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Weltwirtschaftsforum in Davos
Robert Habeck (Grüne): Das Kapital in die richtige Richtung lenken

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will auf dem WEF in Davos vor allem ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von internationaler Zusammenarbeit schaffen. Die Probleme seien groß, sagte er im Dlf, aber man habe die Möglichkeit, sie zu lösen.

Robert Habeck im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, blickt am Rande eines Interviews mit Journalisten der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in seinem Büro in die Kamera des Fotografen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) im Dezember 2022 (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Im schweizerischen Davos findet zurzeit das Weltwirtschaftsforum statt. Das Thema der Konferenz im Jahr 2023 lautet im Jahr nach Corona-Pandemie und Beginn des Kriegs gegen die Ukraine: "Zusammenarbeit in einer fragmentierten Welt". Anders als sonst fehlen allerdings in diesem Jahr wichtige Staatschefs, weil Probleme im eigenen Land drängender sind - oder sie das Forum vielleicht nicht mehr für so wichtig halten. Es fehlen unter anderem der US-Präsident, der französische Präsident - und auch China schickt nur einen Stellvertreter.
Deutschland ist dagegen mit einer großen Abordnung vertreten: unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sind angereist. Robert Habeck erklärt im Interview, warum er die Gespräche in Davos wichtig und sinnvoll findet.
Stefan Heinlein: Sie sind nicht allein in Davos. Der Kanzler wird kommen und auch Ihre Kabinettskollegen Lindner, Heil und auch Karl Lauterbach. Warum ist Davos für die Bundesregierung so wichtig?
Robert Habeck: Man kann natürlich die berechtigte Frage stellen, was soll so eine Elitetagung – und das ist es ja ohne Frage; als Normalsterblicher kann man sich hier kein Hotelzimmer leisten. Auf der anderen Seite kann man sich auch die Frage nicht stellen und einfach versuchen, das Beste daraus zu machen.
Es gibt dieses Treffen, die Leute sind da und es ist in der Kombination deswegen was Besonderes, weil die Politik und diejenigen, die Wirtschaftsunternehmen leiten oder führen, die dort leitende Verantwortung tragen, hier auf engem Raum zusammen sind. Das kann man kritisieren; das kann man aber auch nutzen und ich will es nutzen, und darum geht es, dass man das Kapital, wenn ich so reden darf, in die richtige Richtung lenkt.

Habeck: Der Sinn ist, viele Leute zu treffen

Heinlein: Der US-Präsident und auch Chinas Staats- und Parteichef, Herr Habeck, könnten sich sicherlich ein Hotelzimmer in Davos leisten. Dennoch werden sie diesmal nicht kommen. Deutet das darauf hin, dass Davos doch an Bedeutung verloren hat?
Habeck: Ich glaube, dass die Gründe unterschiedlich sind. Wir haben gerade im Vorbericht gehört, Macron hat die Rentenreform. Ich sollte heute den afrikanischen Präsidenten treffen; der hat Probleme in seinem eigenen Land. Da fallen die Kohlekraftwerke aus, weil die zu alt sind. Also unterschiedliche Gründe, nehme ich an. Und dann muss man auch sagen: Wenn jemand kommt, eine Rede hält und wieder wegfliegt, ist auch nicht viel gewonnen.
Wenn ich einen Blick in meinen Tag geben darf? – Der Sinn, hier zu sein, ist, im Halben-Stunden-Takt viele Leute zu treffen. Insofern ja, okay, das ist, ich würde sagen, ein Abzug in der B-Note. Aber ob Davos sinnvoll ist oder nicht sinnvoll ist, hängt nicht an der Liste der Namen.
Heinlein: Auch Sie werden ja heute Mittag, wenn ich recht informiert bin, bereits wieder wegfliegen aus Davos, Herr Habeck. Welchen Sinn macht es denn, über die Chancen und Risiken für die Weltwirtschaft, diese großen Themen, die Sie angedeutet haben, zu reden, ohne diese beiden Wirtschaftsgiganten, die USA und China?
Habeck: Die sind ja schon vertreten. Die amerikanische Handelsministerin, meine Kollegin ist hier. Der stellvertretende chinesische Ministerpräsident, wenn dies das richtige Wort ist, kommt ebenfalls. China ist da, das letzte Mal in Davos, zum ersten Mal, jetzt zum zweiten Mal, dass die überhaupt das Land wieder verlassen. Es ist jetzt nicht so, dass die gar nicht stattfinden. Es sind nur die beiden Staatschefs nicht da. Aber wie gesagt, das ist ja überbrückbar durch intensive Gespräche.

„Die globale Welt zerfällt immer stärker in Einzelinteressen“

Heinlein: Dann reden wir über die Inhalte, Herr Habeck. Frau Hondl hat es berichtet. Das Motto von Davos lautet: „Zusammenarbeit in einer zersplitterten Welt.“ Beschreibt dies unsere Gegenwart, oder formuliert dies eher einen Wunschgedanken?
Habeck: Es beschreibt den Auftrag, denn das ist ja ohne Frage so. Neben all den konkreten Herausforderungen – die Pandemie in China ist ja voll am wüten, noch lange nicht vorbei; die Klimakrise, in einer dramatischen Geschwindigkeit schreitet sie voran; soziale Ungerechtigkeit grassiert. Das sind die inhaltlichen Themen, die zu lösen sind, und dazu kommt, dass die globale Welt, die man mal glaubte, gehabt zu haben, und die sich ja auch mit dem Gründungsgedanken von Davos verbindet – es war ja mal ein liberaler Think Tank, wenn man so will, neoliberaler Think Tank, kann man geradezu sagen -, die zerfällt immer stärker in Einzelinteressen und in Machtinteressen. Das Zusammenspiel leidet stark. Die internationalen Organisationen, wo das organisiert werden sollte, also die UN, die Welthandelsorganisation, die sind ramponiert, um es vorsichtig auszudrücken. Aber die sind natürlich notwendig. Wir können ja nicht zugucken, wie die Welt wieder in lauter Partikularinteressen zerfällt, und insofern: Zur Lösung all der Probleme braucht es Gespräche und nicht nur Vorlesen der Sprechzettel, sondern auch ein Zuhören und dann eine Dynamik, und die kann man nicht erzwingen. Die muss man machen und darauf hoffen, dass dann der Funken irgendwie weitergeht und weitergetragen wird und daraus dann eine konstruktive Haltung wird.

Die Gefahr weiterer Handelskriege

Heinlein: Wenn die Gefahr besteht, dass es in Zukunft heißt, Herr Habeck, so verstehe ich Sie, rette sich wer kann, jeder versucht, seine Einzelinteressen, sein Land in Sicherheit zu bringen, wie groß ist dann das Risiko, dass es dadurch dann zu Konflikten, zu weiteren Handelskriegen möglicherweise kommen könnte?
Habeck: Groß, sehr groß. Das muss man sagen. Und das ist tatsächlich eine der sinnvollen Aufgaben von Davos. Wir sehen es bei einigen Ländern, dass sie die Isolation oder die Machtkonfrontation gewählt haben, natürlich am eklatantesten in Europa Russland, aber auch China beispielsweise hat eine sehr aggressive Politik die letzten Jahre gefahren. Jetzt ist die Frage, wie darauf andere Länder antworten.
Wenn sich Indien, der asiatische Raum, afrikanische Länder oder auch der amerikanische Kontinent oder auch Staaten in Europa entscheiden, das gleiche zu tun, dann ist eins sicher: Wir werden die Probleme der Welt nicht mehr lösen können. Dann werden wir die Kooperation bei Klimakrise, bei sozialer Gerechtigkeit, bei Ausgleich bei fairen Handelsbeziehungen, aber auch zur Bekämpfung von Covid-19 nicht hinbekommen, und das muss man versuchen zu verhindern. Da ist Davos dann nicht der schlechteste Ort, darüber zu reden.

„Die Probleme sind groß, aber wir haben alle Möglichkeiten sie zu lösen“

Heinlein: Es könnte durchaus düster werden in den kommenden Jahren. – Gehört es zu den Aufgaben, zu den bitteren Aufgaben eines Ministers, als zuständiger Minister den Menschen erklären zu müssen, die Ära eines stetig wachsenden Wohlstands ist für den Moment vorbei, es kommen härtere Zeiten auf uns zu in den kommenden Jahren?
Habeck: Es könnte düster werden. Die Organisatoren haben einen Bericht vorgelegt, der diese Krisen alle in düstersten Farben beschreibt. Trotzdem ist ja ein Unterschied zwischen der Beschreibung und der Haltung, mit der man die Probleme angeht, und ohne Deutschlands Rolle überhöhen zu wollen, was war das letzte Jahr düster in der Beschreibung, was hätte alles passieren können. Worüber wurde geredet, Volksaufstände und Blackout und Kernschmelze der deutschen Wirtschaft. Natürlich sind die Krisen nicht vorbei, aber wir haben ja auch in Europa, auch in Deutschland durch Kooperation und vor allem durch die Bereitschaft, Verantwortung auf uns zu nehmen und entschlossen zu handeln, vieles auch abgewendet oder zumindest für den Moment handhabbar gemacht. Deswegen würde ich gerne nicht mit dieser Geisteshaltung hier herumlaufen und sagen, oh je, die Welt geht unter, wir haken uns alle unter und starren in den Abgrund, aber mehr können wir auch nicht machen, sondern ja, die Probleme sind groß, aber wir haben auch alle Möglichkeiten, die finanziellen, die ökonomischen und die intellektuellen Ressourcen, die Probleme zu lösen. Das, denke ich, darauf kommt es an. Europa hat es im letzten Jahr gezeigt, wie es gehen kann, und das versuche ich, auch ein bisschen zu befördern und auszustrahlen.

Rezession, Inflation und Marktregulierung

Heinlein: Aber wie lange hat Deutschland, hat Europa noch die finanziellen Möglichkeiten, die Sie gesagt haben, die Sie erwähnt haben? Wie lange kann sich Deutschland noch leisten, die Folgen dieser Entwicklung einer Rezession, die kommen wird – so sind ja die Vorhersagen -, der Inflation für die Menschen durch staatliche Programme, durch immer neue Sondergelder zu subventionieren?
Habeck: Erst einmal haben die Gelder, die wir in die Hand genommen haben, verhindert, dass es eine explodierende Inflation und eine tiefe Rezession gibt. Die haben wir noch, sie ist zu hoch und die Preise sind zu hoch. Es ist ja nicht gut. Ich sage ja nicht, dass alles überstanden ist. Aber wir haben es handhabbarer gemacht, als wir befürchten mussten am Ende des Sommers, weil wir viel Geld in die Hand genommen haben. Die Hilfspakete für die Unternehmen, die Gas- und die Strompreisbremsen, aber auch die Unterstützung von UNIPER haben geholfen. Das heißt, Geld auszugeben führt nicht automatisch zur nächsten größeren Krise. Sie kann sie auch abmildern und verhindern. Ähnlich haben wir ja auch bei Covid-19 agiert. Aber natürlich haben Sie recht. Wenn man jetzt sagt, die nächsten 40 Jahre klappt nichts mehr, außer der Staat gibt Geld dazu, dann hat man natürlich verloren. Insofern müssen wir schon in eine stabile Form, wo die Märkte am Ende die Krisen lösen, reinkommen und damit bin ich wieder bei dem Hauptpunkt von mir in Davos. Die Unternehmen, das Kapital, die Finanzmärkte, die Energieunternehmen, sie müssen in die richtige Richtung mitziehen. Wir brauchen Leitplanken. Die Märkte organisieren sich nicht von alleine zu Gunsten des gesellschaftlichen Wohlstands oder der Wohlfahrt besser. Wohlstand für einige vielleicht, aber nicht für alle und zum Wohle der Gesellschaft. Das muss die Politik machen. Aber dann muss auch die Marktwirtschaft in die Richtung arbeiten und dann wird das Geld, das ja zuhauf da ist, auch vernünftig eingesetzt. Das ist die große Aufgabe der Zeit.

Der Rücktritt von Verteidigungsministerin Lambrecht

Heinlein: Herr Habeck, noch bis heute Mittag, bis heute Nachmittag reden sie über diese großen internationalen Themen, die Kriege und Krisen. Aber wenn Sie aus Davos zurückkehren, werden Sie in Berlin andere Themen erwarten. Am Kabinettstisch fehlt dann Ihre Kollegin Christine Lambrecht. Wie sehr werden Sie die zurückgetretene Bundesverteidigungsministerin vermissen?
Habeck: Ich habe mit Christine Lambrecht in einigen Bereichen, beispielsweise bei dem kleineren, aber dann doch so nervenden Konfliktfeld Bundeswehr-Windkraftausbau gut zusammengearbeitet. Bei anderen Fragen haben wir Lösungen gefunden. Das sind beispielsweise die Waffenlieferungen für die Ukraine. Da sind wir nicht gleich gestartet, aber dann haben wir uns schrittweise nach vorne bewegt. So ein Rücktritt ist immer auch ein politisches und auch ein persönliches Drama und ich wünsche der Kollegin jetzt wirklich viel Kraft, Abstand zum Betrieb zu gewinnen und mit einer inneren Ruhe dann das Jahr nicht in allzu schlechter Erinnerung zu haben.

Die Nachfolge der Verteidigungsministerin

Heinlein: Soweit die Abschiedsworte von Ihnen an Christine Lambrecht. – Blicken wir voraus. Der Kanzler hat noch nicht entschieden über die Nachfolge. Sollte diesmal bei dieser Personalfrage die Qualität wichtiger sein als die Einhaltung der Parität am Kabinettstisch?
Habeck: Christine Lambrecht hatte ja langjährige Erfahrung in der Politik und als Ministerin. In dem Sinne kann man ja nicht sagen, dass sie nicht qualifiziert war. Umgekehrt gibt es Fachleute, ich will jetzt gar nicht vom Verteidigungsministerium reden, aber von anderen Bereichen, die dann quasi den Blick nicht mehr auf die Problemlage haben, sondern schon so tief drin sind, dass sie die Übersicht manchmal verlieren oder auch den Abstand zu den beteiligten Verbänden nicht in dem Maße haben. Qualifikation geht ja in verschiedene Richtungen und kann man definieren. Ich finde nicht, dass man sagen kann, Christine Lambrecht wäre jetzt per se nicht qualifiziert gewesen, und so bin ich sicher, dass der Bundeskanzler die richtige Personalentscheidung treffen wird.
Heinlein: Jetzt sind Sie geschickt meiner Frage ausgewichen. Ich versuche es noch mal.
Habeck: Aber das wird zu nichts führen!
Heinlein: Doch, ich versuche es noch mal.
Habeck: Sehr gerne.
Heinlein: Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen hat sich bereits festgelegt. Es muss wieder eine Frau werden oder das Kabinett muss umgebaut werden. Sehen Sie das genauso?
Habeck: Na ja. Der Bundeskanzler hat im Wahlkampf gesagt, bei ihm gibt es ein quotiertes Kabinett. Die Gesellschaft bildet sich ab auch in der Frage der Geschlechterparität, wie viele Männer, wie viele Frauen haben Macht, haben Verantwortung im Kabinett. Ich habe bisher noch nicht gehört, dass das zurückgenommen wurde, das Wort, und unterhalb dessen, sehen Sie die Grünen, gibt es ja verschiedene Möglichkeiten, flexibel zu agieren. Das sollte kein Widerspruch sein.
Heinlein: Jetzt haben wir noch eine Minute Zeit, knapp 40 Sekunden. Reden wir über die Kampfpanzer. Entscheidungen in London, in Warschau, Druck auch aus Helsinki. Wie stark ist denn innerhalb der Koalition noch der Widerstand gegen die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine? Wir haben noch 30 Sekunden.
Habeck: Ich denke, dass, wenn die Personalie Verteidigungsministerin/minister geklärt ist, das die erste Frage ist, die dann konkret zu entscheiden sein wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.