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Haiti -Erdbeben
Fünf Jahre nach der Katastrophe

Am 12. Januar 2010 zerstörte ein Jahrhundert-Beben die haitianische Hauptstadt Port-au-Prince. 230.000 Menschen kamen unter den Trümmern ums Leben. Nachdem große internationale Geldsummen seit dem Erdbeben in das Land geflossen sind, macht sich nun Korruption breit. Die UN-Mission warnt vor Unruhen.

Von Martin Polansky, ARD Mexiko |
    Aufräumarbeiten in Port au Prince nach dem Erdbeben auf Haiti im Januar 2010.
    Aufräumarbeiten in Port au Prince nach dem Erdbeben auf Haiti im Januar 2010. (picture alliance / dpa / Foto: Rafael Fabres)
    Die Markthalle im Zentrum von Port-au-Prince. Das aus Eisen errichtete Wahrzeichen der Stadt war beim Erdbeben 2010 eingestürzt, wurde danach aber sehr schnell wieder aufgebaut. Eine Art Vorzeigeprojekt, das Zuversicht geben sollte. Zur Eröffnung war Bill Clinton da. Jetzt werden hier Gewürze, Gemüse oder Toilettenartikel verkauft – schön anzusehen. Aber die Marktfrauen klagen über das schlechte Geschäft:
    "Vor dem Erdbeben war es besser. Jetzt ist es sehr schwierig. Ich werde meine Waren kaum los. Die Leute haben kein Geld, um in die Markthalle zu kommen."
    Port-au-Prince fünf Jahre nach dem verheerenden Erdbeben. Der meiste Schutt ist weggeräumt, es gibt durchaus Zeichen des Wiederaufbaus. Viele Straßen haben frischen Asphalt, es gibt einfache neue Wohnsiedlungen, auch neue Büros und Vier-Sterne-Hotels. Hier und da schiebt sich ein Jeep der Vereinten Nationen durch die verstopften Straßen. Die UN-Mission Minustah ist immer noch mit rund 5.000 Uniformierten vor Ort. Peter de Clercq ist der Vize-Chef der Mission. Er sieht Fortschritte:
    "Ein wichtiges Beispiel ist die Zahl der Obdachlosen. Nach dem Erdbeben lebten rund 1,5 Millionen Menschen in Camps. Jetzt sind es noch rund 70.000. Wir sehen auch klare Fortschritte bei der Gesundheitsversorgung und den Schulangeboten. Allerdings wird die große Mehrheit dieser Einrichtungen nach wie vor von internationalen Organisationen betrieben."
    Markt in Port-au-Prince, Haiti 
    Markt in Port-au-Prince (Stephanie Rohde - Deutschlandradio )
    Vor fünf Jahren betonten manche, dass die Katastrophe die Chance für einen kompletten Neustart des Landes bieten könnte. Haiti – dem ärmsten Staat der westlichen Hemisphäre sollte mit internationaler Hilfe der Weg in die Zukunft gebaut werden. Fünf Jahre danach betrachten das viele als Illusion. Denn die grundlegenden Probleme sind die alten: Extreme Armut, die große Mehrheit der Haitianer hat keine richtige Arbeit, die Landwirtschaft leidet unter Abholzung und Umweltzerstörung. Arnold Antonin ist einer der bekanntesten Filmemacher Haitis. Er sieht keinen grundlegenden Wandel:
    "Haiti ist das Land der vergebenen Chancen. Das ist auch diesmal so. Die Katastrophen der Vergangenheit werden abgelöst durch die der Gegenwart. Und wir warten auf die nächsten Katastrophen. Das ist die Situation."
    Nach dem Erdbeben kam die Cholera, wohl ins Land gebracht von UN-Blauhelmsoldaten. Mehr als 8.000 Menschen sind daran bisher gestorben. Auch politische Konzepte gehen kaum auf. 2011 wurde der beliebte Musiker Michel Martelly zum Präsidenten gewählt. Er setzt auf ausländische Investitionen und Wirtschaftsaufschwung. Aber das Wachstum ist mit etwa vier Prozent viel gering für einen echten Sprung nach vorne. Es gibt nun zwar schicke Büros, Hotels und Restaurants für die wenigen Reichen. Aber die vielen Armen haben kaum genug zu Essen.
    Neue Häuser in Port-au-Prince, Haiti 
    Neue Häuser in Port-au-Prince, Haiti (Stephanie Rohde - Deutschlandradio )
    In den letzten Wochen ist die Stimmung gekippt. Demonstrationen und Ausschreitungen auf den Straßen, Korruptionsvorwürfe gegen den Präsidenten machen die Runde:
    "Martelly baut sich ein Haus für neun Millionen US-Dollar. Auch sein Sohn und seine Frau Sophia bereichern sich."
    Martelly bestreitet die Korruptionsvorwürfe. Ernsthafte, unabhängige Ermittlungen gibt es freilich nicht. Der Präsident warnt vor Chaos:
    "Wir dürfen nicht in Provokationen und Gewalt verfallen. Das Land kommt langsam voran. Wir brauchen Dialog, damit wir diesen Weg weitergehen können."
    Politisches Chaos
    Aber politisch ist das Chaos längst da. Überfällige Parlamentswahlen wurden seit drei Jahren immer wieder verschoben. Martelly und seine politische Gegner im Parlament machen sich dafür gegenseitig verantwortlich. Der Präsident könnte schon bald nur noch per Dekret regieren, da die Parlamentsmandate nun endgültig auslaufen.
    Ein Machtkampf ist entbrannt zwischen dem ehemaligen Musiker und Geschäftsmann Martelly und der angestammten politischen Klasse des Landes, die sich in der Vergangenheit vor allem durch Korruption und Selbstbereicherung ausgezeichnet hat.
    Viel internationales Geld ist seit dem Erdbeben ins Land geflossen. Die verschiedenen einflussreichen Zirkel wollen sich ihren Zugang zu den Fleischtöpfen sichern. Koste es, was es wolle. Die UN-Mission warnt vor Unruhen, will vor allem Stabilität in Haiti, das schon so oft im Chaos versunken ist. Die zarten Pflänzchen des Wiederaufbaus drohen im politischen Machtkampf zertreten zu werden.