Eine einfache junge Frau aus dem Volk verliebt sich in den Herrscher über Leben und Tod. Semele, so ihr Name, bandelt mit Göttervater Jupiter an, der ihr in der Gestalt eines smarten Jünglings erscheint. Und sie begehrt ihn nicht nur, sondern sie will durch ihn ebenfalls unsterblich, also eine Göttin werden. Jupiters Gattin Juno ist davon freilich nicht begeistert und funkt erfolgreich dazwischen.
"Semele" ist ein weltliches Oratorium in englischer Sprache. Es entstand in der letzten Londoner Schaffensphase Händels, als er das Genre Oper schon lange ad acta gelegt hatte. Für den britischen Dirigenten Christopher Moulds spielt das aber keine Rolle.
"Die Musik ist in der Tat sehr opernhaft. Das Werk schreit wirklich danach, auf eine Bühne gebracht zu werden! Und mit dem niederländischen Regisseur Floris Visser hatte ich sechs Wochen Zeit, unsere gemeinsame Inszenierung vorzubereiten. Und ich finde, sie ist wirklich sehr organisch geworden!"
Floris Visser siedelt das Götterdrama in Washington an, in der Schaltzentrale der Macht, dem "Oval Office" des Präsidenten im Weißen Haus. Das sehr realistische Bühnenbild ist von handwerklich hervorragender Qualität, die Ausstattung ebenso. Jupiter, bzw. "Mr. President" lässt sich unschwer als Bill Clinton identifizieren. Und Semele, das sterbliche Mädchen, ist folgerichtig Praktikantin Monica Lewinsky. Die rachsüchtige Ehefrau Juno, sprich Hillary, fegt im knallroten Kostüm über die Bühne und dabei u.a. den Schreibtisch des Gatten leer.
"Semele"-Protagonisten hatten selbst Spaß an intensiver schauspielerischer Arbeit
Die Personenführung von Floris Visser ist exzellent. Man spürt, dass die Protagonisten selbst Spaß an der intensiven schauspielerischen Arbeit hatten und auch eigene Ideen einbringen konnten. Selten erlebt man, dass ein modernes Regiekonzept derart schlüssig aufgeht.
Die englische Sopranistin Jennifer France gestaltete die Partie der Semele, die sage und schreibe 16 große Arien umfasst, mit Bravour und zeigte dabei alle Register ihrer wandlungsfähigen Sopranstimme. Kongenial an ihrer Seite Ed Lyon in der Rolle des Jupiter. Überhaupt war das Sängerensemble dieser Karlsruher Neuproduktion in bester Form, ebenso das festspieleigene Orchester, die "Deutschen Händelsolisten" unter Leitung von Christopher Moulds.
Semele ist eine tragische Frauengestalt, aber dennoch nicht vergleichbar mit den meisten leidenden Protagonistinnen in den Opern des 19. Jahrhunderts. Sie ist kein Opfer, sondern hat einen eigenen Willen, den sie durchzusetzen versucht. Das zeichnet Händels Protagonistinnen fast immer aus, betont der künstlerische Leiter der Internationalen Händelfestspiele Karlsruhe, der Russe Michael Fichtenholz.
"Die Frauen von Händel sind immer bereit, sich selbst zu verteidigen. Da gibt es also die ganze Palette von Gefühlen. Da gibt es die Frauen, die ganz stark sind, die sind empört. Und die sind nicht immer gut. Und die sind fast nie perfekt."
Da Händel selbst sein Privatleben nach besten Kräften abgeschottet hat, wissen wir nichts über sein Verhältnis zum anderen Geschlecht, sagt Fichtenholz.
"Die Händelforscher beschäftigen sich auch mit dem Thema, ob er homosexuell war oder nicht. Für mich spielt das eigentlich keine Rolle, weil so ein Genie wie Händel brauchte nicht unbedingt eine persönliche Beziehung zu einer Frau, um die Frauenseele so gut zu kennen."
Händel-Jugendpreis
Dass Händels Musik auch von Musikschülerinnen und -schülern in Baden-Württemberg gepflegt wird, ist ein Anliegen der Karlsruher Händelgesellschaft. Sie veranstaltet jedes Jahr im Vorfeld des Festivals den Wettbewerb um den Händel-Jugendpreis, der inzwischen unter der Ägide des Landesmusikrates durchgeführt und für diverse Instrumente, sowie Gesang ausgeschrieben ist.
"Es gibt natürlich ein Vorspiel in den verschiedenen Kategorien", erzählt der Vorsitzende der Karlsruher Händelgesellschaft Peter Overbeck:
"Und wir haben eine Jury, die sehr breit besetzt ist. Also Konservatorium, Staatstheater, Musikpädagogik und ich von der Musikhochschule und ein Kollege von der Musikhochschule."
Die ersten Preisträger des Wettbewerbs dürfen im Rahmen eines Konzerts bei den Händelfestspielen auftreten. In diesem Jahr war der 19-jährige Countertenor Jan Jerlitschka aus Reutlingen dabei. Wieso hat er sich für dieses Fach entschieden?
"Das kam dadurch, dass ich erstmal relativ spät angefangen hab zu singen. Ich bin so mit zwölf Jahren tatsächlich erstmal zum Singen gekommen. Dadurch hat sich dann ergeben, dass die Stimme in der hohen Lage geblieben ist und die Tiefe dazugekommen ist, und dann war das auch der Wille, in dieser Richtung weiterzumachen in der Stimmlage."
Händel-Akademie und Sparbeschlüsse
Nicht nur der Jugendwettbewerb, sondern auch die sogenannte Händel-Akademie, die am heutigen Montag wieder ihre Arbeit aufgenommen hat, gehört zum Programm des Karlsruher Festivals. Hier werden Studierende im Fach Musik von renommierten Händelinterpreten unterrichtet. In diesem Jahr unter anderem von der Sängerin Vivica Genaux und der Geigerin Anna Katharina Schreiber. Womöglich werden einige der Teilnehmer später im Hauptprogramm zu erleben sein.
"Es gibt manche, die tatsächlich den Jugendwettbewerb gemacht haben, bei der Händel-Akademie Kurse gemacht haben und dann im Rahmen von Festspielen aufgetreten sind, also Biografien durch alle Händel-Institutionen", betont Peter Overbeck. Dieses dreistufige Modell ist allerdings in Gefahr.
"Die Stadt Karlsruhe hat im Rahmen ihrer letzten Sparbeschlüsse für den Haushalt 17/18, also auch für dieses Jahr die Händel-Akademie bestrichen. Also keine Kürzung, sondern gestrichen komplett! Also die Händel-Akademie wird sowohl vom Land als auch von der Stadt hälftig finanziert. Wenn der eine Partner reduziert oder erhöht, muss der andere nachziehen."
Das Land Baden-Württemberg würde die Akademie weiter finanzieren. So verhandeln die Händelgesellschaft und das Badische Staatstheater derzeit mit der Stadt Karlsruhe - Ausgang offen.
"Man braucht die Akademie! Wir haben dieses Jahr mehr Bewerbungen für sechs Kurse als für elf Kurse im Vorjahr", betont der künstlerische Leiter der Händelfestspiele Michael Fichtenholz.
Die Sparbeschlüsse würden darüber hinaus, wenn sie denn umgesetzt werden, auch weitere gravierende Einschnitt zur Folge haben. Statt bisher rund 30 Veranstaltungen mit zum Teil hochkarätigen Künstlern könnte es in Zukunft nur noch 20 geben.
"Wir werden das Programm nicht so umfangreich machen, vielleicht also weniger Konzerte."
Da stellt sich zwangsläufig die Frage, ob diese 40. Saison der Internationalen Händelfestspiele in Karlsruhe womöglich die letzte in solch hervorragender Qualität gewesen ist.