Archiv

Härtefallrichtlinien des Kriegsfolgengesetzes (AKG)
Kritik an Kürzungen von NS-Opferrenten

Er war der wohl bekannteste Wehrmachts-Deserteur: der 2018 gestorbene Ludwig Baumann. Trotz seines erlittenen Unrechts wurde ihm zuletzt die NS-Opferrente gekürzt, weil er in ein Pflegeheim umgezogen war. Das entspricht zwar den Regelungen - aber genau die geraten nun in die Kritik.

Von Christiane Habermalz |
    Der Vorsitzende der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, Ludwig Baumann, posiert am 24.11.2015 an dem neuen Deserteurdenkmal am Stephansplatz in Hamburg.
    2015 trafen Ludwig Baumann und Olaf Scholz (SPD) beim Deserteursdenkmal in Hamburg aufeinander - nun verteidigt Scholz die Kürzungen der NS-Opferrenten (picture alliance / Daniel Bockwoldt)
    Ludwig Baumann war der wohl bekannteste Deserteur aus Hitlers Wehrmacht. Weil er zuletzt hochbetagt in einem Pflegeheim lebte, wurde ihm seine NS-Opferrente nachträglich um die Hälfte gekürzt. Sein Sohn soll nun 4.000 Euro zurückzahlen, weil sein Vater offenbar seinen Umzug ins Heim nicht sofort angemeldet hatte.
    Wer in ein Heim muss, bekommt nur noch die Hälfte
    Hintergrund ist eine Regelung, wonach Anspruchsberechtigten ihre Opferrente um die Hälfte gekürzt wird, wenn sie in ein Heim umziehen - mit der Begründung, dass man dort ja voll versorgt sei. Der parlamentarische Geschäftsführer der Linken-Fraktion im Bundestag, Jan Korte, sprach von einer beschämenden Praxis, die sofort geändert werden müsse.
    "Denn das erlittene Unrecht, das diese Menschen während des NS-Terrors erlebt haben, das wird ja nicht dadurch weniger, dass man in einem Heim lebt. Sondern die NS-Opferrente hat ja als Intention, dass erlittene Unrecht anzuerkennen. Und deswegen muss dieses sofort geändert werden."
    Zwölf Jahre Todeszelle - ein Opferrente von 660 Euro
    Der Tod Ludwig Baumanns im Juli dieses Jahres im Alter von 96 Jahren sorgte für viele Nachrufe, sogar im "Spiegel". Seinem Engagement ist es zu verdanken, dass der Bundestag ab 1998 - spät - Gesetze erließ, die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure - im Jargon der Nazis sogenannte Wehrkraftzersetzer - rehabilitierten. Baumann desertierte 1942 als 21-Jähriger - aus Überzeugung, dass Hitlers Krieg ein völkermörderischer Unrechtskrieg war. Er wurde zum Tode verurteilt, saß lange in der Todeszelle, bis er zu zwölf Jahren KZ-Haft begnadigt und später in ein Strafbataillon an die Ostfront geschickt wurde. Zuletzt erhielt Baumann eine Opferrente von 660 Euro monatlich, die in ein "Heimtaschengeld" von 352 Euro umgewandelt wurde. Ein Vorgang, der in hohem Maße unwürdig sei, kritisiert Korte.
    "Im letzten Jahr wurden insgesamt noch rund 700.000 Euro Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter und NS-Opfer ausgezahlt. Also wirklich de facto fast nichts mehr in diesem Bereich. Und bei irgendwie hochbetagten Leuten, die eh Ewigkeiten, Jahrzehnte drum kämpfen mussten, dass sie überhaupt als Opfer anerkannt werden. Also erst mal politisch. Da ging es ja noch gar nicht um Geld. Da kann auch nur die deutsche Bürokratie drauf kommen!"
    Finanzminister Olaf Scholz (SPD) will an Regelung festhalten
    Doch das Finanzministerium unter Olaf Scholz( SPD) will trotz der Kritik an der Regelung festhalten. Es seien keine Änderungen geplant, sagte eine Ministeriumssprecherin der Nachrichtenagentur dpa. Die Regelung war erst 2014 von Scholz' Vorgänger im Amt, Wolfgang Schäuble, eingeführt worden, ist aber bislang wenig bekannt geworden. Scholz selber hatte noch im Jahr 2015 mit Baumann zusammen als damaliger Bürgermeister das Deserteurdenkmal am Hamburger Stephansplatz eingeweiht. Die Linkspartei will das Thema Opferrentenkürzung nun nach der Sommerpause in den Bundestag bringen - und hofft, so Korte, auf fraktionsübergreifende Unterstützung.