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Händel-Festspiele Karlsruhe
"Serse" nicht in Persien, sondern in Las Vegas

Macht, Liebe und Habgier - davon handelt Georg Friedrich Händels Oper "Serse". In der Inszenierung für die Festspiele Karlsruhe singt der Countertenor Max Emanuel Cenčić nicht nur: Er führt auch Regie und lässt Händels Werk im Las Vegas der 1970er-Jahre spielen - was erstaunlich gut funktioniert.

Von Elisabeth Richter |
    Ein Sänger sitzt mit Gitarre am Rand eines Swimmingpools, umgeben von Männern und Frauen in Badesachen. Hinter ihm sieht man zwei große gemalte Flamingos.
    Eine Poolparty und mittendrin: Liberace-Serse gesungen von Franco Fagioli. Ein Eindruck aus der Inszenierung von Händels Oper Serse bei den Internationalen Händelfestspielen 2019. (Falk von Traubenberg)
    Musik: Händel, Serse, 3. Akt, Crude furie, Serse (Franco Fagioli)
    Wie Schuppen fällt es Serse am Ende der Oper von den Augen, als ob er aus einem bösen Traum erwacht. Die von ihm begehrte Romilda hat seinen Bruder Arsamene geheiratet, und jetzt wird öffentlich ein Brief seiner Ex-Geliebten Amastre vorgelesen, mit den heftigsten Anklagen über seinen Liebesverrat und weitere schlimmste Verfehlungen. Serse rastet aus, die grausamen Furien des Abgrunds gießen ihr Gift über ihn aus.
    Musik: Händel, Serse, 3. Akt, Crude furie, Serse (Franco Fagioli)
    "Serse, der sogenannte persische König, er hat alles, aber am Ende ist er es, der alles verspielt. Er kriegt nicht das Mädel, das er begehrt, er kriegt nicht die Liebe seiner Familienangehörigen, und er bleibt am Anfang wie am Ende der Oper ganz alleine. Man kann alles haben und gleichzeitig nix",
    sagt Michael Fichtenholz, künstlerischer Leiter der Händel-Festspiele Karlsruhe.
    Macht, Liebe und Habgier
    Macht und Liebe, Liebesillusionen sind Themen in Händels später Oper "Serse", aber auch die Habgier eines Herrschers. Einsamkeit ist der Preis.
    Musik: Händel, Serse, 3. Akt Amor tiranno Amor, Arsamene (Max Emanuel Cenčić)
    Max Emanuel Cenčić in der Doppelrolle als Regisseur und in der Rolle von Serses eifersüchtigem Bruder Arsamene lässt die Handlung nicht im antiken Persien spielen, sondern im Las Vegas der 1970er-Jahre. Persien, das lässt an das als Sündenpfuhl verrufene Babylon denken, insofern macht das lasterhafte Las Vegas als Handlungsort durchaus Sinn.
    Countertenor Franco Fagioli als Titelheld ist unverkennbar der US-amerikanische Las-Vegas-Showmaster Władziu Valentino Liberace, der in seiner "Serse-Show" Talente promotet, und der wie einst Liberace alias "The Glitter Man" in diversen funkelnden "Glitter-Anzügen" auftritt. Bei Händels Evergreen "Ombra mai fu" begleitet sich der studierte Pianist und Countertenor Fagioli selbst wie "Mister Showmanship" am Klavier.
    Musik: Händel, Serse, 1. Akt, Ombra mai fu, Serse (Franco Fagioli)
    Franco Fagioli in der Rolle des Titelhelden
    Franco Fagioli spielt den exzentrischen Titelhelden mit sichtlichem Vergnügen und fantastischer schauspielerischer Präsenz. Stimmlich lässt der argentinische Sänger mit seinem voluminösen, runden, immer wohlbalancierten und technisch nahezu perfekt geführten Countertenor keine Wünsche offen. Max Emanuel Cenčić hat als Regisseur und als Countertenor in der Rolle des eifersüchtigen Arsamene nicht weniger Spaß als der Titelheld.
    Musik: Händel, Serse, 2. Akt, Si la voglio e la ottero, Arsamene (Max Emanuel Cenčić)
    Das Verfrachten der Serse-Handlung von Persien nach Las Vegas – inklusive schwuler Nachtklubs, bunter Swimmingpools im tropischen Ambiente und lasziver Hinterzimmer-Quickies - funktioniert erstaunlich gut. Cenčić inszeniert mit Witz und Tempo, aber als Sänger niemals gegen die Musik. Dabei hat er – zum Beispiel mit der faszinierenden amerikanischen Sopranistin Lauren Snouffer als Romilda oder dem chinesischen Bassbariton Yang Xu als frechen Diener Elviro – ein Sänger-Ensemble auf höchstem, internationalem Niveau.
    Musik: Händel, Serse, 3. Akt, Caro voi siete all alma, Romilda (Lauren Snouffer)
    Der Grieche George Petrou leitete die glänzend harmonierenden "Deutschen Händel-Solisten" mit ungeheurer Verve und Präzision. Allein – und das gilt auch ein wenig für die turbulente Regie – die ruhigen musikalischen Momente, das so wichtige Innehalten für die Selbstreflektion – kam im Ganzen ein wenig zu kurz.
    Musik: Händel, Serse, 1. Akt, O voi che penate, Romilda (Lauren Snouffer)
    Händel-Festspiele Karlsruhe
    Die 1978 ins Leben gerufenen Händel-Festspiele Karlsruhe sind das jüngste der drei deutschen Händel-Festivals. Das Plus für die Opernproduktionen ist hier, dass – anders als in Halle oder Göttingen - ein großes Haus zur Verfügung steht, mit über 1.000 Plätzen, einer exzellenten Drehbühne und weiteren technischen Möglichkeiten. Der künstlerische Leiter der Händel-Festspiele Karlsruhe Michael Fichtenholz.
    "Man darf nicht vergessen, diese Opern wurden für große Bühnen geschrieben. Die Kapazität der Königlichen Oper am Heumarkt, wo viele Händel-Opern aufgeführt wurden, sowie auch vom Covent Garden waren sogar auch über 1.000 Plätze. Es war tatsächlich jede Theater-Aufführung der Händel-Zeit von großem Maßstab. Ich denke, dass wir dies in Karlsruhe am besten vermitteln können."
    Neben den beiden Opernproduktionen – ab dem 23. Februar wird die Vorjahres-Oper "Alcina" auf dem Programm – bieten die Händel-Festspiele Karlsruhe Konzerte, die Meisterkurse der Händel-Akademie, sowie Künstler-Gespräche zu ausgewählten Themen der Händel-Interpretation und -Forschung. In den drei Konzerten der Reihe "Abendsterne" in der Christuskirche am Mühlberger Tor möchte Michael Fichtenholz Raum für Experimente geben. Gestern trat zum Beispiel die Blockflötistin, Geigerin und Pianistin Anna Fusek mit einem Programm rund um die Oper "Alcina" auf.
    "Sie tritt auf nicht mit einem Barock-Ensemble, sondern mit einem Ensemble, das eher im Bereich Jazz und zeitgenössische Musik verankert ist, nur der Name des Ensembles sagt schon einiges: die Freakshow. Damit möchte ich dem Publikum beweisen, dass es sehr viele Wege zu den Werken von Händels gibt."
    Musik: Händel, Serse, 3. Akt, Ritorna a noi la calma (Chor)