Bei Morgengrauen ziehen Uniformierte auf. Berittene Gendarmerie, eine Abteilung Soldaten, drei Richter, ein Henker. Es ist Montag, der 22. September 1851, und vor einer Kaserne im Zentrum des alten Pest findet eine der denkwürdigsten Exekutionen in der Geschichte Ungarns statt.
Der Scharfrichter klettert den Galgen hinauf. Sorgfältig bringt er ein schwarzes Täfelchen an. Dann noch eins, und wieder eins, insgesamt 36. Auf jedem steht mit weißer Kreide ein Name. Was der Spuk soll? Die Verurteilten sind allesamt flüchtig. Auch Gyula Graf Andrássy. Er sitzt in Paris im Exil. Le beau pendu, den schönen Gehenkten, nennt man den fremdländischen Grafen mit den schwarzen Locken und Glutaugen dort, als die Nachricht von seiner symbolischen Hinrichtung kommt.
Gyula Graf Andrássy wird 1823 als Spross eines uralten Széklergeschlechts geboren. Die Ungarn sind seit Maria Theresia habsburgerfreundlich. Doch im Vormärz rumort es auch hier. Nationalisten begehren auf gegen die Wiener Zentralgewalt. Freiheitskämpfer wie Lajos Kossuth fordern die völlige Herauslösung Ungarns aus dem Habsburgerreich. Kossuth ist ein Freund der Familie. Der junge Gyula schließt sich ihm an, kämpft in der Honvéd-Armee gegen das Habsburgerheer und muss emigrieren, nach der Niederschlagung der Revolution mit russischer Hilfe, 1849.
1857 begnadigt Kaiser Franz Joseph die Rebellen. Andrássy darf zurück in die Heimat - und sinkt vor Kaiserin Elisabeth auf die Knie. Zumindest im Film.
- "Stehen Sie auf, Graf Andrássy! Die Amnestie hat der Kaiser erlassen, ihm müssen Sie danken."
- "Ich spreche nicht von der Amnestie, Majestät. Eine Amnestie kann den Hingerichteten nicht das Leben, und den heimgesuchten Familien nicht das Glück zurückgeben, aber ein Herz, das für eine Nation schlägt, kann alles wieder gut machen. Und für diese Liebe möchte ich Eurer Majestät danken. Ich werde auch in Zukunft alles tun, um Ungarn Österreich und damit auch dem Kaiser näherzubringen, und um ihrem Land die Gleichberechtigung wiederzugeben."
Auf Andrássys Initiative geht der Berliner Kongress von 1878 zurück
Eine berühmte Szene, gleichwohl erfunden. Historisch belegt aber ist: Elisabeth hat tatsächlich gehörigen Anteil daran, dass 1867 mit dem sogenannten Ausgleich die österreichisch-ungarische Versöhnung zustande kommt. Auf ihren zahlreichen Reisen nach Ungarn trifft sie stets Graf Andrássy. Er stemmt sich zwar immer noch gegen des Kaisers absolutistische Herrschaftsform, votiert aber längst, anders als Weggefährte Kossuth, für einen Verbleib Ungarns im Habsburgerreich.
Im Juli 1866 ist es soweit. Nach der Niederlage bei Königgrätz und dem Auseinanderfallen des Deutschen Bundes ist der Kaiser von Österreich so geschwächt, dass er den Ungarn die Hand reichen will - vielmehr muss. Nicht zuletzt, weil er hofft, dass ein geeintes Österreich-Ungarn stark genug ist, die Autonomiegelüste der anderen Habsburger-Völker im Keim zu ersticken. Elisabeth reist nach Pest. Kurz darauf schickt sie folgende Nachricht an Andrássy:
"Soeben habe ich Antwort erhalten, dass der Kaiser Sie in Wien erwartet."
Andrássy fährt, Verhandlungen beginnen. Ein Jahr später setzt der einstige Rebell Kaiser Franz Joseph in der Matthiaskirche zu Buda die Stephanskrone aufs Haupt. Die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn ist geboren.
Gyula Graf Andrássy wird ungarischer Ministerpräsident. Er stärkt die Rechte der Magyaren im Land, die Kroaten haben das Nachsehen. 1871 ernennt ihn der Kaiser zu seinem Außenminister. Auf Andrássys Initiative geht der Berliner Kongress von 1878 zurück. Nach der Niederlage des Osmanischen Reichs im russisch-osmanischen Krieg wollen die europäischen Großmächte verhindern, dass Russlands Einfluss auf dem Balkan steigt. Österreich-Ungarn profitiert von den Verhandlungen in Berlin: Es darf Bosnien und den größten Teil der Herzegowina besetzen.
Die formale Annexion Bosnien-Herzegowinas im Jahr 1908, die am Ende in einen Krieg mit 17 Millionen Toten münden wird, erlebt Andrássy nicht mehr mit. Er stirbt am 18. Februar 1890, bis zu seinem Tod der enge Vertraute des Monarchen, den er als junger Aufständischer hatte vom Thron stoßen wollen.