Am Sonntag fand in Atlanta das wichtigste Sportereignis in den USA statt: der Superbowl. Die New England Patriots konnten das Endspiel der National Football League gegen die Los Angeles Rams mit 13:3 für sich entscheiden. Auch der Pop-Musik bietet der Superbowl stets eine Bühne. Die Auftritte in der Halbzeitshow werden oft begleitet von Debatten und Skandalen. Man denke an den "Nipple-Gate" 2004, als Justin Timberlake Janet Jackson ihren BH herunterriss. Dieses Jahr stand die 15-minütige Musik-Veranstaltung ganz im Zeichen einer brisanten Debatte um Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft und im Sport. In Folge dessen kam es zu einem eher unspektakulären Act.
Bis zu 150 Millionen sehen zu
Kolja Unger: Jens Balzer, Sie haben für uns zugesehen. Warum sind die Auftritte in der Superbowl-Halbzeit von so großer Bedeutung?
Jens Balzer: Nicht zuletzt wegen der enormen Einschaltquoten. Laut der National Football League haben in den letzten Jahre zwischen 100 und 150 Millionen Menschen zugesehen. Diese Gelegenheit wurde eben nicht nur für spektakuläre Shows genutzt, sondern auch für Shows mit expliziten politischen Botschaften. 2016, da hatte Donald Trump gerade die Vorwahlen in seiner Partei gewonnen und die "Black Lives Matter"-Bewegung protestierte gegen den zunehmenden Rassismus in den USA – da trat Beyoncé in einem Black-Panther-Kostüm auf und tanzte in einer ebenso gekleideten Gruppe einen militärischen Formationstanz. 2017, in dem Jahr, nachdem Trump gewonnen hatte, spielte Lady Gaga – unter anderem "This Land Is Your Land" von Woody Guthrie, ein Lied von einem bekennenden Sozialisten.
Die schlechteste Show der letzten Jahre
Unger: Und wie war der Auftritt von Maroon 5 in diesem Jahr?
Balzer: Bei Maroon 5, einer weichgespülten Softpop-Indierock-Band, von der man noch nie irgendwelche politischen Aussagen gehört hat, konnte man sich sicher sein, dass sie garantiert keinen Skandal produzieren würde. Neben der kalifornsichen Gruppe gab es auch Gastauftritte von den Rappern Travis Scott und Big Boi von dem Duo Outkast. Es war die am wenigsten politische Show der letzten Jahre und es war zweifellos auch die schlechteste Show der letzten Jahre. Knapp fünfzehn Minuten lang spielten sich Maroon 5 durch ein halbes dutzend Lieder - vor allem von ihrem 2002 erschienenen Debütalbum "Songs About Jane" - also uralter Kram. Jedes Stück wurde ein bis zwei Minuten lang angetriggert, aber nicht wie in einem Medley, sondern eher so, als ob man an einem Autoradio dreht. Nebenher explodierte und brannte allerlei Pyrotechnik.
Routierende Entertainment-Maschine im Leerlauf
Besonders die beiden Gastauftritte waren bizarr: Travis Scott kam wie ein ungebetener Gast von der Seite herein und rappte dann zwei Stücke, die so überhaupt nicht zum Rest dieser Autoradio-Pop-Performance passten. Big Boi ließ sich im Pelzmantel in einem Cadillac auf die Bühne fahren und rappte ein anderthalb Jahrzehnte altes Outkast-Stück, "The Way You Move", für wiederum anderthalb Minuten.
Dann gab es auch noch einen kurzen Einspieler mit Spongebob, der Zeichentrickfigur. Leuchtende Drohnen schwebten über den Nachthimmel und bildeten die Worte "One" und "Love". Das war alles sagenhaft zusammenhanglos, uninspiriert und öde. Man hatte das Gefühl, einer völlig sinnbefreit im Leerlauf rotierenden Entertainment-Maschine zuzuschauen.
Ein Oberkörper voller barocker Bauernmalereien
Maroon-5-Sänger Adam Levine zog sich nach und nach aus und präsentierte dann am Ende seinen barock mit Bauernmalereien verzierten Oberkörper. Die Frage, die danach in den sozialen Netzwerken am meisten diskutiert wurde - und ich finde, das ist ein bedenkenswerter Punkt -, war: Wieso darf sich dieser Adam Levine bei seiner Show ausziehen und am Ende mit nacktem Oberkörper singen, während es einen riesigen Skandal gab, als Janet Jackson beim Superbowl seinerzeit für ein paar Sekunden lang eine Brustwarze entblößte?
Unger: Okay, zwei entblößte Brustwarzen, trotzdem eine schwache Show. Haben die Veranstalter denn keine bessere Band als Maroon 5 gefunden?
Balzer: Offensichtlich haben viele große Stars, die im Vorfeld angefragt wurden, aus Protest gegen die National Football League abgesagt. Der Hintergrund dafür ist die Affäre um Colin Kaepernick. Der war bis zur Saison 2016 der Quarterback, also: der offensive Spielgestalter der San Francisco 49ers und erregte dann im Sommer 2016 dadurch Aufsehen, dass er sich während des Abspielens der Nationalhymne vor den Spielen nicht, wie es üblich ist, erhob sondern vielmehr kniete. "Ich werde nicht aufstehen und stolz für eine Fahne demonstrieren, die für ein Land steht, das Schwarze und People of Color unterdrückt", sagte er damals. Die Resonanz war enorm. Viele andere afroamerikanische Spieler schlossen sich ihm bei den folgenden Spielen an und knieten bei der Hymne. Also: Das Knien wurde gewissermaßen zu einem Symbol des Widerstands gegen den Rassismus.
Die Karriere opfern, um gegen Rassismus zu protestieren
Aber Kaepernick zahlte dafür einen hohen Preis. Er wurde nach Ende der Saison von seinem Verein entlassen und hat seither keinen neuen Vertrag gefunden. Deswegen wird die National Football League seither von vielen afroamerikanischen Stars kritisiert und boykottiert. Im Oktober erklärte Rihanna, dass sie wegen eines Auftritts angefragt worden sei, aber aus Solidarität mit Kaepernick abgesagt habe. Das gleiche hat gerade vorgestern auch noch Cardi B gesagt, zur Zeit die wichtigste und erfolgreiche junge Rapperin in den USA. "Ich hab da eine Menge Geld geopfert", sagte sie, "aber es geht hier um jemanden, der seine gesamte Karriere geopfert hat, um gegen den Rassismus zu protestieren."
Unger: Also nichts verpasst! Vielen Dank, Jens Balzer, dass Sie sich für uns die Nacht mit dem Superbowl und der Halbzeitshow um die Ohren geschlagen haben.