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Hagia Sophia öffnet als Moschee
"Hier instrumentalisiert Erdogan Religion politisch"

Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee, sei ein Akt der "Aggression Erdogans", sagte Sevim Dagdelen. Ein Überfall der Türkei auf Griechenland sei nun möglich. Die Bundesregierung und die EU dürften Erdogan nicht weiter unterstützten, forderte die Linken-Außenpolitikerin im Dlf.

Sevim Dagdelen im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Eine Frau ist in eine türkische Flagge gewickelt und hebt die Hände gen Himmel. Vor ihr die Hagia Sophia.
In der Hagia Sophia in Istanbul findet am Freitag wieder ein muslimisches Freitagsgebet statt. (AP Photo/Emrah Gurel)
Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geht ein "Traum aus Jugendjahren" in Erfüllung, wie er selbst sagt: Das Istanbuler Wahrzeichen Hagia Sophia – einst Kirche, dann unter den Osmanen eine Moschee und von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk 1934 säkularisiert und zum Museum gemacht – wird ab diesem Freitag wieder als Moschee genutzt.
Das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei hatte am 10. Juli der Hagia Sophia den Status als Museum aberkannt. Erdogan ordnete daraufhin an, das Gebäude für das islamische Gebet als Moschee zu öffnen.
"Es geht hier um eine Machtdemonstration"
Die Entscheidung ist hoch umstritten. Während Erdogan von einer "Auferstehung" spricht und einem "Fehler", der behoben werde, kritisieren Kirchenvertreter sowie Russland und Griechenland die Entscheidung scharf. In den Ländern spielt die Orthodoxe Kirche eine wichtige Rolle.
"Die Hagia Sophia war über 80 Jahre ein Museum. Sie gehört weder Christen noch Muslimen. Sie ist Weltkulturerbe und sollte daher für jeden zugänglich sein", sagte Sevim Dagdelen, Obfrau der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages im Dlf. Mit der Entscheidung wollen man zwischen Religion und Politik spalten, sagte sie: "Es geht hier um eine Machtdemonstration, eine Machtpolitik und eine islamistische Agenda".
Trotz heftiger Kritik - In Istanbuls Hagia Sophia erstmals wieder Freitagsgebet (04:32)
Nach der umstrittenen Aussage des türkischen Präsidenten Erdogan ein Museum wieder als Gebetsort zu öffnen, ist es nun soweit: Die Hagia Sophia wird wieder als Moschee genutzt. Kritiker sind weiter scharf dagegen.
Gläubige vor der Hagia Sophia in Istanbul am 10. Juli 2020 nach der Entscheidung des des Obersten Verwaltungsgerichts, aus dem Museum wieder eine Moschee zu machen. 
Martialischer Triumph
Die Hagia Sophia in Istanbul diente in ihrer Geschichte schon als Kirche und als Moschee. Nun darf in den Räumen wieder gebetet werden. Staatspräsident Erdogan hat "die Säkularisierung auf den Müllhaufen der Geschichte befördert", kommentiert Ingo Arend.
Dagdelen: Erdogan plant, die Grenzen der Türkei zu verändern
Dagdelen sagte, dass bereits die ersten Stimmen laut werden, dass die byzantinischen Fresken in der Kirche abgenommen oder zerstört werden sollen. "Das ist ein Akt kultureller Barbarei."

Pikant ist weiterhin, dass genau am Freitag der der Jahrestag des Lausanner Vertrages ist, der am 24. Juli 1923 unterschrieben wurde und der den Grenzverlauf zwischen Griechenland und der Türkei festgelegt. Dagdelen sagte, dass dies kein Zufall sei; Erdogan plane die Grenzen der Türkei zu verändern.
"Der Akt, die Hagia Sophia in eine Moschee umzuwandeln, ist ein Akt der Aggression Erdogan. Es ist eine klare Kampfansage an seine innenpolitischen Gegner und die Andersdenkenden in der Türkei, aber auch eine Kriegserklärung an die Nachbarstaaten der Türkei", so Dagdelen.
"Ohne Berlin und Brüssel wäre Erdogan längst am Ende"
"Erdogan geht es auch darum aus der Krönungkirche der byzantinischen Kaiser eine Schmuckkassette seiner Machtentfaltung zu machen. Dieser Tag sei ein Manifest eines radikalisierten Islamismus", sagte sie. Religion werde hier für die politische Macht von Erdogan instrumentalisiert, dies werde in der westlichen Welt aber nicht ernst genommen und heruntergespielt.
Kritik an"Leisetreterei" der Bundesregierung im Konflikt um Hagia Sophia (03:30)
Mit vorsichtig gewählten Worten reagiert die Bundesregierung auf die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee. Außenminister Heiko Maas sagte am Dienstag in Athen, die türkische Entscheidung sei "kein Beitrag zur Völkerverständigung". Das Auswärtige Amt sieht in der Umwidmung der früheren Kirche vom Museum zur Moschee allenfalls einen kulturpolitischen Akt, wie ein Sprecher sagte.
Die Bundesregierung und auch die EU dürften Erdogan aber nicht weiter unterstützten, forderte Dagdelen. "Ohne Berlin und Brüssel wäre Erdogan längst am Ende". Dabei gehe es um die Finanz- und Wirtschaftshilfe und um die Militärlieferungen. Sie forderte auch ein Ende des Flüchtlingsabkommens und der EU-Beitrittsverhandlungen. Ein Angriff Erdogans auf Griechenland erscheine möglich, damit müsse man rechnen.

Lesen Sie hier das vollständige Interview.

Christoph Heinemann: Frau Dagdelen, was spricht dagegen, ein als Gotteshaus errichtetes Gebäude in ein Gotteshaus umzuwandeln?
Sevim Dagdelen: Die Hagia Sophia war jetzt über 80 Jahre lang ein Museum. Sie gehört weder Christen, noch Muslimen, sondern ist ein Weltkulturerbe und sollte daher für Jedermann jederzeit auch zugänglich sein. Und es ist ja auch deshalb eine Schande, mit dieser Entscheidung politisch und religiös spalten zu wollen.
Hätte man zum Beispiel ein gemeinsames Gotteshaus gemacht, wäre dies sicher diskussionswürdig gewesen, aber es ging hier – und das zeigen ja auch Ihre O-Töne -, es geht hier um eine Machtdemonstration und um Machtpolitik und eine islamistische Agenda.
"Ein Akt der Aggression Erdogans"
Heinemann: Wozu benötigt Erdogan die Hagia Sophia?
Dagdelen: In zweierlei Hinsicht ist das wichtig. Dieser heutige Tag ist auch insofern mit dem Datum 24. Juli eine Zäsur für die Türkei. Zum einen wird hier jetzt endgültig Abschied genommen von der säkularen Türkei Atatürks. Die Entscheidung, die Hagia Sophia in ein Museum umzuwandeln, war ja auch zentral für die Konsolidierung der Türkei als eine säkulare Republik, in der mit Kalifat und Sultanat und der Verschränkung weltlicher und auch klerikaler Macht gebrochen werden sollte. Aber zum anderen wird der Vertrag von Lausanne, der die Grenzen der modernen Türkei auf den heutigen Tag genau vor 97 Jahren festgelegt hat, quasi aufgekündigt.
Dazu passt, dass der Chefberater des Präsidenten Erdogan, Herr Bulut, auf Twitter höchst persönlich diese Verbindung auch hergestellt hat, und alle Versuche, diesen Schritt Erdogans als, na ja, so etwas wie Symbolpolitik, als symbolische Politik oder als ein Zeichen der Schwäche zu verharmlosen, gehen aus meiner Sicht fehl. Der Akt, die Hagia Sophia in eine Moschee umzuwandeln, ist ein Akt der Aggression Erdogans. Es ist auch eine klare Kampfansage – zum einen an seine innenpolitischen Gegner und die Andersdenkenden in der Türkei, aber – und das ist das Wichtigste für uns als Bundesregierung und auch EU – eine regelrechte Kriegserklärung an die Nachbarstaaten der Türkei und alle Staaten, die historisch jemals Teil des osmanischen Reiches gewesen sind.
Die Hagia Sophia in Istanbul, Wahrzeichen der Stadt, ist heute ein Museum.
Islamwissenschaftler: Umwandlung der Hagia Sophia typisch für politischen Islam
Der österreichische Soziologe und Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide sprach im Dlf im Zuge der Umwandlung der Hagia Sophia von einem Museum in eine Moschee von einer "zugespitzten Form der Instrumentalisierung des Islam".
Heinemann: Bleiben wir zunächst mal in der Türkei. Sie sagten, das ist jetzt der endgültige Bruch mit Atatürk. Wenn man Steine islamisiert, folgen doch nicht unbedingt die Köpfe.
Dagdelen: Erstens sind es nicht nur Steine, die da islamisiert werden sollen. Jetzt werden ja erstens schon Stimmen laut, auch wenn man gesagt hat, temporär sollen die byzantinischen Fresken und Mosaiken beispielsweise in der Hagia Sophia verhüllt werden …
"Der Lausanner Vertrag soll sturmreif geschossen werden"
Heinemann: Während des Gebets!
Dagdelen: Ja, temporär. Aber die ersten Rufe werden jetzt laut, die tatsächlich abzunehmen, wirklich zu zerstören. Das ist ja ein Akt der kulturellen Barbarei, wie wir sie auch von den Taliban und des IS kennen beispielsweise.
Und zweitens wie ich sagte: Es ist nicht nur die Hagia Sophia als Umwandlung. Mit dem heutigen Tag ist auch verbunden die Aufkündigung des Lausanner Vertrages, und da muss man Erdogan auch ernst nehmen. Der Lausanner Vertrag soll hier sturmreif geschossen werden. Die Grenzen der Türkei sollen verändert werden. Wir wissen schon seit Jahren, dass auf den Landkarten der Türkei, teilweise auch, wo Erdogan selber zu sehen ist, die Türkei entgrenzt ist, dass Teile von Syrien, Irak, Teile zum Beispiel von den Dodekanes-Inseln Griechenlands oder Kreta mit zur Türkei gezählt werden.
Atatürk, der Republikgründer, der diesen Vertrag mit zu verantworten hat – so das Kalkül Erdogans -, soll hier als Schwächling erscheinen und im Lichte des Reichsgründers Erdogan verblassen, und insofern ist das nicht nur eine Umwidmung eines Museums in eine Moschee, sondern es geht um viel, viel mehr.
Heinemann: Wobei zwei dazugehören. Wieso kann es sich Erdogan erlauben, die türkische Identität mit dem sunnitischen Islam gleichzusetzen?
Dagdelen: Das ist eine Methode vor allen Dingen auch der Muslimbruderschaft, zu denen ja Erdogan sich zugehörig fühlt. Die versuchen, eigentlich die Religion meistens nur für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Es geht hier nicht nur in erster Linie um die Religion, wie ich sagte; es geht um den Lausanner Vertrag. Es geht auch darum, aus dieser einstigen Krönungskirche der byzantinischen Kaiser eine Schmuck-Cassette quasi seiner Machtentfaltung zu machen.
Es stimmt, dass dieser heutige Tag auch ein Manifest eines, muss man schon sagen, radikalisierten Islamismus ist, dem sich Erdogan und seine Regierung, bestehend aus Muslimbruder-nahen AKP-Politikern und auch der faschistischen MHP, auch verpflichtet fühlt. Wenn jetzt bei diesem Gebet in diesem Weltkulturerbe diese Fresken und Mosaiken verhüllt werden sollen und dafür diese Vorrichtungen in die Wände des heutigen Museums geschlagen werden sollen, dann ist natürlich auch klar, dass das eine Machtdemonstration für die Religion sein soll. Insofern: Es geht um beides. Ich sage immer kurzum: Es geht bei ihm um Kalifat und Sultanat. Beides, sowohl Machtpolitik als auch Religion.
"Die Religion instrumentalisiert für die politische Macht von Erdogan"
Heinemann: Inwiefern trifft Erdogans Religionspolitik – bleiben wir beim Thema – im Westen auch deshalb auf so viel Kritik, weil der Westen im Begriff ist, sein religiöses Erbe aufzugeben?
Dagdelen: Ich glaube, dass es eigentlich weniger um die Religionskritik geht, sondern hier wird von Erdogan – und das wissen Beobachter und Experten schon seit Jahren – die Religion instrumentalisiert für die politische Macht von Erdogan. Das wird meiner Meinung nach in der westlichen Hemisphäre nicht ernst genommen, nicht zur Kenntnis genommen, seit Jahren runtergespielt.
Wir wissen beispielsweise, dass die Türkei - schon seit Jahren sagen das die Sicherheitskreise, die Bundesregierung hat das 2016 gesagt – unter Erdogan zu einer zentralen Aktionsplattform für den islamistischen Terrorismus in der ganzen Region geworden ist. Wir wissen, dass er diese Politik in Syrien führt. Wir wissen, dass er das in Libyen führt. Wir wissen, dass er sogar auf dem Balkan, bis nach Somalia hin und jetzt auch noch im Jemen diese Politik führt mittels der Religion.
Maria mit Jesus Christus und Johannes dem Täufer Mosaik im Museum Hagia-Sophia-Moschee im istanbuler Stadtbezirk Eminönü
Erdogan und die Hagia Sophia - Schritt zur Islamisierung des öffentlichen Lebens
Der Preis für Erdogans Machtspiel ist hoch, kommentiert Christiane Habermalz. Die Gräben werden tiefer, alte Feindseligkeiten könnten wieder aufbrechen.
Heinemann: Wie sollte man darauf reagieren?
Dagdelen: Wie man hier reagieren soll? Was man bisher getan hat, war jedenfalls, das runterzureden, nicht ernst zu nehmen. Und wer jetzt nicht aufwacht, der wacht nimmermehr auf, weil es geht um deutlich mehr als nur die Innenpolitik in der Türkei. Die Bundesregierung muss diese Kampfansage Erdogans ernst nehmen und dazu muss es jetzt eine klare Haltung geben.
"Ohne Berlin und Brüssel wäre Erdogan längst am Ende"
Heinemann: Was heißt das genau? Welche Reaktion, Frau Dagdelen?
Dagdelen: Die Reaktionen müssen sein, dass man Erdogan nicht weiter unterstützt, weil ohne Berlin und Brüssel wäre Erdogan längst am Ende. Es geht um die Finanz- und Wirtschaftshilfen, es geht um die Militärlieferungen, es geht darum, dass man die Türkei quasi bei der Unabhängigkeit in der Rüstungsindustrie und Produktion mit deutschen Mitteln seit Jahren unterstützt. Und jetzt wundert man sich, dass die Türkei schon so weit ist, mit eigenen Rüstungsgütern in Libyen als Game Changer aufzutreten.
"Dieses Flüchtlingsabkommen hat uns mehr Schaden angerichtet"
Heinemann: Sollte man das auch um den Preis einer Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens tun?
Dagdelen: Dieses Flüchtlingsabkommen hat uns mehr Schaden angerichtet als jemals zuvor. Den Flüchtlingen hat es nicht geholfen und uns hat es erpressbar gemacht. Insofern muss man das aufkündigen. Man muss die Beitrittsverhandlungen aussetzen, weil sie überhaupt nicht fortgesetzt werden können unter Erdogan. Man muss die Zollunion auf den Prüfstand stellen, statt jetzt die Verhandlungen weiterzuführen, um das auszubauen, weil das versteht Erdogan nur als Ermutigung weiterzumachen.
Turkish President Recep Tayyip Erdogan reacts during a meeting of his ruling Justice and Development Party in Ankara, Turkey, on March 2, 2020.
Erdogan und die Medien - Kritik am Präsidenten nur noch im Netz
Journalisten in der Türkei leben gefährlich. Wer sich der Zensur widersetzt, muss mit Gefängnis rechnen. Während die traditionellen Medien zunehmend unter Druck geraten, verlagert sich die Kritik an Erdogan in die sozialen Medien.
Sehen Sie, wir sind jetzt im Moment an einem Zeitpunkt angelangt, wo tatsächlich ein Überfall Erdogans auf Griechenland möglich erscheint, und damit muss man auch tatsächlich rechnen, und das wahrscheinlich auch noch mit deutschen Rüstungsgütern, die man für den maritimen Bereich in den letzten Jahren an die Türkei geliefert hat. Und wenn man das jetzt nicht ernst nimmt und Konsequenzen daraus zieht und sagt, keine Waffe und kein Geld mehr für Erdogan, und man muss jetzt klare Kante zeigen, dann weiß ich nicht, was noch passieren soll.
Wollen wir es riskieren, dass EU-Mitglieder wie Zypern oder Griechenland militärisch überzogen werden von der Türkei? Ich glaube nicht, dass das sinnvoll ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.