Tobias Armbrüster: Es ist häufig ein Knochenjob, ein Job ohne geregelte Arbeitszeiten, und er ist entweder gar nicht bezahlt, oder sehr, sehr schlecht. Wir reden über pflegende Angehörige, vor allem über Ehefrauen, Töchter, Mütter. In den allermeisten Fällen sind es Frauen, die sich um kranke oder behinderte Familienmitglieder kümmern. Immer häufiger ist diese Situation Alltag in deutschen Familien. In immer mehr Familien bestimmt die Pflege eines Menschen den Tagesablauf.
Die Politik hat das erkannt und versucht, solchen Familien unter die Arme zu greifen. Gestern gab es wieder einen Vorstoß im Kabinett: Ein neues Gesetz, das verhindern soll, dass Kinder von Pflegebedürftigen zu viel zahlen müssen für die Pflege ihrer Eltern. Wir wollen diesen Bereich Pflege und Familie heute Morgen mal etwas näher beleuchten. Am Telefon ist Kornelia Schmid. Sie ist die Vorsitzende des Vereins pflegende Angehörige. Sie hat im Internet eines der größten Netzwerke von Betroffenen gegründet und sie ist außerdem Mutter von drei Kindern und sie pflegt seit vielen Jahren ihren schwerkranken Ehemann. Schönen guten Morgen, Frau Schmid.
Kornelia Schmid: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Frau Schmid, es ist zwölf nach acht. Wie sieht Ihr Tagesablauf heute an diesem Donnerstag aus?
Schmid: Ich war gerade hinten bei meinem Mann und habe gesagt, Du musst jetzt Geduld haben, weil ich jetzt zehn Minuten nicht kommen kann. Mein Mann ist im Endeffekt seit 27 Jahren an MS erkrankt. Er hat noch Pflegegrad vier, aber der Antrag auf fünf läuft, weil er jetzt gar nichts mehr tun kann seit letzter Woche. Er kann weder Beine, noch Arme bewegen. Das heißt, mein Lebenskuchen schrumpft. Mein Lebenskuchen – das nenne ich immer so – oder die Lebenspizza, wie man es nennen mag, jeder hat ja seine Bereiche in seinem Leben. Die von pflegenden Angehörigen schrumpfen eigentlich nach und nach, je nachdem was für eine Krankheit oder was gerade ansteht. Bei mir ist es so, dass ich ein sehr individueller Mensch bin, der immer viel Freiraum brauchte, sehr viel Hobbys hatte und so weiter und ehrenamtlich aktiv war, und das schrumpft nach und nach, weil ich letztendlich die Hilfe meinem Mann geben muss. Er kann nicht einmal die Nase putzen. Ich putze ihm die Zähne, ich reiche ihm das Trinken, ich gebe ihm das Essen. Das was jeder normale Mensch selbstverständlich macht, dazu braucht er mich.
"Wir pflegen in Liebe"
Armbrüster: Das heißt, wieviel Zeit für Sie selbst, für Ihre Hobbys haben Sie jeden Tag?
Schmid: Ich kann es gar nicht sagen, weil man kann das schlecht zusammenrechnen. Ein richtiges Hobby eigentlich nicht mehr in dem Sinne, dass ich sage, ich fange etwas an und beende es, ich setze mich jetzt eine Stunde hin und mache das. Das ist definitiv weg. Mein Hobby ist jetzt diese Facebook-Gruppe und mein Verein pflegende Angehörige e.V. und da fließt es immer minutenweise. Das ist stückchenweise, weil ich eigentlich ständig gerufen werde. Das ist ja auch natürlich. Wenn ein Mensch nichts mehr tun kann, braucht er einen, der es für ihn tut. Na ja, dann bleibt eigentlich nicht mehr viel.
Armbrüster: Wie würden Sie diese Arbeit dann beschreiben? Ist das für Sie eine erfüllende Aufgabe, die Pflege Ihres Mannes? Oder ist das vor allem eine Belastung?
Schmid: Das ist eine ganz gute Frage, weil letztendlich ist es beides. Ich liebe meinen Mann ja über alles und ich würde alles für ihn tun und ich werde ihn pflegen, bis ich nicht mehr kann. Deswegen kämpfe ich wahrscheinlich auch so dafür, für pflegende Angehörige, weil wir das alle letztendlich tun. In meiner Gruppe ist das Thema oben drüber: Wir pflegen in Liebe. Und mein Motto des Vereins ist: Nur wenn es dem Pflegenden gut geht, geht es dem Pflegebedürftigen gut.
Armbrüster: Wir reden über erfüllende Aufgaben, die Frage, ob das eine erfüllende Aufgabe ist.
Schmid: Genau. Es ist definitiv dahingehend erfüllend, dass wir an jedem Lächeln, an jedem Glück unserer Lieben auch Glück haben. Das ist es. Und jeder Mensch, der liebt, weiß, was das bedeutet. Bei meinem Mann ist es so: Wenn ich mit meinem Mann lachen kann, dann bin ich glücklich, und deswegen tue ich auch alles dafür.
"Wir brauchen niedrigschwellige Entlastung"
Armbrüster: Man hört dieses Lachen übrigens auch durch die Telefonleitung. Trotzdem ist das natürlich ein ernstes Thema und ich würde Sie gerne auch noch fragen: Welche Unterstützung bekommen Sie bei dieser schweren Arbeit, zum Beispiel durch den Staat?
Schmid: Wir sind ein Drei-Generationen-Haus. Darum kann ich mich auch engagieren. Wenn ich im Moment sage, Oma – die wohnt oben -, ich brauche jetzt Hilfe, dann ist die da und die ist eine Stunde bei meinem Mann und die gibt ihm auch Essen und Trinken. Das kann ein anderer natürlich nicht haben und deswegen kämpfe ich auch. Ich habe vorhin im BR das Gespräch von gestern gehört. Da wurde das sehr gut geschildert. Wir brauchen niedrigschwellige schnellstmögliche Entlastung, weil wir werden auch krank. Es gab unglaubliche schlimme Zeiten, wo ich selber so krank war, aber ich habe trotzdem noch gepflegt, und das tun die pflegenden Angehörigen prinzipiell. Man kann wirklich sagen, ich habe letztens eine Umfrage in meiner Gruppe gemacht: Wir stecken die Bedürfnisse von uns komplett zurück zu Gunsten unserer Pflegebedürftigen. Aber das tun wir dann auch wieder gerne, weil wir einfach dann sehen, dass es dem gut geht. Das hat mit Menschenwürde zu tun. Wenn ich merke, mein Mann hat ein würdevolles Leben hier, der hat noch einen tollen Standard, einen würdevollen Lebensstandard, dann bin ich glücklich und zufrieden, und so geht es uns pflegenden Angehörigen allen. Das Thema Hilfe, da öffnen Sie jetzt Türen, da könnte ich Stunden drüber sprechen, weil es fehlen erstens niedrigschwellige Hilfen.
Armbrüster: Was sind niedrigschwellige Hilfen? Was schwebt Ihnen da vor?
Schmid: Eine niedrigschwellige Hilfe wäre im Endeffekt für mich am besten die Verhinderungspflege. Da sind die Menschen möglich, die da sind wie Freunde.
"A und O bei häuslicher Pflege ist Vertrauen"
Armbrüster: Das heißt? Sie müssen das, glaube ich, ein bisschen erklären, weil viele Leute, die mit diesem Bereich nicht so vertraut sind, das nicht kennen. Verhinderungspflege, nehme ich an, heißt, da kommt jemand ins Haus zu Ihnen von außen, wenn Sie aus irgendeinem Grund nicht mehr können?
Schmid: Ganz genau. Das ist ein Gesetz, da stehen einem im Jahr 1612 Euro zu und da kann ich jemanden reinholen, der unser Vertrauen hat. Das A und O bei häuslicher Pflege ist Vertrauen, dass man demjenigen vertraut, der langt schon richtig hin oder der macht das schon gut und den mögen wir auch gern und so weiter. Das heißt, ich kann dann demjenigen ein bisschen was zahlen. Wenn ich dem jetzt 15 oder 20 Euro in der Stunde gebe, dann kann ich das bei der Krankenkasse mit einer Liste einreichen. Dann schreibe ich ein paar Worte dazu: Hiermit beantrage ich Verhinderungspflege und bitte überweisen Sie den Betrag da und da hin, wir haben das und das ausgegeben. Dann kann ich das im Endeffekt abrechnen.
Armbrüster: Und bewährt sich das?
Schmid: Das ist das Bewährteste überhaupt! Aber da kann ich Ihnen sagen: Dann kommt das nächste Problem: diese Bürokratie. Verhinderungspflege ist ein Topf im Pflegesystem. Wenn man den Deckel aufmacht, ich sage es Ihnen, da sind tausend Detailteufel drin. Das ist das Problem, und dann sind wir beim nächsten Problem der pflegenden Angehörigen. Was uns wirklich am meisten belastet – da habe ich auch eine Umfrage gemacht und das geht mir nicht anders -, das sind die bürokratischen Probleme und die Hürden, die uns teilweise von den Kassen aufgelegt werden. Diese Kämpfe, die arbeiten uns auf und die kosten uns für die Pflege an unseren Lieben wirklich unglaublich viel Kraft.
Pflegende und sorgende Angehörige
Armbrüster: Wir müssen jetzt noch über einen anderen bürokratischen Schritt reden. Ich habe es schon erwähnt, Sie haben es natürlich auch gehört: Die Bundesregierung hat gestern diesen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Der betrifft jetzt wahrscheinlich nicht Sie als pflegende Ehefrau, aber er betrifft vor allem Kinder, deren Eltern pflegebedürftig sind. Dieses neue Gesetz soll jetzt besagen: Kinder werden erst ab einem Bruttoeinkommen von 100.000 Euro im Jahr zur Kasse gebeten. Das heißt, erst dann werden sie aufgefordert, mit zu zahlen bei den Ausgaben für die Pflege. Wie kommt dieser Gesetzesvorschlag an bei Ihren Mitgliedern, bei den Mitgliedern in Ihrer Internet-Gruppe?
Schmid: Als erstes sind viele ganz, ganz arg sauer, weil die Berichterstattung total irreführend war. Die Überschriften haben gelautet, pflegenden Angehörigen wird geholfen. In dem Moment, wo ich meinen Vater, meine Mutter oder wen auch immer ins Heim gegeben habe, bin ich im Endeffekt eigentlich mehr ein sorgender Angehöriger. Diese Begriffe wollen wir auch gerne, die fordern wir eigentlich von der Politik ein, sorgende und pflegende Angehörige, weil sonst vermischt sich das immer. Ich bin pflegende Angehörige, weil ich hier zuhause 24 Stunden rund um die Uhr meinen Mann pflege. In dem Moment, wo er im Heim ist, pflege ich ihn nicht mehr 24 Stunden. Das macht dann praktisch die Pflegekraft im Heim. Es ist positiv in dem Sinne für die Menschen, die vielleicht – das muss man schon auch so sehen – ihre Mutter, ihren Vater nicht ins Heim geben würden, weil sie ans Geld denken. Das heißt, man pflegt dann Jahre, Jahre, Jahre länger, ist total am Ende, die Pflege hat eine schlechte Qualität, weil man es einfach nicht mehr so schafft, aber man tut es nicht, weil man die Hürde der Finanzen hatte. Die ist natürlich jetzt mit dieser 100.000 Euro Grenze bedeutend besser.
Armbrüster: Frau Schmid, könnte dieses neue Gesetz dazu führen, dass sich mehr pflegende Angehörige dafür entscheiden, ihre Ehemänner, Ehefrauen, vielmehr die Eltern in Pflegeheime zu geben?
Schmid: Kann dazu führen, weil der Grund ja dann wegfällt. Es hat aber auch mit den Pflegebedürftigen selber zu tun, weil die Mama sagt, ich will euch nicht auf die Last fallen, und verdrückt letztendlich ihre Behinderung und verleugnet sie und wurstelt umeinander, obwohl sie es eigentlich schon gar nicht mehr kann. Die ganze Familiensituation steht so unter Hochspannung letztendlich, dass es schon lange besser gewesen wäre, wenn sie in ein Heim gekommen wäre, wo es ja gute Heime auch gibt. Es gibt nicht nur schlechte Heime, wobei wir diesbezüglich ganz viele Erfahrungen haben. Aber die Hürde, dass dann der Pflegebedürftige selber sagt, ich gehe ins Heim, weil ich ja jetzt meinen Kindern nicht mehr so auf der Tasche liege, die, denke ich, ist jetzt auch bedeutend niedriger. Aber dann kommt natürlich das nächste Problem, die Plätze, weil es gibt ja sowieso keine Plätze.
Armbrüster: Und das ist sicher ein weiteres Problem. Das müssen wir ein anderes Mal besprechen.
Schmid: Genau.
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