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Haderthauer-Rücktritt
"Seehofer hat den Daumen gesenkt"

Ganz so freundschaftlich, wie Christine Haderthauer glauben machen will, dürfte das Gespräch mit CSU-Chef Horst Seehofer nicht gewesen sein. Der Ministerpräsident dürfte seiner Staatskanzleichefin hingegen den Rücktritt unmissverständlich nahegelegt haben, sagte der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter im DLF.

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Christine Heuer |
    Die Leiterin der bayerischen Staatskanzlei, Christine Haderthauer (CSU), nimmt am 12.06.2014 in Berlin, während eines Redaktionsbesuches bei der Deutschen Presse Agentur dpa an einem Gespräch teil.
    Wegen der sogenannten Modellauto-Affäre tritt die Leiterin der bayerischen Staatskanzlei Christine Haderthauer von ihrem Amt zurück. (dpa / picture-alliance / Inga Kjer)
    Christine Haderthauer sei aufgrund der sogenannten Modellauto-Affäre als Chefin der bayerischen Staatskanzlei und Staatsministerin für Bundesangelegenheiten nicht mehr zu halten gewesen, sagte der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter im Interview mit dem Deutschlandfunk. CSU-Chef Horst Seehofer habe deutlicher als Haderthauer gesehen, dass sie unbedingt zurücktreten müsse. "Seehofer hat den Daumen gesenkt", sagt der Politikwissenschaftler.
    Sollten sich die Betrugsvorwürfe gegen Haderthauer bewahrheiten, so hält Oberreuter ihre Rückkehr in die vorderste Front der Politik für völlig ausgeschlossen. Könnten diese jedoch ausgeräumt werden, so sei eine politische Aufgabe nach einer gewissen Bewährungszeit jedoch wieder möglich. "Auch wenn es für Haderthauer sehr schwer werden wird."

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Christine Heuer: Am Telefon ist Heinrich Oberreuter, Parteienforscher, Schwerpunkt CSU, ehemaliger Direktor der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Guten Morgen, Herr Oberreuter.
    Heinrich Oberreuter: Ja, guten Morgen!
    Heuer: Wird die CSU Christine Haderthauer sehr vermissen?
    Oberreuter: Frau Haderthauer ist die Repräsentantin einer Generation von effizienter und auch durchsetzungsbewusster Weiblichkeit. So viele Vertreterinnen dieses Genres hat die CSU nicht. Aber auf der anderen Seite hat sie natürlich auch ein übertriebenes Selbstbewusstsein, Selbsteinschätzung. Insofern ist sie sicher auch nicht die Dame in der Partei, die mit allergrößter Zuneigung und Freundschaften gesegnet ist. Das ist ambivalent, sie macht einen Posten frei und ist auf diesem Posten schwer zu ersetzen.
    Heuer: Man mochte sie nicht. Ist sie politisch instinktlos?
    Oberreuter: Na ja. Ich glaube, sie hat einen Fehler: Sie hat - aber da steht sie nicht alleine – vergessen, dass Politik über weite Strecken doch zumindest, wenn man in Staatsämtern ist, Dienst ist an der Allgemeinheit, Dienst am Allgemeinwohl. Dass es nicht so sehr darum geht, sich selbst in den Vordergrund zu stellen und Karriere zu machen und alles, was man tut und treibt, im Grunde auf sich selbst zu beziehen. Das ist in unserer Mediengesellschaft, denke ich, ein allgemeines Phänomen, aber sie steht dafür in einer ganz besonderen Weise.
    Heuer: Wird sie in der CSU noch einmal eine Rolle spielen können oder ist das jetzt endgültig?
    Oberreuter: Endgültig ist es in jedem Fall dann, wenn die Klärung der rechtlichen Vorwürfe zu einem für sie negativen Ergebnis kommen sollte. Wenn ihre Mitwirkung oder halbe Mitwirkung an Betrugsvorgängen - das ist ja der Vorwurf, der da im Raum steht -, wenn das sich als strafrechtlich bewährt erweisen sollte und zu Konsequenzen führen sollte, dann, glaube ich, ist die Sache endgültig. Wenn es "lediglich" um die Stilprobleme, um die Art und Weise der Strategie und Taktik, der scheibchenweisen Bewältigung dieser öffentlichen Auseinandersetzung geht, wenn es nur um die Halbwahrheiten geht – das "nur" würde ich auch in Anführungszeichen verstanden wissen -, dann, glaube ich, kann man nach einer gewissen Bewährungszeit durchaus damit rechnen, dass eine gewisse Rückkehr in die vordere Front der Politik möglich ist. Aber das ist mit einigen Ungewissheiten verbunden. Ein endgültiges Urteil sehe ich da noch nicht, aber eine Rückkehr wird sehr, sehr schwer.
    Heuer: Warum tritt Haderthauer gerade jetzt zurück? Das hätte sie ja auch schon vor einigen Wochen tun können.
    Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter.
    Über Heinrich Oberreuter
    Geboren 1942 in Breslau, Polen. Oberreuter studierte Politikwissenschaft, Geschichte, Kommunikationswissenschaft und Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er arbeitete an verschiedenen Universitäten als Professor, von 1980 bis 2010 hatte er bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Politikwissenschaften in Passau inne. Der Politikwissenschaftler ist Direktor des Instituts für Journalistenausbildung in Passau.
    Oberreuter: Ja, gerade nach dem, was sie in ihrer Erklärung gesagt hat, dass juristische Klärungen wochenlang dauern. Als Anwältin sollte sie das wissen. Sie tritt jetzt zurück, denke ich, weil die Affäre sich nun tatsächlich ewig hinzieht. Und weil nun der Politikbetrieb natürlich auch wieder angeht. Und weil nicht vorstellbar ist, dass irgendeine Kabinettsaktivität, in der sie involviert ist, irgendeine parlamentarische Aktionsweise, in der sie gefordert ist als Staatskanzlei-Repräsentantin, über die Bühne geht, ohne dass dann auf ihre problematische politische und ethische Position Bezug genommen wird. Das hat sie rechtzeitig gerade noch erkannt, das hätte sie früher erkennen können. Und insofern ist dieser Zeitpunkt unausweichlich. Und vor allen Dingen soll man davon ausgehen, dass Horst Seehofer im Grunde seine Geduld auch erschöpft sah. Ich meine, er hat seinen Instinkt in dieser Angelegenheit ohnehin etwas im Garderobenschrank abgelegt. Er hat ihr zu lange vertraut und er hat sukzessive ja auch von der vollen Rückendeckung über den Hinweis auf die Klärung der juristischen Angelegenheiten, bis er dann zum Schluss auch über die politisch-moralischen Dimensionen der ganzen Angelegenheit gesprochen hat, er hat sich stufenweise fortentwickelt.
    Heuer: Und dann, Herr Oberreuter, hat Herr Seehofer in dem freundschaftlichen Gespräch, das er mit Frau Haderthauer geführt hat, in Wahrheit den Daumen über sie gesenkt?
    Oberreuter: Davon kann man ausgehen. Ich glaube, wenn ich mir die beiden vorstelle, dass die Einsicht in die Notwendigkeit des Rücktrittsereignisses bei Horst Seehofer deutlicher ausgeprägt gewesen ist als bei Frau Haderthauer.
    Heuer: Nimmt der bayerische Ministerpräsident selbst Schaden aus dieser Affäre?
    Oberreuter: Er hat im Augenblick eine schwierige Situation. Und er hat in Berlin einige Probleme, die nicht so zu seiner Befriedigung laufen, wie er es gerne hätte, wenn ich an die Maut denke, wenn ich an die Armutszuwanderungsprobleme denke, wenn ich an die außenpolitische Position denke, die die CSU in der europäischen oder nahöstlichen Krisensituation hat. Und dann kommt diese Geschichte noch dazu, in der er ganz wider Erwarten zögerliches Verhalten zeigt und, ich glaube - ich wiederhole es -, ein bisschen Verlust des politischen Instinkts zu Tage tritt. Dann, denke ich, hat er auch eine Kerbe in seinem Standing zu verzeichnen.
    Heuer: Eine Kerbe mehr.
    Oberreuter: Bitte?
    Heuer: Eine Kerbe mehr!
    Oberreuter: Eine Kerbe mehr in seinem Standing, ja. Diese Erfolgs- und Erlösergeschichte, die sich um ihn herumrankt in den ersten Jahren seines bayrisch-politischen Wirkens, die hat ohnehin seit der Europawahl, auch seit der Kommunalwahl in Bayern gewisse Verluste erlitten. Es ist mehr Realitätssinn eingekehrt. Und in diesem Kontext muss man auch die Affäre Haderthauer sehen.
    Heuer: Haderthauer galt zwischendurch als Seehofers Kronprinzessin. Ändert ihr Rücktritt jetzt viel an der personellen Tektonik in der CSU-Spitze, oder spielte sie eine so wichtige Rolle dort nicht?
    Oberreuter: Ich glaube, die Kronprinzessin, diese Rolle hat sie selbst für sich viel deutlicher gesehen als alle anderen. Seehofer kam es zu pass, weil er eine Vielfalt von Kronprinzen und Kronprinzessinnen sehr goutiert hat, denn das hat ihn einer vorgezogenen Nachfolgediskussion eigentlich enthoben. Von den Fünfen, die da in der Rede stehen, ist jetzt eine weg. Vier sind immer noch genug. Die Tektonik der CSU wird dadurch, glaube ich, weniger beeinträchtigt oder verändert, als man sich das vorstellen kann. Die, glaube ich, systematische Herausforderung für Seehofer und für die Tektonik der Regierungsweise liegt eigentlich darin, für die Staatskanzlei einen angemessenen Nachfolger/Nachfolgerin zu finden.
    Heuer: Sagen Sie ganz kurz zum Schluss einen Namen, Herr Oberreuter.
    Oberreuter: Na ja. Ich denke, man braucht einen Bewährten, der Erfahrung hat, und ich könnte mir vorstellen, dass der Umweltminister Huber, Marcel Huber, der das schon mal ein halbes Jahr gemacht hat, in diese Position rückt. Von den jungen Politikern und Talenten, die da genannt werden, die sind alle ganz vorzeigbar. Aber in dieser Position halte ich nichts davon, weil man da Erfahrung und Standing braucht. Und das haben die alle noch nicht.
    Heuer: Der Parteienforscher Heinrich Oberreuter. Vielen Dank fürs Interview.
    Oberreuter: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.