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Habeck-Vorschlag zu Aufnahme von Flüchtlingskindern
"Wir würden wieder eine Ausnahmesituation schaffen"

Alexander Mitsch von der konservativen Werteunion hält nichts vom Vorschlag des Grünen-Chefs Robert Habeck noch vor Weihnachten 4.000 Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern nach Deutschland zu holen. Es solle keine weitere ungeregelte Migration nach Deutschland geben, sagte Mitsch im Dlf.

Alexander Mitsch im Gespräch mit Philipp May |
Der CDU-Politiker Alexander Mitsch ist Gründungsmitglied der sogenannten Werte-Union.
Der Vorsitzende der Werteunion, Alexander Mitsch plädiert in der Flüchtlingsfrage für Hilfen vor Ort: für finanzielle Hilfe und Hilfe beim Grenzschutz (picture alliance / Uli Deck/dpa)
Philipp May: 40.000 Menschen sind in den Flüchtlingslagern auf der griechischen Ägäis untergebracht, Platz ist dort eigentlich nur für 7.500. Die Zustände sind laut Berichten humanitärer Organisationen verheerend, und Griechenland rechnet schon mit einer weiteren, noch größeren Migrantenwelle aus der Türkei. Nun also, pünktlich zu Weihnachten, hat Robert Habeck den Vorstoß gemacht, bis zu 4.000 Kinder aus den Lagern nach Deutschland zu holen, doch die Reaktionen darauf sind vor allem aus dem Lager der Union ablehnend. Am Telefon ist jetzt Alexander Mitsch, CDU-Mitglied, aber vor allem Gründer, Vorsitzender und Sprecher der konservativen Werteunion. Er ist jetzt am Telefon, schönen guten Tag, Herr Mitsch!
Alexander Mitsch: Ja, einen schönen guten Tag, Herr May!
May: Ein Zeichen der Nächstenliebe, kurz vor Weihnachten? Es geht um das C der CDU. Sie als Werteunion, applaudieren Sie Robert Habeck für seinen vorweihnachten Vorstoß?
Flüchtlingskinder in Griechenland: Kritik an Habecks Forderung nach Soforthilfe
Deutschland müsse mindestens den 4.000 Kindern in griechischen Flüchtlingslagern helfen, forderte Grünen-Chef Robert Habeck. Sie sollten auch dann aufgenommen werden, wenn andere in der EU nicht mitmachen. Die Unionsparteien und die FDP sehen das kritisch, SPD und die Linke unterstützen die Idee.
Mitsch: Also das Einzige, wozu man ihn da beglückwünschen könnte, wäre eigentlich, dass ihm diese PR-Aktion ganz gut gelungen ist. Er hat den Moment richtig gut abgewartet mit eigentlich einer alten Idee und versucht jetzt, Kapital zu schlagen im Grunde aus den schlechten Situationen, die dort auf den griechischen Inseln bestehen. Inhaltlich ist dieser Vorschlag überhaupt nicht ausgegoren.
May: Ja, aber was ist daran unchristlich? Ist es unchristlich, eine begrenzte Zahl von Kindern zum Beispiel aus Elendslagern auszufliegen?
Mitsch: Ich hab ja nicht von unchristlich gesprochen, sondern ich hab davon gesprochen, dass es unausgegoren ist. Und es ist tatsächlich so, ich halte zum ersten Mal nichts davon, dass man jetzt die Kinder praktisch von den Familien trennen würde. Ich glaube nicht, dass wir den Kindern damit einen Gefallen tun, wenn wir jetzt nur Kinder und Jugendliche aufnehmen würden und sozusagen den Rest der Familie da zurücklassen. Das ist alleine schon ein Gedanke, der nicht zusammenpasst für mich.
May: Aber dann könnte man ja sagen, etwas weniger Kinder, aber dafür mit den Familien. Das würde dann ja eine begrenzte Zahl bleiben.
Mitsch: So, dann ist es genau der Punkt, über den man hier reden muss, dann wird auch tatsächlich ein Schuh draus. Es geht hier darum, dass man wieder die Einwanderung nach Deutschland erleichtert. Wenn man jetzt sagen würde, dann will man auch den Familiennachzug, das heißt, man will die ganzen Familien – das ist eine Position der Grünen, die bekannt ist –, aber dabei wird nicht gesagt, dass Deutschland ja pro Jahr jetzt schon ungefähr 200.000 Migranten aufgenommen hat, und wir würden hier wieder eine weitere zusätzliche Ausnahmesituation schaffen.
"Die richtige Lösung wäre, vor Ort zu helfen"
May: Aber 200.000, das ist ja auch das, was sozusagen erlaubt ist, was zulässig ist, worauf man sich geeinigt hat im Koalitionsvertrag. Jetzt ist kurz vor Weihnachten, das Jahr ist fast rum, dann könnte man doch sagen, tatsächlich eben als Zeichen der Nächstenliebe, weil die Situation dort so verheerend ist – wir haben es gerade im Bericht gehört –, dann nimmt man als Zeichen tatsächlich auch an die anderen Ländern noch eine begrenzte Zahl von Flüchtlingen zusätzlich auf. Man könnte es verkraften.
Mitsch: Wenn man vernünftig helfen wollte und wenn man nachhaltig helfen wollte, dann wäre die richtige Lösung, vor Ort zu helfen. Dann wäre die Lösung die, dass man die Kapazitäten der Flüchtlingslager entsprechend anpasst, nicht nur in Griechenland, sondern zum Beispiel auch in der Nähe von Syrien, beispielsweise in Jordanien, dass man dort das Geld investiert. Das ist effizienter, das ist auch eine schnellere Hilfe, als wenn man die Menschen dazu praktisch zwingt, ihre Heimat zu verlassen, in einen anderen Kulturkreis zu gehen. Das ist die Hilfe, wie man sie sich eigentlich effizient vorstellen sollte. Und zu den 200.000: Ja, es ist im Koalitionsvertrag ungefähr diese Zahl genannt, aber ich glaube, dass nach den zwei Millionen Menschen, die seit 2015 schon von Deutschland aufgenommen wurden, 200.000 schlichtweg zu viel ist. Die Grenze ist längst überschritten, und wir sollten hier dazu kommen, dass wir keine weitere ungeregelte Migration nach Deutschland in diesem Ausmaß zulassen.
"Ich war noch nicht dort"
May: Herr Mitsch, kommen wir noch mal zu dem Stichwort "vor Ort helfen". Man kann ja das eine tun, ohne das andere zu lassen. Deutschland hilft ja schon mit massiven Geldsummen vor Ort, und dennoch werden diese Lager immer voller. Waren Sie schon mal in den Flüchtlingslagern vor Ort und haben sich das Elend angeschaut?
Mitsch: Ich war dort noch nicht, und ich muss auch sagen, wenn man diese Bilder sieht, dann ist es natürlich eine Sache, die einen betrifft, und gerade deshalb sage ich, müssen wir dazu kommen, dass wir dort effizienter helfen. Ich meine, wenn wir hier über 4.000 Kinder reden, die wir aufnehmen, dann ist das letztendlich auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es sind Millionen Menschen in dieser Region auf der Flucht, die meisten davon befinden sich auch in Flüchtlingslagern, beispielsweise in Jordanien und in anderen Ländern, und da müssen wir effektiver unterstützen. Wenn man dran denkt, dass 2015 die große Welle von einer Million Menschen, die nach Deutschland kamen, auch dadurch ausgelöst wurde, dass Deutschland und viele andere Länder auch ihre finanziellen Verpflichtungen zurückgefahren haben oder nicht erfüllt haben, dann muss man doch akzeptieren, dass die Hilfe vor Ort effizienter ist. Und sie ist menschlicher, als wenn man die Menschen zwingt, ihre Heimat dauerhaft zu verlassen.
"Deutschland ist sehr human in dieser Angelegenheit"
May: Das tut ja keiner, die Menschen zu zwingen. Boris Pistorius – deswegen hab ich gefragt –, SPD-Innenminister aus Niedersachsen, haben wir gerade auch im Beitrag gehört, der ist jetzt ja nicht als blauäugig oder weich bekannt, und der war vor Ort und ist seitdem auch sehr aufgeschlossen in der Frage nach der Aufnahme von Kindern aus Flüchtlingslagern. Er sagt, wenn immer alle warten, dass alle mitmachen, macht am Ende keiner was. Es müssen ja nicht Tausende, aber es könnten ja einige Hunderte sein – wo wir wieder beim Zeichen der humanitären Geste wären.
Mitsch: Ja, Deutschland ist, glaube ich, sehr human in dieser Angelegenheit. Wir haben ja wie gesagt seit 2015 über zwei Millionen Menschen hier Zuflucht gewährt, die immer noch da sind. Es kam ja auch im Beitrag, dass pro Tag jetzt weiterhin 300 bis 500 Menschen nach Deutschland kommen und hier auch Aufnahme finden, aber letztendlich müssen Sie die Gesamtsituation sehen. Wir müssen akzeptieren, dass Deutschland nicht dadurch alle Probleme der Flüchtlinge und der Einwanderer lösen kann, dass sie alle eben nach Deutschland kommen. Und beispielsweise Thema Afrika: Jedes Jahr wächst Afrika um 25 Millionen Menschen. Wenn wir jetzt glauben würden, dass wir diese Probleme lösen können dadurch, dass die Menschen alle nach Deutschland kommen, dann wird klar, dass das nicht funktionieren kann.
May: Der Punkt ist angekommen, aber hier geht es ja explizit nicht um Afrika, sondern hier geht es um Flüchtlinge in den griechischen Flüchtlingslagern, die aus Syrien vor allem kommen.
Mitsch: Richtig. Und wenn Sie jetzt lesen, dass Griechenland beispielsweise damit rechnet, dass demnächst wieder 100.000 Flüchtlinge kommen, dann wäre eine Aufnahme von 4.000 Kindern, wenn wir sie denn machen würden, ein Tropfen auf den heißen Stein. Das löst das Problem nicht. Wir müssen die Kapazitäten in den Flüchtlingslagern vergrößern, wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen dort vernünftig leben können, aber solche undurchdachten Ad-hoc-Aktionen – hier mal eine Ausnahme von einigen Bootsflüchtlingen, da mal eine Ausnahme von Kindern –, das ist doch keine dauerhafte Lösung für diese Problematik.
"Finanzielle Hilfe und Hilfe beim Grenzschutz"
May: Aber Griechenland komplett allein lassen mit dieser Masse an Flüchtlingen kann man ja auch nicht.
Mitsch: Das tun wir ja auch nicht, im Gegenteil, wir bieten ja Griechenland auch unsere Hilfe an, und die wird auch angenommen. Das ist finanzielle Hilfe, das ist aber auch eine Hilfe beim Thema Grenzschutz. Wir müssen das Ganze auch vernünftig einsortieren. Wir reden hier davon, dass wir überfüllte Migrantenlager in Griechenland haben, deshalb haben wir dort unsägliche Situationen, deshalb haben wir dort diese Probleme, und dann müssen wir den Menschen auch dort helfen. Aber es sind überfüllte Migrantenlager, die hier zu dieser Problematik führen, und da halte ich es ehrlich gesagt eher für so eine Ad-hoc-PR-Aktion, wenn man jetzt sagt, na ja, so kurz vor Weihnachten müssen wir da mal 4.000 Kinder aufnehmen. Die nächste Forderung wird dann sein, dass die Familien nachkommen, und dann sind die Lager aber bald wieder gefüllt, also das ist doch keine vernünftige nachhaltige Politik.
May: Wäre es dann nachhaltig, die sogenannte europäische Lösung anzustreben, dass sozusagen jedes Land einen Teil auf seine Schultern nimmt, damit könnten Sie leben, wenn auch Italien sagen würde und die Niederlande und noch mehr Staaten, ja, wir sehen ein, wir alle müssen einen Teil von diesen Menschen aufnehmen?
"Wir brauchen eine europäische Verteilung"
Mitsch: Ja, Deutschland hat ja ungefähr die Hälfte aller Flüchtlinge und Migranten seit 2015 innerhalb Europas aufgenommen, obwohl wir ja …
May: Ist auch das stärkste, wirtschaftlich stärkste und bevölkerungsreichste Land.
Mitsch: Genau, 80 Millionen von ungefähr 500 Millionen Einwohnern. Das heißt, wir haben noch nicht mal ein Fünftel der Einwohner, und wir haben dennoch die Hälfte aufgenommen, das heißt, Deutschland hat schon eigentlich sein Soll deutlich übererfüllt. Das liegt einfach daran, dass wir hier auch eine Sogwirkung geschaffen haben durch unsere Sozialleistungen, dass die Menschen natürlich am liebsten auch hierher nach Deutschland kommen. Das ist ein Geburtsfehler, und ja, wir brauchen eine europäische Verteilung, aber unsere europäischen Partner sind an dieser Stelle leider sehr, sehr skeptisch, sie lassen Deutschland oft alleine an der Stelle. Und ich glaube, wir können uns nicht darauf verlassen, auch wenn es wünschenswert wäre, dass die europäischen Partner hier uns diese Aufgabe auch teilweise abnehmen, und das ist ein Problem.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.