Zwei Wochen war Paul unterwegs. Von Haitis Hauptstadt Port-au-Prince nach Panama, von dort über Ecuador und Bolivien an die brasilianische Grenze. Von Rio Branco im Bundesstaat Acre ging es dann mit einem vom brasilianischen Staat bezahlten Busticket weiter bis nach Sao Paulo. Allein die letzte Etappe beträgt knapp 3.500 Kilometer. Schließlich ist er hier in der Kirche „Nossa Senhora da Paz" in der Rua Glicério angekommen. Ein ziemlich schmuckloses Betongebäude, das für Paul der Ort seiner Träume ist.
Paul trägt ein rosa-weiß gestreiftes Hemd. Glatt gebügelt. Fotografieren lassen will er sich nicht, nachdem wir uns lange unterhalten haben. Es ist ihm unangenehm, in seiner Notlage abgelichtet zu werden. Paul hofft auf Arbeit: „Denn ohne Arbeit ist alles Nichts." Und da ist er hier in der Kirchengemeinde im Zentrum Sao Paulos richtig.
Es hat sich herumgesprochen, dass hier täglich bis zu zwei Busse mit Haitianern angekommen. Drei Mal in der Woche veranstaltet die Kirche hier zusammen mit einer Hilfsorganisation hier deshalb eine Job-Börse. Von Dienstag bis Donnerstag 13:30 Uhr bis 16:30 können Unternehmen oder Privatpersonen hier ihre Stellengebote vorstellen und dann aus einer Vielzahl interessierter Flüchtlinge auswählen. Positiv gesagt: Eine Art Casting. Für beide Seiten. Negativ gesagt: Eine Art moderner Sklavenmarkt. Denn hier werden Jobs angeboten, die Brasilianer kaum mehr machen wollen und das zum Mindestlohn von rund 250 Euro.
Paul würde gerne auf einer Baustelle arbeiten. Das hat er in Haiti auch schon gemacht. Heute werden aber nur Fleischverarbeiter, Näherinnen und Hausmeister gesucht. Paul versucht es morgen nochmal. In das Fleischverabeitungsunternehmen will er nicht gehen. Das liegt im fast 1.000 Kilometer südlich von Sao Paulo gelegenen Santa Catarina. Da ist es ihm zu kalt.
Ein anderer Flüchtling erzählt später, dass er nach drei Tagen in der besagten Fabrik wieder zurückgekehrt ist. Die Arbeitsbedingungen waren nicht gut. Von morgens 4:30 bis 14:00 Uhr sechs Tage die Woche Tiere zersägen. Für den Mindestlohn. Außerdem noch je eine Stunde Bus-Transfer von der Massenunterkunft zum Fabrikgelände. Da blieb keine Zeit mehr um sich weiterzubilden. Die Freizeit wollte er eigentlich nutzen, um Englisch zu lernen. An diesem Tag fährt dennoch wieder ein Kleinbus mit ein paar Haitianern in die Fleischfabrik nach Santa Catarina.
Zum Schluss will Paul noch unbedingt etwas loswerden: „Bitte sagen Sie dem Pfarrer hier, wenn Sie ihn gleich sprechen, dass wir alle sehr, sehr dankbar sind. Wir sind glücklich über die Möglichkeit hier arbeiten zu dürfen. Gott segne Sie!" Paul hat Tränen in den Augen.