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Häschenschule auf USB-Stick

Die Einführung des E-Books wird von den Verlagen ängstlich beäugt: Zu Recht, meint Verlagsberater Rainer Groothuis. Er befürchtet, dass illegale Downloads zu sinkenden Auflagen und rapiden Umsatzeinbußen führen werden - und zieht Parallelen zur Musikindustrie.

Von Michael Köhler | 13.04.2009
    Michael Köhler: Als die Mönche zu langsam und zu fehlerhaft Manuskripte kopierten, die Augen schwach, die Hände träge wurden, da entstand der Buchdruck mit beweglichen Lettern. Ein Renaissance-Ideal der Schönheit kam mit der B42 - das ist keine Bundesstraße, sondern die 42-zeilige Bibel Johannes Gutenbergs - in die Welt. Aber nicht nur ästhetisch änderte sich etwas, auch medientechnisch und praktisch war das eine Revolution, eine "multiplicatio librore". Nicht die Neuzeit machte also den Buchdruck möglich, sondern eher umgekehrt: Der Buchdruck machte die Neuzeit möglich. Insofern ist also Buchgeschichte immer auch Wissensgeschichte, Innovationsgeschichte, Informationsgeschichte - und jetzt ändert sich wohl wieder etwas. In unserer Reihe über digitales Buch- und Urheberrecht geht es um das E-Book. iPhone, E-Book, Blackberry, Smartphone, Notebook, das ist heute Standard - klein und alles drin. E-Book heißt im weitesten Sinn, das Medium Buch mit seinen medientypischen Eigenarten in digitaler Form verfügbar zu machen. Frage an Rainer Groothuis, Sie beraten Verlage, Buchhandlungen in Sachen Marketing, Kommunikation, Vertrieb: Ist das E-Book eigentlich noch ein Buch?

    Rainer Groothuis: Na ja, nach der Definition, die Sie gerade vorgetragen haben - das Buch mit seinen Eigenschaften digital verfügbar zu machen -, in dem Sinne natürlich nicht, weil zu den Eigenschaften des Buches natürlich auch seine Körperlichkeit gehört, seine Dinglichkeit aus Papier, Einbandmaterialien, aus diesen ganzen Stoffen, die die Sinne beschäftigen. Das wird natürlich in dem Sinne ein E-Book nicht hinbekommen. Ein E-Book ist ja definitiv digital und damit im Grunde genommen virtuell.

    Köhler: Aber gibt es die Praxis des Herunterladens von Texten eigentlich nicht schon lange? Die Gutenberg-Bibliothek, der rechtefreie Zugang auf Texte, wo ich mir mal schnell ein ganzes Drama von Schiller oder ein ganzes Libretto einer Oper herunterladen kann oder auch im Größeren - haben wir so etwas nicht eigentlich schon längst?

    Groothuis: Ja, haben tun wir das schon. Das, was im Moment die Welle ausmacht, ist ja nicht das E-Book als solches, also nicht das Bereithalten von digitalen Texten zum Herunterladen aus dem Internet, sondern was die Welle macht, ist ja die Einführung des E-Book-Readers in Deutschland durch Sony. Eigentlich geht es primär im Moment um die Hardware zu längst vorhandenen Softwaregepflogenheiten, da haben Sie recht, ja.

    Köhler: Für bestimmte Nutzungen wie Sachtexte, Reparaturanleitungen, medizinische Fachaufsätze, wissenschaftliche Artikel - aber im Leben würde man sich doch keinen "Törleß" von Musil oder einen Thomas Mann auf E-Book angucken, oder?

    Groothuis: Ich bin inzwischen der festen Überzeugung, dass der E-Book-Reader als weiteres Hardware-Instrument in unseren Taschen - neben Handy, Blackberry, Laptop und was die Menschen noch alles mit sich rumschleppen - eigentlich überflüssig ist. Begründung: Jene Textformen, die Sie mit Recht erwähnt haben - Kurzinformationen, wissenschaftliche Informationen, Sachinformationen und Weiteres - können Sie eigentlich relativ bequem heute auch schon auf einem iPhone oder iPod oder Ähnlichem lesen und hören. Dazu brauchen Sie den größeren E-Book-Reader nicht. Und für komplexere Dinge gibt es eben nach oben das Laptop, was ja auch viele schon mit sich herumschleppen, so dass diese Zwischenform, die dann ja eben doch sehr begrenzt ist, dieser E-Book-Reader, nach meinem Dafürhalten keinen Sinn macht. Ich denke, wir werden genau das erleben. Eine relativ gute Qualität, lesbare Qualität - wie gesagt, mit Buch ist das alles nicht zu vergleichen - haben wir ja jetzt schon auf dem iPhone, und wenn sie komplexere Dinge tatsächlich auf einem Laptop lesen wollen mit doppelseitiger Wirkung, dann werden Sie das in absehbarer Zeit auch können.

    Köhler: Wird das E-Book Einfluss nehmen auf die Preisbindung im Buchhandel oder, einfacher gesagt, auf das Preisgefüge, auf die Preiserwartungen an Texte?

    Groothuis: Auf die Preiserwartung des Publikums mit Sicherheit. Es gab, sagen wir mal, in der Phase zwischen der letztjährigen Frankfurter Buchmesse und der Leipziger Buchmesse jetzt vor wenigen Wochen im März in den Medien immer wieder Meldungen, wo man so Vorstellungen hatte, es gäbe dann ein normales Buch zu einem Download für etwa neun Euro, fünf Euro. Da taumelten die erstaunlichsten Preise durch die Gegend. Inzwischen sagen aber alle Verlage, die sich bisher öffentlich dazu geäußert haben, ein E-Book würde höchstens 10, 12, 15 Prozent unter dem Originalpreis liegen. Das heißt, wir werden Verlage haben, die sagen: Wir bringen erst das Hardcover, wie gewohnt, zu einem normalen Preis, dann etwas zeitversetzt das E-Book, und in dem Moment, wo wir aus dem Hardcover das Taschenbuch machen, senken wir den E-Book-Preis auf den Taschenbuchpreis. Eine andere Frage ist natürlich die: Was ist mit der ganzen Sache der illegalen Downloads?

    Köhler: Da haben Sie jetzt quasi den Glutkern erwischt in unserer Serie über digitales Buch- und Urheberrecht. Wird das Einfluss nehmen?

    Groothuis: Natürlich wird das Einfluss nehmen. Wenn Leute an Literatur, an Büchern bislang interessiert waren, mussten sie in aller Regel ein Buch kaufen, und das wird natürlich einfach durch die Digitalisierung, illegale Downloads, völlig anders werden. Es gab in Leipzig eine Podiumsdiskussion, wo ein Verlagsvertreter sagte: Wir haben vor, mit jedem Download die weitere Verbreitung von drei Downloads für legitim zu halten und erst danach eine Sperre einzurichten. Na ja, wenn man also drei Downloads kostenlos hergibt oder sagen wir mal drei zum Preis von einem, hat man rein rechnerisch einen Verlust von 30 Prozent Verkäufen. Und es wird natürlich auch das ganze Gefüge der Buchbranche Einfluss nehmen, denn wir werden auch dort die gleiche Erfahrung machen, die wir in der Musikindustrie ja schon hinter uns haben: Natürlich konzentrieren sich die Nutzer auf wenige Downloadanbieter. Der Glaube, man würde dann die Leser einladen, den Download in ihrer Buchhandlung mit einem USB-Stick zu machen - das ist natürlich völlig albern.

    Köhler: "Die Häschenschule" auf USB-Stick, die zu Ostern seit Jahrzehnten immer noch gern verschenkt wird - schwer vorstellbar. Auflagen gehen runter, Verlage haben Umsatzeinbußen: Das fürchtet auf lange Sicht Rainer Groothuis. Das Buch muss sich vielleicht anders präsentieren.