Patricia Murawski schüttelt ihr Haar. Wir sehen die Künstlerin aus Dinslaken, Jahrgang 1985, auf einem Foto, beim Tanzen, beim Headbangen. Und daneben sehen wir, was daraus entsteht: ein "Bang Painting". Die langen Zotteln mit flüssiger schwarzer Farbe vollgeschmiert, hat sie in der Manier des Dripping Künstlers Jackson Pollock ein abstraktes Action-Gemälde geschaffen. Ein aktuelles Sinnbild für die Energie, die man Haaren zu allen Zeiten angedichtet hat.
Es wird gleich bei den ersten Etappen der Schau auf drei Etagen klar: "Hair! Das Haar in der Kunst" ist keine chronologische und enzyklopädische Aufarbeitung von Frisurmoden aus 2000 Jahren, sondern eine pointierte Auswahl mit unzähligen Quereinstiegen und Aha-Effekten.
"Bei großen Diamantklapperschlangen wurde eine Paarungsdauer von Zweiundzwanzigdreiviertel Stunden beobachtet."
Der vor wenigen Tagen verstorbene Otto Sander rezitiert zum Beispiel einen Lexikonartikel über das Liebesspiel von Klapperschlangen, in einem Video von Rebecca Horn aus dem Jahr 1974. Sie, die Künstlerin, schneidet sich währenddessen selbst die Haare. Und zwar in Stereo: An beiden Schläfen jeweils eine Schere. Das korrespondiert dann mit dem Text, den beiden sich liebenden Schlangen. Und es schafft einen Teppich von Assoziationen: vom verführerisch und schrecklich züngelnden Medusenhaupt bis zu Zöpfen, die ab müssen, wenn Frau unter die Haube gekommen ist. Eine kleine Kulturgeschichte des Haars.
"Ja, das ist eben auch die Idee, dass eben von der Antike bis heute Dinge sich begegnen, um zu sehen, was sie trennt, was sie verbindet. Es gibt viele Übereinstimmungen und Nähen."
Christine Vogt, Direktorin der Ludwiggalerie, hat die rund hundert Werke aus den internationalen Sammlungen und Museen von Peter und Irene Ludwig ausgewählt. Da sind Porzellan Cherubim von Jeff Koons aus St. Petersburg - typisch Koons: haarscharf an oder bereits jenseits der Grenze zum absoluten Kitsch - sowie: Kunsthandwerk und Kruzifixe mit echtem Haar aus Bamberg und Aachen, Stücke von Wien bis Seoul in Südkorea, die aus völlig unterschiedlichen Kontexten stammen, und nun in der Schau ganz eigenwillig zusammen gestellt und gehängt werden. Wir sehen zum Beispiel in der ersten Etage in einer Ecke eine spätmittelalterliche Holzfigur.
"Maria Ägyptiaca, die von Engeln zu Himmel getragen wird, und der Gott, weil sie eben in der Wüste gebüßt hat, einen Ganzkörperpelz hat wachsen lassen."
Ganzkörperpelze - seltsamer Anblick! – waren ein gängiger Topos flämischer Bildhauer des 15. Jahrhunderts, erklärt die Kunsthistorikerin. Das wird in der Ausstellung auch nicht ironisiert, sondern mit Texten erklärt. Seltsamerweise lugen unter dem Pelz die Brüste, Ellbogen und Knie hervor, vielleicht auch ein Hinweis auf die Sünderin Maria Magdalena, auch das eine gängige Darstellungsform in der Kirchenkunst damals.
Und direkt daneben, in dieser Ecke, hängt nun das Tafelbild "Mopp" des Malers Eckart Hahn, ein Werk von 2007. Da rutscht ein Mann auf Knien herum und wischt auf, mit einem Mopp. Und der trägt, nahezu identisch, den gleichen Ganzkörperpelz wie Maria Ägyptiaca. Aber - ganz andere Atmosphäre - nicht als Belohnung für das Büßen in der Wüste, sondern als eine Art aberwitziges Affenkostüm.
"Das ist auch so ein Übergang zum Tierischen natürlich. Dieses Moment, dass das Haar ein Teil von uns ist, uns als Person symbolisiert, das ist die Grundidee dabei."
Und das zeigt "Hair!" von der Antike bis heute, von der vor Puder nur so staubenden Perücke der Barockzeit bis zum Pop Art-Gemälde eines Fernseh-gerechten Politiker-Scheitels, vom eitlen König Absalom aus der Bibel, dem seine eigenen langen Haare zum Verhängnis werden, bis zu Jim Raketes Foto vom Schauspieler Jürgen Vogel 2007, der auch ganz ohne Haare sexy wirkt: wir send Jahren ganz verloren haben. Aber bis dahin bleiben sie: eminent wichtig. Wer lange und viele brauchen Haare längst nicht mehr als Pelz zum Überleben und werden sie wohl in einigen TauHaare hat, der oder die mag sich inspiriert fühlen, selbst einmal sein Haar zu schütteln und ein "Bang Painting" herzustellen.
Info zur Ausstellung
Es wird gleich bei den ersten Etappen der Schau auf drei Etagen klar: "Hair! Das Haar in der Kunst" ist keine chronologische und enzyklopädische Aufarbeitung von Frisurmoden aus 2000 Jahren, sondern eine pointierte Auswahl mit unzähligen Quereinstiegen und Aha-Effekten.
"Bei großen Diamantklapperschlangen wurde eine Paarungsdauer von Zweiundzwanzigdreiviertel Stunden beobachtet."
Der vor wenigen Tagen verstorbene Otto Sander rezitiert zum Beispiel einen Lexikonartikel über das Liebesspiel von Klapperschlangen, in einem Video von Rebecca Horn aus dem Jahr 1974. Sie, die Künstlerin, schneidet sich währenddessen selbst die Haare. Und zwar in Stereo: An beiden Schläfen jeweils eine Schere. Das korrespondiert dann mit dem Text, den beiden sich liebenden Schlangen. Und es schafft einen Teppich von Assoziationen: vom verführerisch und schrecklich züngelnden Medusenhaupt bis zu Zöpfen, die ab müssen, wenn Frau unter die Haube gekommen ist. Eine kleine Kulturgeschichte des Haars.
"Ja, das ist eben auch die Idee, dass eben von der Antike bis heute Dinge sich begegnen, um zu sehen, was sie trennt, was sie verbindet. Es gibt viele Übereinstimmungen und Nähen."
Christine Vogt, Direktorin der Ludwiggalerie, hat die rund hundert Werke aus den internationalen Sammlungen und Museen von Peter und Irene Ludwig ausgewählt. Da sind Porzellan Cherubim von Jeff Koons aus St. Petersburg - typisch Koons: haarscharf an oder bereits jenseits der Grenze zum absoluten Kitsch - sowie: Kunsthandwerk und Kruzifixe mit echtem Haar aus Bamberg und Aachen, Stücke von Wien bis Seoul in Südkorea, die aus völlig unterschiedlichen Kontexten stammen, und nun in der Schau ganz eigenwillig zusammen gestellt und gehängt werden. Wir sehen zum Beispiel in der ersten Etage in einer Ecke eine spätmittelalterliche Holzfigur.
"Maria Ägyptiaca, die von Engeln zu Himmel getragen wird, und der Gott, weil sie eben in der Wüste gebüßt hat, einen Ganzkörperpelz hat wachsen lassen."
Ganzkörperpelze - seltsamer Anblick! – waren ein gängiger Topos flämischer Bildhauer des 15. Jahrhunderts, erklärt die Kunsthistorikerin. Das wird in der Ausstellung auch nicht ironisiert, sondern mit Texten erklärt. Seltsamerweise lugen unter dem Pelz die Brüste, Ellbogen und Knie hervor, vielleicht auch ein Hinweis auf die Sünderin Maria Magdalena, auch das eine gängige Darstellungsform in der Kirchenkunst damals.
Und direkt daneben, in dieser Ecke, hängt nun das Tafelbild "Mopp" des Malers Eckart Hahn, ein Werk von 2007. Da rutscht ein Mann auf Knien herum und wischt auf, mit einem Mopp. Und der trägt, nahezu identisch, den gleichen Ganzkörperpelz wie Maria Ägyptiaca. Aber - ganz andere Atmosphäre - nicht als Belohnung für das Büßen in der Wüste, sondern als eine Art aberwitziges Affenkostüm.
"Das ist auch so ein Übergang zum Tierischen natürlich. Dieses Moment, dass das Haar ein Teil von uns ist, uns als Person symbolisiert, das ist die Grundidee dabei."
Und das zeigt "Hair!" von der Antike bis heute, von der vor Puder nur so staubenden Perücke der Barockzeit bis zum Pop Art-Gemälde eines Fernseh-gerechten Politiker-Scheitels, vom eitlen König Absalom aus der Bibel, dem seine eigenen langen Haare zum Verhängnis werden, bis zu Jim Raketes Foto vom Schauspieler Jürgen Vogel 2007, der auch ganz ohne Haare sexy wirkt: wir send Jahren ganz verloren haben. Aber bis dahin bleiben sie: eminent wichtig. Wer lange und viele brauchen Haare längst nicht mehr als Pelz zum Überleben und werden sie wohl in einigen TauHaare hat, der oder die mag sich inspiriert fühlen, selbst einmal sein Haar zu schütteln und ein "Bang Painting" herzustellen.
Info zur Ausstellung