wieder geht es darum, dass Jugendliche, Kinder, mehr Möglichkeit haben, Schule als Lebensraum zu erleben, weil das die Bildungsergebnisse insgesamt fördert. Und ein drittes Beispiel ist die Inklusion. Es ist doch absurd, dass der Bund die Verbindlichkeit eingegangen ist und sich nicht etwa beim Thema Integrationshelfer beteiligen kann direkt.

    Götzke: Nun ist es ja so, dass der Bund, vor allem Bundesforschungsministerin Schavan, sagt, viel mehr als die Lockerung des Kooperationsverbotes in der Hochschulpolitik, das lässt sich zurzeit einfach nicht machen, schließlich gibt es ja nicht nur die rot-grünen Länder. Warum reicht Ihnen der Spatz in der Hand derzeit nicht?

    Löhrmann: Weil man nicht alle paar Jahre eine Grundgesetzänderung macht. Die Aufhebung des Kooperationsverbots, was die Große Koalition mit Unterstützung der FDP gemacht hat, das war ein Fehler, das hat Frau Schavan freundlicherweise anerkannt, aber das Grundgesetz ist keine Salami ...

    Götzke: Auch mit Ihnen, auch mit Rot-Grün.

    Löhrmann: Nein, die Grünen haben nicht zugestimmt. Die Grünen haben das damals verhindert, Krista Sager, weil wir das falsch gefunden haben, und ich habe als erste Landesministerin auch dafür geworben, dass wir eine solche Kooperationskultur wieder schaffen, und ich mache das aus Überzeugung, weil es hier nicht reicht, allein - weil Schule heute eine ganz andere Dimension hat. Und wir brauchen sozusagen einen Gesamtansatz, und es reicht nicht, einzelne Leuchttürme jetzt im Bereich der Wissenschaft zu fördern. Das Grundgesetz ist keine Salami, wo man immer alle paar Jahre eine Scheibe abschneidet.

    Götzke: Sie machen das aus Überzeugung, sagen Sie, aber ist es denn wirklich pragmatisch zu Ende gedacht, jetzt Maximalforderungen einzugehen, und am Ende gibt es gar nichts, und alles bleibt beim Alten?

    Löhrmann: Ich glaube, vor zwei Jahren hat noch niemand gedacht, dass es etwa so einen Antrag, wie der gestern im Ausschuss des Bundesrates unterstützt worden ist, dass es dafür solche breiten Mehrheiten und Unterstützung gibt. Die Gruppe derer, die eingesehen haben, dass das ein Fehler war - und damals haben ja auch der Bund nicht in die Länder hineinregiert, sondern es hat finanzielle Kooperationsmöglichkeiten gegeben, und darum geht es jetzt, da ist die Zeit einfach weiter. Die Wirtschaft ist dafür, die Kommunen sind dafür, dass man das breiter anlegt mit der Bildungspolitik, und nicht nur den Wissenschaftsbereich jetzt nimmt. Deswegen glaube ich, die Zeit ist reif, es muss noch weiter diskutiert werden. Wir werben dafür, dass Bund und Länder sich in einer Art Reformkonvent zusammentun und darüber diskutieren, und dann sehen wir weiter.

    Götzke: Und wann glauben Sie, eine Lösung zu haben mit dem Reformkonvent, den Sie ja vorschlagen?

    Löhrmann: Das hängt davon ab, wie weit die Bundesregierung sieht, dass sie jetzt nicht mit dem Kopf durch die Wand kommt, dass das ein halbgarer Vorschlag ist und gesprächsbereit ist, das werden wir ausloten in den nächsten Wochen. Ich würde mich freuen, das gelänge, das noch bald zu klären. Wenn nicht, wird das sicher auch ein Thema im Bundestagswahlkampf sein.

    Götzke: Frau Löhrmann, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Löhrmann: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.