"Darf ich mit die aktuelle Situation einmal angucken, wie sie ist? – Und darf ich die aktuelle Perücke abnehmen? – Ja, das dürfen Sie gerne!"
Christel Bus sitzt vor einem großen Spiegel in der Zweithaar-Manufaktur Rieswick im Münsterland. Friseurmeister Max Rieswick lüftet behutsam die rotschimmernde Kurzhaar-Perücke seiner Kundin. Zum Vorschein kommen wenige, dünne Haare, die Christel Bus seit gut zwanzig Jahren mit einer Perücke bedeckt.
Die 37-Jährige hat eine lange Krankheitsgeschichte hinter sich. In der Pubertät entdeckten die Ärzte einen Tumor. Es folgten Bestrahlung und Chemotherapie, dann fielen die ersten Haare aus:
"Ich war in der Uniklinik Essen, da war ich 16 Jahre alt und ich habe nur Patienten gesehen, die alle keine Haare mehr hatten. Und das Erste, was ich gedacht habe: Hier bleib ich nicht. Hier werden einem die Haare abgeschnitten. So schien mir das damals. Ich war schockiert. Ich hatte Angst."
Kunden wollen oft einfach so aussehen wie vorher
Nach dem ersten Schock fügte sich Christel Bus ihrem Schicksal zwar, litt aber lange unter dem Haarausfall und der drohenden Glatze. Nur mit Haaren auf dem Kopf könne sie sich als Frau attraktiv fühlen:
"Es wirkt immer befremdlich, wenn eine Frau ohne Haare kommt, weil das ist ja doch ein Kopfschmuck und das ist wichtig. Und wenn man keine Haare hat, wird man immer komisch angeguckt. Man muss dann schon sehr selbstbewusst sein, wenn man ohne Haare rausgeht. Ich kann Frauen, die das machen, nur bewundern. Ich kann das nicht."
Deshalb hat sich Christel Bus für das Tragen einer Perücke entschieden. Im Laufe der Jahre hat sie verschiedene Modelle getestet und wechselt inzwischen, je nach Laune und Anlass, von der Kurzhaarfrisur zur langen Lockenpracht.
Ähnliche Erfahrungen hat Friseurmeister Max Rieswick auch mit anderen Kunden gemacht. In fünfter Generation werden in seinem Familienunternehmen Zweithaare angefertigt und angepasst – je nach Haarlänge und Aufwand zwischen 700 und etwa 1800 Euro. Im Fall von Krebspatientinnen und –patienten übernimmt meist die Krankenkassen die Kosten.
In jedem einzelnen Fall sei viel Sensibilität gefragt, sagt Friseurmeister Rieswick, der weiß, "dass die Kunden so wenig wie möglich optisch zeigen wollen, dass sie eine Erkrankung oder ein Haar- oder Hautproblem haben und eigentlich nur so aussehen wollen, wie sie vorher ausgesehen haben – mit dem eigenen Haar."
Eigenhaar-Verpflanzung erst ab Mitte/Ende 40 sinnvoll
So wie vorher wollte auch Carsten Ziegler wieder aussehen. Den Mittvierziger aus Saarbrücken störten seine tiefen Geheimratsecken. Außerdem bildete sich am Hinterkopf eine Tonsur – eine kahle Stelle, etwa so groß wie eine Kaffeetasse. Das wollte Ziegler nicht mehr hinnehmen:
"Das ist dadurch entstanden, dass ich ungebräunt meinen Kopf mit wenig Haar im Spiegel sah und dachte: Oh, wie siehst denn duaus? (lacht) Das war so der eigentliche Impuls zu sagen: Das kann man verbessern, das kann man ändern!"
Und zwar mithilfe einer Eigenhaar-Transplantation. Zwei Mal legte sich Carsten Ziegler dafür unters Messer. Bei der werden Haare aus dem Hinterkopf in einem schmalen Hautstreifen entnommen, vereinzelt und auf die kahlen Stellen verpflanzt. Kostenpunkt: 6000 Euro pro Eingriff.
Eine solche Verpflanzung ist bei Männern erst im Alter von Mitte/Ende 40 sinnvoll, sagen Dermatologen. Denn erst dann ist der Haarausfall fast endgültig abgeschlossen. Jedenfalls dann, wenn die kahlen Stellen durch erblich bedingten Haarausfall entstanden sind.
Glatze steht nicht jedem
Etwa die Hälfte der Männer in Deutschland leidet unter dieser genetischen Vorbelastung, sagt Kristian Limbach. Er leitet die Moser-Klinik in Bonn, die Transplantationen anbietet. Männer kämen zu ihm in die Praxis, weil sie jünger aussehen wollten und gesünder:
"Haare bilden ja meistens auch einen Rahmen um das Gesicht, und wenn dieser Rahmen unvollständig ist oder porös, fällt das auf. In der täglichen Kommunikation sitzen wir uns gegenüber, wir schauen uns gegenseitig ins Gesicht. Und wenn einem dort eben die Haare fehlen, fällt das auf. Und das wird oftmals als Mangel an Vitalität wahrgenommen."
Dabei gibt es prominente Gegen-Beispiele mit rasiertem Schädel: Ex-Bayern-München-Trainer Pep Guardiola etwa oder Schauspieler Jürgen Vogel. Für Carsten Ziegler kommt eine Glatze aus ästhetischen Gründen nicht in Frage:
"Das Experiment Glatze habe ich selber auch bestritten und muss leider sagen: Ich hab leider eine Kopfform – also ich habe quasi einen Conehead und aufgrund dessen: Das steht mir überhaupt nicht!"