Nur knapp ragt der Felsen aus dem Bach, er ist glitschig und feucht. Dennoch findet jemand Halt drauf - sogar ziemlich festen Halt.
Es ist ein Bachfrosch. Ein Tier, das Michael Kappl, Biophysiker am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz, fasziniert.
"Wir sind gewohnt, dass nasse Oberflächen rutschig sind. Das kennen wir vom Bad, wenn wir auf den Fliesen ausrutschen können. Die besondere Eigenschaft dieser Frösche ist, dass sie in der Lage sind, sich auf nassen, glitschigen Oberflächen sehr gut festzuhalten."
Nur: Wie machen die Tiere das? Um das herauszufinden, nahm ein Team aus schottischen, deutschen und chinesischen Forschern die Füße der Frösche genau unter die Lupe – und entdeckte gleich mehrere Haft-Mechanismen.
"Zum einen haben diese Frösche eine spezielle Struktur ihrer Zehen-Oberflächen, die mit Kanälen durchfurcht sind. Das kann dazu führen, dass die Flüssigkeit relativ schnell verdrängt werden kann, ähnlich wie Sie es vom Profil von Autoreifen kennen."
Drei Haftmechanismen beim Bachfrosch
Unterm Mikroskop erkennt man eine Art Flickenteppich aus Sechsecken, jeweils ein hundertstel Millimeter groß. Getrennt sind sie durch mikrometerfeine Furchen. Diese Furchen scheinen das Wasser nicht nur zu verdrängen wie die Rillen im Reifenprofil. Zusätzlich scheinen sie auch Kapillarkräfte zu entfalten – jene Kräfte, die auch Zuckerkristalle am feuchten Finger kleben lassen. Und die Forscher entdeckten noch einen dritten Mechanismus: Einerseits ist der Froschfuß überaus weich, fast wie ein Gel. Dadurch kann er sich nahezu ideal an die jeweilige Oberfläche anschmiegen. Andererseits sind die Sechsecke in der Fußsohle durch dünne Fasern verstärkt, sagt Michael Kappl. Die Folge:
"Ein spezielles Zusammenspiel aus einer weichen Komponente, die sich einer Oberfläche anpasst und der Mikrostruktur, die relativ hart ist. Und die dazu führt, dass wenn sich weiche Struktur anpasst, in der harten Struktur elastische Energie gespeichert wird, die wieder freigesetzt wird, wenn man das Ganze abzieht."
Das Prinzip der haftfähigen Froschsohle wäre also verstanden, zumindest im Groben. Doch lässt sie sich auch nachbauen, mit künstlichen Materialien? In China, an der Universität Wuhan, machte sich das Team von Longjian Xue an die Arbeit.
"Wir verwenden Silikon. Als erstes stellen wir eine Schablone her. Sie besitzt lauter sechseckige Mulden, je 20 Mikrometer groß, gefüllt mit Nanostäbchen aus Styropor. Diese Schablone füllen wir mit Silikon, dann kommt sie in den Ofen. Dort wird die Schablone weggeschmolzen, übrig bleibt das Silikon mit der sechseckigen Mikrostruktur, verstärkt durch die Styroporstäbchen. Im Grund eine ziemlich einfache Angelegenheit."
Die Schablone prägt dem Silikon eine Mikrostruktur auf, die dem Froschfuß verblüffend ähnelt: weiche Sechsecke, voneinander getrennt durch feine Kanäle, verstärkt durch winzige Fasern. Dann testeten die Forscher ihr Material - und tatsächlich haftet es fest auf nassem Untergrund, lässt sich aber relativ leicht durch sachtes Schieben von der Oberfläche lösen. Und könnte diese künstliche Froschsohle eines Tages auch zu etwas gut sein?
"Ja, definitiv! Zum Beispiel in der Zahntechnik, für herausnehmbare Prothesen. Dank unserer Technik könnten die dritten Zähne fest haften und zugleich zum Reinigen leicht herausgenommen werden."
Eine weitere Idee: Chirurgen könnten das Material bei einer Operation nutzen, um die Wunde offenzuhalten, sagt Michael Kappl.
"Das wird momentan mit Haken oder relativ harten Instrumenten gemacht. Die schädigen leicht das Gewebe. Eine Idee wäre, Greifvorrichtungen zu haben, die am Gewebe anhaften, aber sich leicht wieder vom Gewebe lösen können und damit eine möglichst gewebeschonende Art des Greifens ermöglichen. Es kann auch für Unterwasser-Anwendungen interessant sein. Oder auch in Richtung Reifenindustrie: Die versuchen natürlich, ihre Strukturen zu optimieren, um bei Nässe eine gute Haftung zu haben."
Ideen also gibt es einige für den künstlichen Froschfuß. Doch einsatzreif ist er noch nicht, sagen die Forscher. Denn bislang funktioniert er nur unter Laborbedingungen, auf sauberen und glatten Oberflächen. Um ihn für die raue und schmutzige Alltagswelt fit zu machen, werden die Experten noch einiges an Tüftelarbeit investieren müssen.