In mehr als 300.000 Haushalten in Deutschland leben ausländische Betreuungs- und Pflegekräfte. Sie ermöglichen es den meist älteren Menschen, möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden wohnen bleiben zu können. Alle sechs bis acht Wochen wechselt die Betreuungskraft; in der Regel sind es Frauen aus Polen, Rumänien, Bulgarien und anderen osteuropäischen Ländern. Viele von ihnen haben nun Sorge vor dem neuen Coronavirus Sars-CoV-2 und vor den daraus resultierenden politischen Maßnahmen, erklärt Frederic Seebohm, Geschäftsführung und Vorstandsmitglied, Verband für häusliche Betreuung und Pflege e.V..
Susanne Kuhlmann: Herr Seebohm, Betreuungs- und Pflegekräfte aus dem Ausland wünscht sich in dieser Zeit wahrscheinlich noch mehr als in normalen Zeiten, bald nach Hause zu können. Was passiert dann und wollen die für den Wechsel eingeplanten Frauen überhaupt noch nach Deutschland?
Frederic Seebohm: Wir stellen immer häufiger fest, dass Betreuungspersonen vorzeitig abreisen, und Ersatz, der eigentlich geplant war, nicht kommt. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen sind die Grenzen teilweise in Südosteuropa geschlossen, Flüge sind gestrichen, wir haben Wartezeiten von 15 Stunden an der Grenze, vor allen Dingen haben die Betreuungspersonen Angst um die eigene Familie im Heimatland oder rechnen damit, dass sie in Quarantäne müssen, wenn sie wieder zurückkehren.
Kuhlmann: Wie ist denn formal die Grenzsituation, was die Aus- und Einreise betrifft?
Seebohm: Formal ist es so, dass wir auf eine besondere Grenzregelung für Betreuungskräfte warten. So wie es diese Pendlerbescheinigung in Frankreich oder zur französischen Grenze und österreichischen und Schweizer Grenze gibt, so warten wir jetzt auf entsprechende Bescheinigungen für Betreuungskräfte, damit sie möglichst schnell die deutsche Grenze passieren können und einreisen können.
Zusätzliche Prämien, damit Pflegekräfte hier bleiben
Kuhlmann: Was ruft das für Probleme hervor in den betroffenen Familien bei uns?
Seebohm: Wir müssen damit rechnen, wenn diese Situation so fortdauert und die Angst zunimmt, dass nach Ostern schrittweise 100, 150, 200.000 Familien nicht mehr versorgt sind, alte und kranke Menschen nicht mehr versorgt sind. Wir haben es hier mit einer systemrelevanten Dienstleistung zu tun. Die ist genauso wichtig wie die ambulante Pflege oder die klinische Versorgung. Und wir hoffen alle, dass diese Situation nicht eintritt.
Kuhlmann: Gibt es Alternativen, auf die die Familien zurückgreifen können?
Seebohm: Im Moment behelfen sich die Vermittlungsagenturen damit, dass sie versuchen, durch zusätzliche Prämien die Betreuungspersonen zum hier bleiben zu überzeugen. Teilweise behilft man sich, indem man Betreuungspersonen versucht zu gewinnen, die praktisch kein Deutsch sprechen, aber aus wirtschaftlichen Interessen daran interessiert sind, hier in Deutschland zu arbeiten. Aber diese Übergangslösung ist natürlich nicht lange aufrecht zu erhalten, und offen gestanden: Welche Alternative dann zur Verfügung steht, weiß ich nicht. Wir können natürlich dann versuchen, hier Freiwillige aufzufordern und zu bitten, aber die Altenheime oder geschweige denn die Kliniken werden nicht in der Lage sein, sich um diese Menschen zu kümmern.
Kuhlmann: Über einen wie langen Zeitraum wir reden, das weiß ja auch niemand.
Seebohm: Genau. Wir haben natürlich keine Vorstellungen, wie lange diese Corona-Krise andauert. Die Mitglieder des Verbandes für Häusliche Betreuung und Pflege gehen davon aus, dass sie bis ungefähr Ostern die Situation noch stabilisieren können, wobei wir ja hier von 300.000 Betreuungspersonen sprechen, von denen die Allermeisten gar nicht legal in Deutschland arbeiten, insofern wir als Verband auch gar nicht einschätzen können, wie stabil dort die Versorgungssituation ist.
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