Die Streif 2016: Die Sicht auf der Abfahrtspiste in Kitzbühel ist schlecht. Der Österreicher Georg Streitberger ist nach dem Sprung über die Hausbergkante bereits ungebremst in die Fangzäune gerast und hat sich dabei im Knie Kreuz-, Innen- und Seitenband gerissen. Nun auf der Piste: Hannes Reichelt, ebenfalls aus Österreich, angefeuert von den Kommentatoren des ORF: "Jetzt Anfahrt Hausbergkante, gut erwischt. Und.. [Schrei] der Nächste! Nein! Nein! Nein! Selbe Stelle. Schreiber, Streitberger und jetzt der Hannes. Mein Gott, nee!"
Kurz darauf:
"Jetzt könnte es sein, dass wir den Sieger sehen. Er hat in Kitzbühel noch nicht gewonnen, er will diesen Sieg wie keinen anderen in diesem Jahr: hier ist Aksel Lund Svindal. Achtung Anfahrt auf die Hausbergkante. Hier ist… [Schrei] Ich wird' narrisch! Schau Dir das an, ja gibt's des? Ja bist Du denn blöd, den hat’s eineinhalb Mal um die eigene Achse gedreht, die kommen ja gar nicht nach mit dem Leute versorgen." Das Rennen wird nach 30 Fahrern abgebrochen, gerade genug, um die Abfahrt werten zu können.
Schmaler Grat
"Ich war natürlich auch betroffen und geschockt, das muss ich ganz ehrlich sagen", erzählt der Sportreporter und ehemalige Skirennläufer Tobias Barnerssoi. Die Stelle sei sehr schwierig. "Es ist eine Gradwanderung zwischen dem, was eben noch machbar ist und dem Spektakel. Es ist abhängig von den äußeren Verhältnissen und das Fatale am Wintersport ist, dass die sich auch in Minuten ändern können. Und da ist eine erfahrene Jury gefragt, die nach jedem Läufer entscheiden muss: Ist das noch okay? Ist das noch fahrbar? Oder ist es nicht fahrbar?"
Abfahrt am Limit. Und darüber hinaus, sagt Barnerssoi. "Gerade in Kitzbühel versucht man es schon ein bisschen sehr auf die Spitze zu treiben, das fällt schon auf. Sie haben exponierte Stellen. Da kann man so präparieren, dass es unheimlich eisig ist oder auch in der Traverse ein bisschen unruhig. Dadurch wird’s schwieriger für die Athleten, dadurch wird's aber auch spektakulärer."
Leben der Rennläufer als Variable?
Der österreichische Journalist Johann Skocek meint, es sei seit Jahren die Politik des internationalen Ski-Verbands, Strecken glatter und enger zu machen, um die Geschwindigkeit zu erhöhen: "Das ist ein Geschäft. Das ist ein riesen Showbusiness. Je größer die Einschaltquoten sind, desto größer sind die Sponsoreneinnahmen. Das heißt, es gibt natürlich einen Systemdruck, die Geschichte möglichst spannend und spektakulär zu gestalten und die Gesundheit und das Leben der Rennläufer ist einfach eine Variable, an der geschraubt wird."
Dem hält der ehemalige österreichische Olympiasieger Stephan Eberharter entgegen: "Diese Strecke ist Tradition, des is Geschichte! Hier zu gewinnen bedeutet für den Rennläufer alles! Aber es geht hier nicht, dass die Rennläufer irgendwas extrem Schwieriges wollen oder dass der Veranstalter das will oder dass die Zuschauer das wollen. Denn die Streif ist spektakulär sowieso!"
"A Hell of a ride"
Das nutzen Sponsoren wie Red Bull. Sie stilisieren die Rennfahrer zu unerschrockenen Helden, die dem Tod trotzen. Damit generiert die Firma Aufmerksamkeit für ihre Limonade. Beispielsweise in ihrer Doku "A Hell of a ride." Da begleitet Red Bull fünf Rennfahrer bei ihrer Vorbereitung auf die Streif 2014.
Journalist Skocek: "Red Bull greift nicht direkt in die Organisation und Zubereitung der Piste ein, aber sie erhöhen den Reiz an diesem Nervenkitzel und die Organisatoren. Sportler wissen, dass sie immer mehr und immer Spektakuläreres liefern müssen, dass sie das Risiko immer steigern müssen, um unterscheidbar zu bleiben. Und gerade Kitzbühel beansprucht für sich ja das spektakulärste, gefährlichste, außergewöhnlichste Skirennen der Welt zu sein."
Im Film von 2014 werden die fünf unerschrockenen Rennfahrer zu siegreichen Bezwingern. Zwei der Fahrer in der Doku: Hannes Reichelt und Aksel Lund Svindal, die vergangenes Jahr schwer gestürzt sind. Svindal riss sich im rechten Knie ein Kreuzband und Meniskus. Er fiel für den Rest der vergangenen Saison aus und auch im Winter 2017 wird er nicht mehr dabei sein. Am 17.1. postete er bei Facebook ein Foto von sich in einem Krankenhausbett und schrieb, sein Meniskus sei nicht mehr mit dem Knochen verbunden. Einige Experten spekulieren sogar über sein Karriereende.