"Wir stehen heute, auch am kommenden Montag wieder, vor der Frage: Wie bringen wir die Gefangenen unter? Und wenn es bei uns noch einen minimalen Anstieg an Belegung geben würde, dann wären wir am Ende."
Regierungsrat Matthias Weckerle leitet die Justizvollzugsanstalt Rottenburg nahe Tübingen. Ein Jurist mit viel Erfahrung im Strafvollzug. Mit rund 500 Gefangenen zählt Rottenburg zu den großen Haftanstalten in Baden-Württemberg. Männer aus etwa 60 verschiedenen Ländern sitzen hier ihre Strafen ab. Diebe, Vergewaltiger und Mörder - Weckerle betont mehrfach:
"Es geht um Menschen, die man hier unterbringen muss. Und das sind Menschen, die in einer extrem schwierigen Lebenssituation sind, die ganz unterschiedliche Störungen, Auffälligkeiten haben. Wir haben eine sehr heterogene Klientel. Wir haben aggressive Menschen, junge Gewalttäter, die von Straßen-und Jugendgangs kommen, wir haben alte Gefangene, die teilweise Anzeichen von Demenz zeigen."
"Am Rande des Kollapses"
17 Haftanstalten gibt es in Baden-Württemberg, und alle sind überfüllt. Einzelzellen werden deshalb doppelt belegt, Zweierzellen vierfach. Mancher Häftling hat kein Bett, nur eine Matratze zum Schlafen. Längst kann auf die zunehmende Zahl psychisch auffälliger, auch traumatisierter Menschen, keine Rücksicht mehr genommen werden.
Die Gefängnisse im Land stünden am Rande des Kollapses, die Stimmung unter den Mitarbeitern sei sehr schlecht. Das sagt Alexander Schmid, Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten in Baden-Württemberg:
"Extrem angespannt, weil auch den Kolleginnen und Kollegen sehr schwer zu vermitteln ist, dass diese lang anhaltende Dürre, diese angespannte Situation, dass die sich nicht heute oder morgen verbessern wird."
Resozialisierung wird nachrangig
Im Vergleich zu den anderen Bundesländern hat Baden-Württemberg am wenigsten Personal im mittleren Vollzugsdienst. Viele Mitarbeiter litten darunter, dass sie Häftlinge nicht mehr so betreuen könnten, wie es der Strafvollzug eigentlich vorsehe, sagt Schmid:
"Dinge wie Resozialisierung stehen heute immer mehr hinten an. Wir sind ja nicht nur zum Einsperren oder Wegsperren da."
Die Zahl der Gefangenen in baden-württembergischen Gefängnissen ist innerhalb von drei Jahren um 12,5 Prozent gestiegen. Das entspricht 820 zusätzlichen Gefangenen. Darunter ein hoher Ausländeranteil. Gewerkschafter Schmid legt Wert darauf, dass für den Anstieg mehrere Faktoren verantwortlich seien, unter anderem:
"Für mich ist es auch nicht die Flüchtlingswelle, sondern für mich sind es kriminelle Trittbrettfahrer, die auf diesen Zug, auf diesen traurigen Zug der Flüchtlingswelle aufgesprungen sind, und die, die belasten uns jetzt, die sind es, die uns das Problem machen."
Als Beispiel nennt Schmid Inhaftierte aus den Maghreb-Staaten. Die Zahl der Gefangenen aus Algerien, Tunesien und Marokko steige seit Jahren bundesweit enorm an. Die inhaftierten Männer bedrohten oft massiv das Personal und kündigten Suizide an, um Druck auszuüben, so Schmid. Allerdings gelte das auch für viele andere Ausländergruppen im Gefängnis.
Mehr Gewalt
Auch Baden-Württembergs CDU-Justizminister Guido Wolf bestätigte eine zunehmende Gewalt in den Gefängnissen. Ende November sagte Wolf:
"Wir beobachten in den vergangenen drei Jahren ein zunehmendes Aggressionspotential unter den Gefangenen, was sicherlich auch mit der angespannten Belegungssituation zu tun hat. Ablesen lässt sich das an dem weit überproportionalen Anstieg der Disziplinierungsmaßnahmen gegen Gefangene."
Im Laufe der vergangenen drei Jahren mussten zudem immer mehr Häftlinge in besonders gesicherten Hafträumen untergebracht werden, so Wolf:
"Die Belegung in diesen besonders gesicherten Hafträumen ist im genannten Zeitraum um 77 Prozent angestiegen. Das ist auch ein Indiz dafür, dass wir es zunehmend mit besonders schwierigen Häftlingen zu tun haben."
Gestiegener Ausländeranteil
Der Ausländeranteil sei dabei unter den Häftlingen innerhalb von drei Jahren von 39 auf 48,5 Prozent gestiegen. Dabei stammt die größte Gruppe unter den ausländischen Häftlingen aus der Türkei, gefolgt von Gambiern, an dritter Stelle stehen Rumänen und Algerier. Besonders bei der Untersuchungshaft liefen die Gefängnisse über:
"Dort haben wir einen Anteil von 70 Prozent Ausländer, weil dort eben die Fluchtgefahr sehr viel schneller begründet wird als in anderen Fällen."
Rund 1000 Haftplätze fehlten im Land, so Wolf. Das entspricht etwa zwei kompletten Haftanstalten. Ebenso seien zusätzlich 400 Personalstellen nötig.
Längst sind Neu- und Anbauten genehmigt, allerdings dauert es noch Jahre, bis die Plätze zur Verfügung stehen. Mancherorts werden Gefangene bereits in entsprechend ausgestatteten Modul-Containern untergebracht. Das sei für Gefangene und Mitarbeiter des Strafvollzugs eine zusätzliche Belastung, heißt es aus den Haftanstalten.
Sorge vor Radikalisierung
Die Enge in den Gefängnissen könne auch zu einer islamischen Radikalisierung vor allem junger Häftlinge führen, warnen Kriminologen. In mehreren Ländern Europas gelten die Gefängnisse als regelrechte Brutstätten für Dschihadismus. Der mutmaßlich islamistische Attentäter, der vor wenigen Wochen auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt mehrere Menschen erschoss, saß in zwei baden-württembergischen Gefängnissen, bevor er 2017 nach Frankreich abgeschoben wurde.
Matthias Weckerle schließt das zumindest für die von ihm geleitete JVA Rottenburg im Moment aus:
"Ich stelle das jetzt nicht fest, dass es bei dieser Klientel zu einer islamischen Radikalisierung kommt, das stelle ich überhaupt noch nicht fest."
Allerdings müssten sich schon bald die Bedingungen in den Haftanstalten ändern, um genau solche Gefahren abzuwenden, betont Weckerle.