Halima Krausen hat sich unter der Kuppel ihrer Moschee auf den Teppich gehockt. Unter ihrem Kopftuch lugen ein paar graue Haare hervor. Aus einem großen Koran in der Hand rezitiert sie die erste Sure. Schüler aus der Unterstufe eines Gymnasiums lauschen ihr aufmerksam. Halima Krausen empfängt in der Imam-Ali-Moschee an der Hamburger Außenalster häufig Gäste, die etwas über den Islam lernen wollen. Ihr Ton klingt manchmal ruppig, ihr Lachen ist dafür laut und herzlich. Mit einem einzigen Satz beschreibt sich Halima Krausen sehr treffend selbst:
"Stecken sie mich in die Schublade und ich springe da gleich wieder raus."
Dies ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau – nicht nur wegen ihres lauten Lachens. Die 62-Jährige zählt weltweit zu den wenigen Imaminnen, zu den weiblichen Religionsgelehrten im Islam. In Hamburg betreut sie die deutsche Gemeinde der Moschee an der Außenalster. Ungewöhnlich ist auch ihr Lebensweg. Halima Krausen stammt aus einer christlichen Familie in Aachen. Die eine Linie der Familie war katholisch, die andere evangelisch. Zwischen beiden Seiten herrschte tiefe Zerstrittenheit.
"Das ist der Auslöser gewesen für mein Nachdenken, dass es da nicht so ökumenisch zuging. Das war in den 50ern, da war noch nicht so viel mit Ökumene. Da gab's dann das Spannungsfeld, was bei mir einfach den Eindruck ausgelöst hat, dass da irgendwas nicht stimmt."
Schon als Kind studiert sie alles, was mit Religion zu tun hat. Die Bibel hat sie mit acht komplett gelesen. Halima Krausen stellt die Sinnfrage und sucht Antworten – vor allem, als sie auf ein Thema stößt, über das in ihrer Familie eisiges Schweigen herrscht: die Judenvernichtung der Nazis. Was sie aus Büchern über die Schoa erfährt, bereitet ihr Albträume. Die Tochter einer gläubigen christlichen Familie findet ausgerechnet im Islam, was ihr fehlt.
"Ich habe mir dann weise Sprüche aus den Religionen aufgeschrieben, die mir so zugänglich waren, in ein Heft. Und da habe ich gesehen, das meiste ist aus dem Islam. Meine Gottesvorstellung, die habe ich dann da wiedergefunden. Und zwar ist der Islam ja die jüngste von den monotheistischen Religionen und bezieht sich zurück auf die früheren Offenbarungserfahrungen der Menschheit. Wo mir dann auch mein Ansatz am besten wiedergegeben war: der eine Gott und die vielen verschiedenen Zugänge durch die verschiedenen prophetischen Persönlichkeiten."
Schon als Jugendliche trägt sie Kopftuch – im Deutschland der 60er Jahre ein Tabubruch, vor allem im katholischen Rheinland. Das macht an diesem Vormittag auch die Lehrerin der Schülergruppe in der Moschee an der Außenalster neugierig.
"Ihre Eltern waren keine Muslime. Wie haben die darauf reagiert, als sie mit 15, 16 das Kopftuch getragen haben?" – "Ich soll meine Eltern ehren, deswegen möchte ich die Frage nicht beantworten. Es war nicht leicht für sie."
Aus dem Rheinland findet Halima Krausen den Weg in die Moschee an der Außenalster, hier wird sie zur Theologin ausgebildet. Mitte der 1990er Jahre übernimmt sie als Imamin die Leitung der deutschen Gemeinde. Halima Krausen war in ihrem Leben immer eine Außenseiterin – unter den Deutschen, weil sie zum Islam übergetreten war; unter den Muslimen, weil es seinerzeit nur wenige Konvertiten gab. Doch mit dieser Rolle hat sie sich arrangiert.
"Bei mir war nie so ein starker Trend dazuzugehören oder so ein starkes Bedürfnis dazuzugehören. Nicht in dem Sinne von gleichgeschaltet sein. Ich denke mal, durch diese traumatische Erfahrung mit den Büchern über die Nazizeit war mir das eher suspekt. Bei irgendetwas voll dabei zu sein, voll mitzugehen, unkritisch mitzugehen."
Für viele Musliminnen in Deutschland ist Halima Krausen mit dieser Haltung längst ein Vorbild geworden – und für Christen und Juden eine Ansprechpartnerin im interreligiösen Dialog. Eine ihrer besten Freundinnen arbeitet als Rabbinerin in den USA. Auch theologisch lässt sich Halima Krausen kaum auf eine Richtung festlegen. Die Moschee an der Hamburger Außenalster ist auch Heimat einer schiitischen Gemeinde, die aus dem Iran finanziert wird – und im Visier des Verfassungsschutzes steht. Halima Krausen aber will sich keiner Konfession oder Gruppe zuordnen lassen. Ihr ist vor allem das eigenständige Denken wichtig. Die Vernunft sei eine Gabe Gottes, sagt sie. Sie ermögliche es dem Menschen:
"Zusammenhänge zu erkennen, die über mich rausgehen, mich selber einzuordnen in ein Gesamtes und Schlussfolgerungen zu ziehen, vor allem, wenn es um ethisches Verhalten geht. Und damit ist nicht einfach der Verstand gemeint, nicht der Computer im Kopf alleine nur, sondern unter Vernunft verstehe ich schon auch etwas Ganzheitliches."
Ein Gräuel sind Halima Krausen diejenigen, die den Koran so wie die Salafisten wörtlich auslegen. Bei vielen sehr konservativen Muslimen eckt sie damit an. Aber Halima Krausen ist niemand, der sich einschüchtern lässt. Und wenn sie etwas stört, dann tut sie das deutlich kund. Als beim Besuch der Schüler in der Moschee ein paar Schuhe im Weg stehen, tritt sie diese einfach mit einem Fuß beiseite. Es fällt ihr halt schwer, ihre Meinung zu verbergen:
"Ich kann meine Frechheit nicht immer so lange unter dem Deckel halten. Das war jetzt schon fast grenzwertig."
Serie: Prägende Köpfe des Islam
"Stecken sie mich in die Schublade und ich springe da gleich wieder raus."
Dies ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau – nicht nur wegen ihres lauten Lachens. Die 62-Jährige zählt weltweit zu den wenigen Imaminnen, zu den weiblichen Religionsgelehrten im Islam. In Hamburg betreut sie die deutsche Gemeinde der Moschee an der Außenalster. Ungewöhnlich ist auch ihr Lebensweg. Halima Krausen stammt aus einer christlichen Familie in Aachen. Die eine Linie der Familie war katholisch, die andere evangelisch. Zwischen beiden Seiten herrschte tiefe Zerstrittenheit.
"Das ist der Auslöser gewesen für mein Nachdenken, dass es da nicht so ökumenisch zuging. Das war in den 50ern, da war noch nicht so viel mit Ökumene. Da gab's dann das Spannungsfeld, was bei mir einfach den Eindruck ausgelöst hat, dass da irgendwas nicht stimmt."
Schon als Kind studiert sie alles, was mit Religion zu tun hat. Die Bibel hat sie mit acht komplett gelesen. Halima Krausen stellt die Sinnfrage und sucht Antworten – vor allem, als sie auf ein Thema stößt, über das in ihrer Familie eisiges Schweigen herrscht: die Judenvernichtung der Nazis. Was sie aus Büchern über die Schoa erfährt, bereitet ihr Albträume. Die Tochter einer gläubigen christlichen Familie findet ausgerechnet im Islam, was ihr fehlt.
"Ich habe mir dann weise Sprüche aus den Religionen aufgeschrieben, die mir so zugänglich waren, in ein Heft. Und da habe ich gesehen, das meiste ist aus dem Islam. Meine Gottesvorstellung, die habe ich dann da wiedergefunden. Und zwar ist der Islam ja die jüngste von den monotheistischen Religionen und bezieht sich zurück auf die früheren Offenbarungserfahrungen der Menschheit. Wo mir dann auch mein Ansatz am besten wiedergegeben war: der eine Gott und die vielen verschiedenen Zugänge durch die verschiedenen prophetischen Persönlichkeiten."
Schon als Jugendliche trägt sie Kopftuch – im Deutschland der 60er Jahre ein Tabubruch, vor allem im katholischen Rheinland. Das macht an diesem Vormittag auch die Lehrerin der Schülergruppe in der Moschee an der Außenalster neugierig.
"Ihre Eltern waren keine Muslime. Wie haben die darauf reagiert, als sie mit 15, 16 das Kopftuch getragen haben?" – "Ich soll meine Eltern ehren, deswegen möchte ich die Frage nicht beantworten. Es war nicht leicht für sie."
Aus dem Rheinland findet Halima Krausen den Weg in die Moschee an der Außenalster, hier wird sie zur Theologin ausgebildet. Mitte der 1990er Jahre übernimmt sie als Imamin die Leitung der deutschen Gemeinde. Halima Krausen war in ihrem Leben immer eine Außenseiterin – unter den Deutschen, weil sie zum Islam übergetreten war; unter den Muslimen, weil es seinerzeit nur wenige Konvertiten gab. Doch mit dieser Rolle hat sie sich arrangiert.
"Bei mir war nie so ein starker Trend dazuzugehören oder so ein starkes Bedürfnis dazuzugehören. Nicht in dem Sinne von gleichgeschaltet sein. Ich denke mal, durch diese traumatische Erfahrung mit den Büchern über die Nazizeit war mir das eher suspekt. Bei irgendetwas voll dabei zu sein, voll mitzugehen, unkritisch mitzugehen."
Für viele Musliminnen in Deutschland ist Halima Krausen mit dieser Haltung längst ein Vorbild geworden – und für Christen und Juden eine Ansprechpartnerin im interreligiösen Dialog. Eine ihrer besten Freundinnen arbeitet als Rabbinerin in den USA. Auch theologisch lässt sich Halima Krausen kaum auf eine Richtung festlegen. Die Moschee an der Hamburger Außenalster ist auch Heimat einer schiitischen Gemeinde, die aus dem Iran finanziert wird – und im Visier des Verfassungsschutzes steht. Halima Krausen aber will sich keiner Konfession oder Gruppe zuordnen lassen. Ihr ist vor allem das eigenständige Denken wichtig. Die Vernunft sei eine Gabe Gottes, sagt sie. Sie ermögliche es dem Menschen:
"Zusammenhänge zu erkennen, die über mich rausgehen, mich selber einzuordnen in ein Gesamtes und Schlussfolgerungen zu ziehen, vor allem, wenn es um ethisches Verhalten geht. Und damit ist nicht einfach der Verstand gemeint, nicht der Computer im Kopf alleine nur, sondern unter Vernunft verstehe ich schon auch etwas Ganzheitliches."
Ein Gräuel sind Halima Krausen diejenigen, die den Koran so wie die Salafisten wörtlich auslegen. Bei vielen sehr konservativen Muslimen eckt sie damit an. Aber Halima Krausen ist niemand, der sich einschüchtern lässt. Und wenn sie etwas stört, dann tut sie das deutlich kund. Als beim Besuch der Schüler in der Moschee ein paar Schuhe im Weg stehen, tritt sie diese einfach mit einem Fuß beiseite. Es fällt ihr halt schwer, ihre Meinung zu verbergen:
"Ich kann meine Frechheit nicht immer so lange unter dem Deckel halten. Das war jetzt schon fast grenzwertig."
Serie: Prägende Köpfe des Islam