Rumänien, nach dem Sturz von Ceausescu. Die dreizehnjährige Emma lebt seit ein paar Monaten in einem Internat; es heißt, ihre Eltern seien bei einem Autounfall gestorben. Als die Nachricht vom Ende des Regimes kam, errichteten Lehrer und Schüler einen Scheiterhaufen; sie verbrannten Fotos, Plakate und Rangabzeichen. Wenig später taucht eine alte Frau in der Schule auf. Sie sei Emmas Großmutter, die Enkelin solle künftig bei ihr leben. Emma hat die Alte nie gesehen, sie weigert sich. Aber die Großmutter hat etwas seltsam Bezwingendes an sich. Emma geht mit ihr in eine fremde Stadt. Dort wird sie von Nachbarn und Mitschülern gehänselt, beschimpft, auch bedroht. Vor allem die Banknachbarin Krisztina hasst Emma offenbar. Emma begreift es nicht. Damit beginnt György Dragománs neuer Roman "Der Scheiterhaufen".
Dragomán wurde 1973 in Siebenbürgen geboren und ging 1988 mit seiner Familie nach Ungarn. Der Roman "der weiße König" machte ihn auch hierzulande bekannt: Konzentrierte, verdichtete Episoden aus dem Jahr 1986, in denen das Groteske, Monströse der rumänischen Diktatur aus dem Blickwinkel eines naiven, elfjährigen Jungen zur Kenntlichkeit entstellt wurde. "Der weiße König" erschien in 30 Ländern und wurde ein überwältigender Erfolg. Denn Dragomán ging es um mehr als die Bearbeitung einer bestimmten historischen Ära: Sein Buch ließ sich als finstere Parabel menschlicher Destruktivität lesen. In zahlreichen Kritiken wurde auf Bezüge zu Kafka, Ionesco und Beckett hingewiesen. Man hatte eine literarische Entdeckung gemacht.
Wieviel Wahrheit und Freiheit bleibt in der Gegenwart?
Und jetzt also "Der Scheiterhaufen", der aus der Sicht der pubertierenden Emma erzählt wird. Bei der weiblichen Perspektive stellt sich natürlich nicht die Frage, ob dieser Blickwinkel Männern "erlaubt" ist – wenn Schriftsteller sich nicht mehr in Frauen, Käfer oder Nashörner verwandeln dürften, gäbe es keine Literatur. Allenfalls lässt sich fragen, ob die Anverwandlung an die Protagonistin gelingt. Emmas Unsicherheit in einem fremd werdenden Körper; aufkommendes weibliches Selbstbewusstsein und niederschmetternde Selbstzweifel, die Schönheitskonkurrenzen unter den Schülerinnen, erste Verliebtheit - das alles wird nachvollziehbar geschildert. Trotzdem überzeugt die Heldin Emma weniger als der kindliche Protagonist im "weißen König". Der war nicht nur Opfer eines tief verkommenen Systems, sondern machte seinerseits Opfer, er hatte neben sympathischen und mitleiderregenden auch irritierende, abstoßende Züge. Verglichen mit ihm ist die Hauptfigur Emma im neuen Roman schon reichlich mutig, ehrlich, tüchtig und wohlmeinend.
Aber Dragomán geht es nicht in erster Linie darum, eine junge Mädchenseele zu ergründen. Der Roman kreist um die beiden Begriffe Wahrheit und Freiheit.
Marx schrieb im "18. Brumaire" sinngemäß: Die Menschen machen ihre eigene Geschichte – aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, sondern unter vorgefundenen Umständen. Also: Geschichte ist kein von den Göttern verhängtes Schicksal; findet aber auch nicht im leeren Raum statt. Die Akteure handeln in einem gegebenen, bereits markierten und beschrifteten Feld.
Wie viel Freiheit bleibt in der Gegenwart aus all dem, was vorausgegangen ist? Mit dieser historisch immer wieder relevanten und auch aktuell brisanten, übergroßen Frage konfrontiert Dragomán seine junge Protagonistin. Emma selbst ist eigentlich noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Auf ihren ersten Wegen durch die Provinzstadt kommt sie auf einen Gedenkplatz für diejenigen, die dort in den Tagen des Umsturzes von Securitate-Leuten erschossen wurden und deren Leichen verschwanden. Eine fremde alte Frau zündet Kerzen für die Opfer an, die Ich-Erzählerin hilft ihr.
Die Vererbung von Schuld auf nächste Generationen
"Die Alte sagt, ich solle wissen, dass die, die es getan haben, immer noch unter uns seien. Frei herumliefen. Sowohl die, die abgedrückt, als auch die, die die Befehle gegeben hätten.
Sie sagt, sie bete jeden Tag für die Toten, und dass die Bösen büßen sollen. Sie wisse, dass man ihnen vergeben müsse, doch sie könne nicht vergeben. Sie könne nicht und sie wolle nicht, solange die Unglücklichen noch nicht einmal bestattet seien.
"Ich sehe die Tränen in ihrem Gesicht, hole mein Taschentuch hervor und reiche es ihr. Ich sei ein gutes Mädchen, auch ich solle beten für die Unschuldigen. Sie blickt mich an, kneift die Augen zusammen, sagt, ich käme ihr irgendwie bekannt vor. Ich sage, das könne nicht sein, ich sei gerade erst hergezogen. Plötzlich verdüstert sich ihr Gesicht, sie reißt ihre Hand von der meinen, als habe sie sich verbrannt. Großmama steht an einem der Blumenbeete. Die Alte fährt mich an, sie schreit, dass auch ich zu den Schuldigen gehörte, ich solle mich schämen, es gewagt zu haben, an diese heilige Stelle zu kommen, ich solle verschwinden. Ich sage, ich verstünde nicht, was sie rede, ich hätte nichts getan. Ich sei nur ein Kind. Die Alte zischt, auch die, die gestorben sind, seien Kinder gewesen. Ich solle verschwinden, ob ich das nicht endlich kapiere? Das schreit sie schon kreischend, während sie Großmama anstarrt."
Emmas Großvater soll ein Spitzel gewesen sein. Deshalb ist er und indirekt auch die Großmutter in den Augen der Schülerin Krisztina mitschuldig am Tod ihrer Zwillingsschwester Réka; die war ebenfalls unter den Opfern bei der großen Demonstration. Krisztina und andere stellen sogar Emma auf die Seite der Täter: Wo das Konstrukt der Erbsünde nicht mehr greift, funktioniert das verwandte Konstrukt der Sippenhaft. Emma kämpft dagegen an, was hat sie denn mit den alten Geschichten zu tun?
Nur selten nimmt ein Lehrer sie in Schutz, oder die Großmutter erklärt, alles war anders: Der Großvater sei ein Opfer, sei jahrelang Häftling in einem Lager gewesen. Für Emma bleibt unklar, ob er sich während des Umsturzes umgebracht hat oder gelyncht worden ist. Die Großmutter selbst ist noch über den Verlust ihres Mannes hinaus durch die eigene Geschichte traumatisiert: Während des Zweiten Weltkriegs versteckte sie jüdische Freunde im Holzschuppen des Gartens. Der Rettungsversuch endete tragisch; die Großmutter überlebte zwar, verlor aber zeitweilig ihr Gedächtnis. In der Stadt gilt sie als Geisteskranke, wenn nicht als Ceausescu-Anhängerin.
Verschleierte Wahrheiten
Bei all dem, was Emma von verschiedenen Leuten hört, bei allem, was sie sich zusammenreimt, ergibt sich kein klares Bild ihrer Familie. Wenige Tatsachen, aber noch viel mehr Deutungen, widersprüchliche Erinnerungen und divergierende aktuelle Interessen fließen derart ineinander, dass die Wahrheit über die Vergangenheit nicht kenntlich wird.
An zahlreichen Universitäten überall auf der Welt findet sich bis heute ein neutestamentarischer, also sehr alter Satz: "Die Wahrheit wird euch frei machen."
Dragomán setzt hinter diesen Satz ein Fragezeichen – wobei er mit seinem Zweifel nun nicht allein steht. Sein Roman sagt: Wehe, wenn es "die" eine Wahrheit gibt, das führt zu Mord und Totschlag.
In der Stadt will man nach dem Umsturz alte Rechnungen begleichen. Man sucht nach verschwundenen Akten, nach den Leichen der Securitate-Opfer. Man will Verantwortliche strafen. Die Stimmung wird von Tag zu Tag angespannter, obwohl oder gerade weil sich Freund und Feind nicht so säuberlich trennen lassen, wie der Wunsch nach Gerechtigkeit oder Vergeltung es verlangt.
Macht der Magie: manipulativ und diktatorisch
Dragomán sagte in einem Interview, es sei ihm nicht darum gegangen, einen bestimmten Abschnitt rumänischer Geschichte "objektiv" zu reinszenieren. Die Fiktion vom "Scheiterhaufen" wird aus der subjektiven Perspektive Emmas erzählt. Aber als reiche es nicht aus, dass die Heldin darüber hinaus mit einem Gespinst aus Gerüchten konfrontiert wird, zieht Dragomán dem Roman eine weitere Ebene ein: Das ist die des Imaginären, Fantastischen, Halluzinatorischen. Emma versucht, angeleitet von der Großmutter, durch magische Rituale, Visionen und Bannsprüche zu Erkenntnis und Wahrheit zu finden. Darin liegt das Problem des Romans. Denn im Unterschied zum "weißen König" geht es hier nicht um einen vereinzelten, plötzlichen Einbruch des Magischen in das Geschehen; beim "Scheiterhaufen" ist Magie d i e gängige Praxis.
Mit der archetypischen Figur der Großmutter tritt Emma eine musterhaft ambivalente alte Hexenfrau entgegen. Sie ist "weiß", "gut", weil sie Emma gegen Angriffe verteidigt, weil sie ihr schöne Gegenstände schenkt, weil sie Emma mit diversen Ritualen ins Frausein einführt, sie geradezu initiiert. Die Großmutter ist "schwarz", "böse", weil es offenbar Streit zwischen ihr und Emmas Eltern gab. Möglicherweise hatte sie, wenn auch als Opfer einer Erpressung, mit deren Tod zu tun. Vielleicht ist sie verrückt. Aber offenbar ist sie fähig, die Wirklichkeit zu manipulieren. Zumindest auf Emma kann sie einen Zwang ausüben.
"Wir gehen in den Garten. Bleiben vor dem Holzschuppen stehen. Großmutter sieht mich an. Sie sage mir jetzt zum letzten Mal, ich solle mich fernhalten. Was ich auch höre, ich solle nicht zum Holzschuppen gehen. Gut, sage ich, ich will es nicht wieder tun. Aber ich habe ganz klar ein Wimmern gehört. Das hast du dir nur eingebildet, sagt Großmutter. Sicherheitshalber ziehen wir einen Zaun um den Holzschuppen, sagt sie dann. Sie greift in die Tasche, holt eine kleine Plastiktüte hervor, halt die Hände auf, sagt sie und schüttet mir winzige weiße Kieselsteine hinein. Glatt, nicht besonders schwer. Sie haben die Form eines Zahns. Großmutter nimmt einen, wirft ihn auf die Erde. Sie sagt, ich solle auch einen werfen. Ich werfe einen kleinen zahnförmigen Kieselstein neben ihren auf die Erde. In Ordnung, sagt sie, nun gehen wir einmal um den Holzschuppen herum, und bei jedem Schritt werfen wir jeweils einen Stein. Großmutter sagt, ich dürfe nicht über die ausgelegten Steine treten, das solle ich mir merken. Wenn ich es doch täte, würde sie es wissen. In Ordnung, sage ich, ich tue es nicht. Großmutter nickt und sagt, lass den Holzschuppen einfach in Ruhe. Draußen im Garten höre ich wieder das Weinen. Jetzt ist es viel lauter. Ganz sicher weint da jemand. Es kommt ganz sicher aus dem Holzschuppen. Ich möchte hingehen, doch als ich ein Bein über die Steine setze, tut mir plötzlich die Fußsohle weh. So heftig, als wäre ich gebissen worden. Ich stehe auf einem Bein, zische, zucke zurück. Ziehe Turnschuh und Strumpf aus, sehe winzige rote Zahnspuren auf meiner Fußsohle."
Der Roman ist durchzogen von solchen Passagen. Da wird Bettwäsche mit einem glutgefüllten Bügeleisen auf rituelle Weise gegen schlechte Träume imprägniert. Da tauchen im Kaffeesatz Gesichter auf, da erscheint der Geist des toten Großvaters, deutlich erkennbar an den bewegten Fransen des Teppichs.
Der gelegentlich bemühte Vergleich mit dem polnischen Autor und Maler Bruno Schulz überzeugt nicht; denn bei Dragomán fragt man sich ein paarmal zu oft, welche Funktion das übernatürliche Theater, in dem auch tradierter Volksglaube eine Rolle spielt, von Fall zu Fall eigentlich hat. Emma lernt nicht und lernt dann wieder doch: Großmutters Art, vielerlei Bann und Zwang auszuüben oder – zu guten Zwecken – einen Scheiterhaufen zu errichten, trägt eben auch diktatorische Züge. Diese Praxis der Zauberei manipuliert und bedroht. Leser, die schon ahnten, dass so etwas in der Realität selten frei macht, können die Fiktion genießen und sich beeindrucken lassen. Gläser schaukeln, in Nüssen erscheinen Augen; es wird zeremoniell getanzt und getrommelt - die ohnehin überhitzte reale Atmosphäre wird derart mit bedeutungsschwangerer Magie aufgeladen, dass es nur so raucht. Ganz offensichtlich hat der Autor sich beim Schreiben selbst berauscht. Man hätte diesen magischen Realismus sicherlich nicht vollständig streichen, allerdings rigoros kürzen und konzentrieren sollen. Denn es geht schließlich um die Fragen nach Freiheit und Wahrheit.
Wie lange dauert eine Diktatur noch an, wenn sie vorüber ist? Hilft es, die Erinnerungen an ausgeübte und erlittene Gewalt entschieden wegzudrängen, um unbelastet nach vorn zu sehen? Hatte Emmas dissidenter Vater Recht, der an keine einzige Wahrheit glauben mochte? Er sagte noch in den Zeiten der Diktatur: Wir alle müssen lügen lernen, um, wenn nicht frei zu sein, doch immerhin zu überleben. Als heutigem Leser kommen einem hier natürlich auch diverse deutsche Kontroversen um "Vergangenheitsbewältigung", um "Erinnerungskultur" in den Sinn. Und man denkt an die zahlreichen Wahrheitskommissionen in Lateinamerika oder Südafrika, die sich mit Menschenrechtsverletzungen beschäftigten. Wer ist es denn von Fall zu Fall genau, der nach dem Ende einer Diktatur ganz gut mit Lügen leben kann, mit Erinnerungslücken? Und wo verlaufen denn die Grenzen zwischen Tätern, Mitläufern, Opfern?
Als Emma sich mit Krisztina anfreundet, erfährt sie von deren Trauma: Krisztina, die mit ihrer Schwester Réka oft die zwillingstypischen Verwechslungsspiele spielte, glaubt, sie selbst hätte an der Stelle Rékas sterben sollen. Sie und auch Emma hätten Schuld, am Tod der Eltern, am Tod der Schwester: die Schuld, überlebt zu haben. Emma widerspricht heftig.
Ein Scheiterhaufen wird errichtet - Wunsch nach schneller Gerechtigkeit
Danach, gegen Ende des Romans, zieht Dragomán das Erzähltempo an, es wird rasant:
Emma und ihr Freund Péter finden im Wald, wie ein Orakel es weissagte, die Akten der Securitate. Sie liegen in den Särgen der heimlich fortgebrachten Toten des Umsturzes. In der Stadt ist währenddessen eine Menschenmenge dabei, Lynchjustiz an tatsächlichen und vermeintlichen Spitzeln zu üben: Ein Scheiterhaufen ist errichtet worden. Auch Emmas Großmutter soll sich der Wahrheit stellen. Sie soll im Namen von Volk und Vaterland verurteilt werden und die gerechte Strafe erleiden. Emma und Péter erreichen mit den Akten den Platz. Emma hört das Toben der Menschen, gleichzeitig hört sie eine einzelne Stimme.
"Sie spricht nur zu mir, mich ruft sie. Ich bin Réka, höre ich die klangvolle Stimme, ich bin Réka, es ist noch kein Jahr her, dass ich hier auf dem Platz erschossen worden bin, die Hand meiner jüngeren Schwester haltend, bin ich gestorben, ich hatte immer geglaubt, dass sie meine ältere Schwester ist, ich bin hier auf dem Platz, ich bin hier und werde auch immer hier sein, hier floss mein Blut, in die Ritzen unter den Steinen, hier ist es im Sand unter den Steinen versickert. Plötzlich kreischt sie auf, ich bin nicht gestorben, damit man in meinem Namen mordet, kreischt sie, ich weiß nicht, warum ich gestorben bin, aber deshalb nicht, das weiß ich – wild schreit sie es heraus, und dieser Schrei durchbohrt meinen Körper wie eine Stricknadel, der Rauch verschwindet vor meinen Augen, auf einmal kann ich alles sehen. Ich sehe, was geschehen wird, ich bin Emma, aber ich bin auch Réka, ich sehe den ganzen Hauptplatz, jeden Winkel, jedes Detail. Was Réka sieht, sehe auch ich, was Réka hört, höre auch ich, was Réka weiß, weiß auch ich."
In der furiosen letzten Szene in der Stadt finden Emma und Péter die Großmutter. Man hat sie schon mit Benzin übergossen; um den Hals trägt sie einen alten Autoreifen mit einem Pappschild, auf dem ihre Schuld geschrieben steht. Sie rührt sich nicht, scheint dem Tode nah. Emma und Péter bringen sie in Sicherheit. Emma denkt an die erlernten magischen Rituale, und dann wünscht sie mit all ihrer Kraft, die Großmutter soll weiter leben. Die Alte öffnet die Augen – das ist das Ende des Romans.
Dramaturgie in Bildern
Dragomán versteht es meisterhaft, dramatische Effekte zu setzen und die ohnehin unheimliche, oft albtraumhafte Atmosphäre immer weiter aufzuladen. Emmas einfache Sprache und die kursiv gesetzten, mäandrierenden Monologe der Großmutter bilden einen gelungenen Kontrast. Man liest das verzwirbelte Ineinander von Gegenwart und Vergangenheit äußerst gespannt. Man ist teilweise überwältigt. Eine zweischneidige Feststellung. Nicht jeder Leser möchte überwältigt werden.
Auf die Frage nach der Darstellbarkeit dessen, was einmal als "die Weißglut aller Geschichte" bezeichnet wurde, umfassen die künstlerischen Antworten eine große Bandbreite. Sie reichen vom Extrem des Bilderverbots bzw. der Bilderskepsis eines Autors wie Heimrad Bäcker bis hin zu einer entschieden bildreichen, mit Fantasie ergänzten Ausgestaltung; so etwa in Roberto Benignis surrealer Film-Tragikomödie "Das Leben ist schön". Und weil es auch in Kunst und Literatur nicht "die" eine, seligmachende Wahrheit gibt, lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden, was mehr oder weniger gelungen ist.
György Dragománs Roman setzt auf Bildreichtum. Auf Spektakel. Das auf den dramatischen Höhepunkt zulaufende, klug konstruierte Geschehen kann für den Leser durchaus kathartische Folgen haben. Aber wer den Autor des neuen Buchs mit literarischen Größen wie Kafka oder, auch das kam vor, mit Imre Kertész vergleicht, hängt die Messlatte sehr hoch und tut Dragomán damit keinen Gefallen. Oft reicht es hin, den Roman eines Schriftstellers mit seinen eigenen vorausgegangenen Büchern zu vergleichen. Im Unterschied zu Dragománs Vorgänger-Roman vom "weißen König" ist das "Scheiterhaufen"-Buch sehr didaktisch angelegt. Musterhaft, geradezu unterrichtstauglich werden Themen abgerufen: Brüchigkeit der Erinnerung, Wahrnehmungsdifferenzen, Weitergabe von Schuld, von Traumen.
Was Emma mithilfe von Mummenschanz, Gerechtigkeitssinn, Empathie und Fantasie schließlich erkennt, wird dem Leser zwar sehr spannend, aber doch letztlich als bekömmliche Portion präsentiert. Die Einsicht lautet: Die Vergangenheit sollte nicht instrumentalisiert werden; sie sollte keine gegenwärtige Gewalt rechtfertigen. Das ist menschenfreundlich, normativ-vorbildlich, idealistisch. Gegenüber einem solchen hochfliegenden Sollens-Satz steht der realistische, analytische Satz von Marx: Wir machen unsere Geschichte selbst, sind frei, und machen die Geschichte dabei doch nicht in einem voraussetzungslosen leeren Raum.
Was Emma mithilfe von Mummenschanz, Gerechtigkeitssinn, Empathie und Fantasie schließlich erkennt, wird dem Leser zwar sehr spannend, aber doch letztlich als bekömmliche Portion präsentiert. Die Einsicht lautet: Die Vergangenheit sollte nicht instrumentalisiert werden; sie sollte keine gegenwärtige Gewalt rechtfertigen. Das ist menschenfreundlich, normativ-vorbildlich, idealistisch. Gegenüber einem solchen hochfliegenden Sollens-Satz steht der realistische, analytische Satz von Marx: Wir machen unsere Geschichte selbst, sind frei, und machen die Geschichte dabei doch nicht in einem voraussetzungslosen leeren Raum.
Dragománs thematisch interessanter, mitreißend erzählter, aber literarisch nicht absolut perfekter Roman konfrontiert die brutale Realität der rumänischen Übergangsgesellschaft mit dem notwendigen Ideal. Dabei führt sein Buch nicht aus der Nacht zum Licht, es nimmt keine einfache Lösung vorweg. Das heißt, es gibt zu denken.
György Dragomán: "Der Scheiterhaufen"
Aus dem Ungarischen von Lacy Kornitzer
Suhrkamp Verlag, Berlin, 494 Seiten, 24,95 Euro
Aus dem Ungarischen von Lacy Kornitzer
Suhrkamp Verlag, Berlin, 494 Seiten, 24,95 Euro