Seit gestern kursiert ein Dokument im Internet, das den Haftbefehl im Fall des Tötungsdeliktes zeigen soll. Veröffentlicht haben es mehrere extrem rechte Organisationen, darunter auch das Bündnis Pro Chemnitz, das am Montag zur Demonstration aufgerufen hatte.
Das Sächsische Justizministerium hat Aufklärung angekündigt, die Staatsanwaltschaft Dresden ein Strafverfahren eingeleitet. Ministerpräsident Michael Kretschmer sagte zur Veröffentlichung des Dokumentes im MDR: "Das gehört sich nicht, das ist eine Straftat. Und jetzt werden wir die Sache aufklären. Ob man das aufklären kann, ist eine Frage. Aber natürlich wird dem nachgegangen. Das ist überhaupt keine Frage."
Dulig (SPD): Rechte Tendenzen in der sächsischen Polizei bekämpfen
Kretschmers Stellvertreter, der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig von der SPD, sieht einen erneuten Rückschlag bei den Bemühungen, den Rechtsstaat durchzusetzen und rechte Tendenzen in der sächsischen Polizei zu bekämpfen.
Dulig sagte ebenfalls im MDR: "Wenn ich jetzt höre, dass der Haftbefehl aus der Polizei heraus geleakt wurde, also verbreitet wurde in rechtsextremen Kreisen. Dann sage ich, haben wir hier ein dickeres Problem aufzuarbeiten. Und wir müssen unsere Polizei unterstützen, dass so etwas nicht mehr passiert. Denn das ist ein skandalöser Vorgang."
Linke: Neue Eskalationsstufe erreicht
Der rechtspolitische Sprecher der Linken im Sächsischen Landtag Klaus Bartl spricht von einer neuen Eskalationsstufe im Schüren pogromartiger Stimmung gegenüber Migrantinnen und Migranten unter skrupelloser Ausnutzung des tragischen Todes eines jungen Mannes.
Weil in dem Dokument auch die Anschrift genannt wird, riskiere derjenige, der dieses Dokument veröffentliche, Angriffe auf die Gesundheit und das Leben völlig unbeteiligter Dritter. Dies sei die latente Fortsetzung der Vorverurteilung und Selbstjustiz, die in Chemnitz in den vergangenen Tagen eskaliert sind.
Dokument war auch auf einer AfD-Seite zu sehen
Auch auf der Seite eines AfD-Kreisverbandes war das Dokument zwischenzeitlich zu sehen. Der Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag Jörg Urban hatte Aufrufe seiner Partei zu Demonstrationen als Reaktion auf den gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen verteidigt.
Urban sagte im Deutschlandfunk: "Ich glaube nicht, dass das Problem Rechsextremismus in Sachsen unterschätzt wird, es ist da. Das bestreitet auch niemand, dass das Problem da ist. Wir wollen nicht, dass die Diskussion über Rechtsextremismus überschattet, dass wir ein starkes Anwachsen von Migrantenkriminalität haben. In Chemnitz ist gerade ein Familienvater aus nichtigem Anlass erstochen worden. Und darüber möchten wir reden. Wir möchten nicht über das alte Problem Rechtsextremismus reden."
Für morgen haben rechte Gruppierungen wieder in Chemnitz zu einer Demonstration aufgerufen, dann wird Ministerpräsident Kretschmar zu einem Bürgerdialog in der Stadt sein.
Kretschmer kündigt Vorgehen gegen rechts an
In der Chemnitzer Innenstadt war es am Abend und in der Nacht ruhig geblieben. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer hatte in mehreren Fernsehinterviews unter anderem im ZDF angekündigt, den Rechtsstaat durchzusetzen und den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Dabei setzt er auch auf die Zivilgesellschaft.
"Auch in Chemnitz gibt es eine große bürgerliche Mehrheit, die diese Exzesse ablehnt. Und der müssen wir zur Geltung verhelfen. Und der Staat muss jetzt in den nächsten Tagen und Wochen in Chemnitz zeigen, dass er das Gewaltmonopol hat. Wir werden verhindern, dass Chemnitz Aufmarschgebiet wird von Extremisten aus ganz Deutschland."
Polizeit hat Zahl der Demonstranten unterschätzt
Im Fokus steht weiterhin die Arbeit sächsischer Sicherheitsbehörden. Die Polizei hatte die Anzahl der Demonstranten am Montag in Chemnitz unterschätzt. Das Sächsische Landesamt für Verfassungsschutz hatte vor einem Aufmarsch gewaltbereiter Neonazis gewarnt. Das berichtet die Bild-Zeitung. Es sei demnach von einer Zahl im unteren bis mittleren vierstelligen Bereich ausgegangen worden. Warum das in die Lageeinschätzung der Polizei nicht ausreichend eingeflossen sei, entziehe sich seiner Kenntnis, sagte ein Sprecher des Verfassungsschutzes.