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Haftbedingungen in Russland
Karger Lohn für Gefangene

In russischen Gefängnissen wird günstig produziert. Die Löhne der Häftlinge sind niedrig, oftmals bekommen sie überhaupt nur einen Teil ausgezahlt. "Arbeiten, ehe sie dich wieder einlochen", ist die Devise derjenigen, die rauskommen.

Von Gesine Dornblüth |
Häftlinge arbeiten in einer Schusterwerkstatt in einem Gefängnis in der Region Tscheljabinsk in Russland
Häftlinge in einer Schusterwerkstatt: Vom Lohn bleibt häufig nicht viel übrig (picture alliance / RIA Novosti/ Aleksandr Kondratuk)
Ruslan Wachapow von der Gefangenenhilfsorganisation "Rus Sidjaschaja" lenkt seinen alten Kombi stadtauswärts. Der Randbezirk von Jaroslawl ist gesichtslos: Mehrstöckige graue Wohnhäuser, hier und da ein Supermarkt. Auf der linken Straßenseite beginnt ein langer hoher Bretterzaun. Dahinter liegt die Besserungskolonie Nummer 8 des Gebiets Jaroslawl, im Volksmund auch "die Zone". Rund 1.500 Männer seien hier untergebracht, erläutert Wachapow. Keine Schwerverbrecher, aber solche, die zum wiederholten Male verurteilt wurden.
Ein erstes Tor steht offen. Dahinter Gewächshäuser. Hinter einem Gatter schnattern Gänse. Nahe der Einfahrt, unübersehbar für jeden Besucher, steht ein Gedenkstein, darauf Hammer und Sichel, Schild und Schwert – die Insignien des NKWD, des nach der Oktoberrevolution gegründeten Innenministeriums der Sowjetunion und seiner Geheimpolizei. Der NKWD ist für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich.
"Ein Denkmal dieser Art steht in jeder Kolonie", sagt Ruslan Wachapow. "Die Strafvollzugsbehörde ist immer noch stolz darauf, dass sie aus dem NKWD hervorgegangen ist."
"Die Wärter fühlen sich allmächtig"
Die Häftlingsunterkünfte liegen hinter hohen Mauern und Stacheldraht. Auf einem Dach sind Männer zu sehen. "Das sind Verurteilte, eine sogenannte Baubrigade. Wahrscheinlich decken sie das Dach."
In einem länglichen Gebäude diesseits der Mauern steht eine Tür offen. Der Besucherraum. Ein paar Leute stehen Schlange. Sie haben Tüten dabei. Zigaretten, Tee, Süßigkeiten, Wurst. Darüber freuten sich die Häftlinge am meisten, erzählen sie. Dazu Fertiggerichte: Kartoffelbrei zum Einrühren und Tütensuppen.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Strafvollzug in Russland - "In der Zone bist du ein Stück Vieh".
Die Männer und Frauen sind wortkarg. Ruslan Wachapow erklärt, warum: "Ihre Angehörigen sitzen hier ein. Wenn sie reden, kann das sehr gefährlich sein. Für die Leute drinnen. Von Schlägen bis hin zur Strafzelle. Die Wärter fühlen sich allmächtig. Die fackeln nicht lange, die machen einfach. In der Zone bist du ein Stück Vieh."
Die Strafvollzugsbehörde wirbt mit einem Plakat am Gefängnis in Jaroslawl um Auszubildende
Die Strafvollzugsbehörde wirbt mit einem Plakat am Gefängnis in Jaroslawl um Auszubildende (Deutschlandradio/ Gesine Dornblüth)
Korruption ist ein Problem im russischen Strafvollzug
Ein Auto fährt vorbei, biegt ab, hält vor einer großen Halle. "Das ist das Gemüselager der Kolonie." Ein Mann steigt aus, verschwindet in der Halle, kommt mit Kartons wieder heraus und lädt sie auf die Rückbank.
"Warum lädt der dort Sachen ein? In ein Zivilfahrzeug? Aus dem Lager der Kolonie? Oder ist das etwa ein Wagen der Strafvollzugsbehörde? Ist es nicht. Deren Autos haben grüne Streifen. Das ist Diebstahl."
Es wäre nichts Ungewöhnliches. Dass Korruption im russischen Strafvollzug ein Problem ist, räumen selbst Mitarbeiter der Behörde ein. Hin und wieder kommen sogar Fälle vor Gericht.
"Draußen in der Welt geraten sie in Versuchung und Unglück"
Während Wachapow sich noch ereifert, steigt ein Mann in grauem Gewand aus einem Auto. Sergej Mironow ist orthodoxer Geistlicher in der Kolonie. 20 bis 30 Gefangene kämen zu seinen Gottesdiensten, sagt er. "Wenn sie entlassen werden, rufen sie mich an und sagen, ihre beste Zeit sei hier in der Kirche gewesen. Draußen in der Welt geraten sie in Versuchung und Unglück."
Die Gefangenen kämen mit allen Problemen zu ihm, erzählt der Priester. Seiner Ansicht nach müsse sich vor allem eines ändern: "Dass die Häftlinge arbeiten können und dafür einen angemessenen Lohn bekommen." Ruslan Wachapow nickt. Oft zahle die Verwaltung den Häftlingen ihren Lohn einfach nur zum Teil aus.
Nach der Entlassung möglichst nicht betrinken
In diesem Moment gehen zwei Männer an den Gewächshäusern und den Gänsen vorbei Richtung Straße. Beide tragen in der einen Hand eine Tasche, in der anderen eine Zigarette. Ihre Kleidung ist schmutzig, die Hosenbeine schlackern. Der eine hat Schrammen im Gesicht, der andere ein offenbar gebrochenes und schief zusammengewachsenes Nasenbein.
"Wir sind gerade entlassen. Sechs Monate waren es. Meine vierte Haftstrafe. Die Kolonie ist erträglich. Die Haftbedingungen sind okay. Die Beamten schlagen nicht völlig über die Stränge, und das ist die Hauptsache."
Der andere hat diesmal fünf Monate gesessen. Während der Haft hätten sie beide in den Werkstätten gearbeitet, erzählen sie. Viel von ihrem Lohn sei ihnen nicht geblieben. Der eine holt ein paar Scheine aus der Hosentasche: 850 Rubel, umgerechnet rund zwölf Euro.
"Natürlich sind die verpflichtet, mehr zu zahlen, aber das heißt nicht, dass sie es auch tun. Das System ist so. Für die Heimfahrt wird es reichen." Beide haben eine mehrstündige Busfahrt vor sich. Und dann? "Erst mal nach Hause fahren. Sich möglichst nicht betrinken. Und dann arbeiten, ehe sie dich wieder einlochen."