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Halldór Laxness - Leben und Werk

Es ist eine Freude, die Bücher von Halldór Laxness zu lesen. Da kommt ein Autor aus einem der randständigsten Gebiete Europas, aus Island, - und er schreibt "für die Welt", so kann man das hinsichtlich seines Werks in aller Emphase sagen. Laxness´ sechzig Bücher sind inzwischen in dreiundvierzig Sprachen übersetzt worden. Seine Neugier und sein tiefes Mitgefühl galten den ganz normalen kleinen, verwirrten und verschrobenen Leuten, er behandelte sie mit respektvoller Ironie, und er schrieb ihnen die Ahnung und das Streben nach einem "Anderem" zu; das heißt, seine Figuren sind immer mehr als das, was sie unmittelbar scheinen, sie sind immer auch ein Anspruch, eine Möglichkeit, eine Hoffnung. Der Begriff vom Menschen, den Laxness hatte, zeigt das, was man mit einem altmodisch gewordenen Ausdruck seine "Herzensbildung" nennen könnte. Und wahrscheinlich muss es sich nicht ausschließen, sondern gehört genau dazu, dass er daneben eine Spottdrossel war, ein respektloser frecher Mensch, der mit Vergnügen eherne Werte infrage stellte und unterlief. Zu seinem hundertsten Geburtstag gibt der Göttinger Steidl-Verlag nicht nur eine schön gemachte Werkausgabe in elf Bänden heraus, sondern auch eine erste deutschsprachige Biographie. Der Biograph Halldór Gudmundsson, Jahrgang 1956, ist Verlagsleiter in Reykjavik, er veröffentlichte bereits mehrere Aufsätze, ein Buch und ein Fernsehfeature über Laxness.

Sabine Peters |
    Zunächst stellt Gudmundsson eine grundsätzliche Frage: Was bewegt einen Menschen zum Schreiben? In der Erzählung "mein heiliger Stein" von 1921, aber auch im später erschienenen Roman "Weltlicht" erzählt Laxness von einer unvergesslichen frühkindlichen religiösen Erfahrung, die die jeweiligen Helden prägen wird. Dazu schreibt Gudmundsson:

    Um jedem Missverständnis vorzubeugen: Ich glaube nicht, daß Halldór Laxness Schriftsteller wurde, weil er als Siebenjähriger eine Christuserscheinung hatte. Die Vision ist eher symbolisch zu verstehen, in ihr spiegelt sich eine Haltung, die immer wieder in Laxness´ Kunstverständnis zu finden ist, selbst in den Jahren, als er für eine bessere Gesellschaft auftritt; ein Anhänger des >l árt pour l árt< ist er nie gewesen. Es ist die Idee, daß Kunst ein Versuch ist, die Offenbarung einer besseren Welt einzufangen, einer Welt unbedingter Schönheit, die >über jede Forderung erhaben ist<, wie es in "Weltlicht" heißt, und daß es den Künstlern im besten Fall gelingen mag, eine Ahnung von dieser Welt zu vermitteln. Diese Ahnung ist es, die zu einer Antriebsfeder seines künstlerischen Schaffens wird.

    Nicht von ungefähr kommt Laxness, der vor allem die Kompositionen Bachs liebte, immer wieder in seiner Literatur auf den Vergleich mit Musik, - etwa im listigen Roman "das Fischkonzert", in dem es um die Suche nach dem "reinen" Ton geht.

    Doch der Reihe nach. Gudmundssons Biographie zeigt zunächst den Jungen und jungen Erwachsenen Laxness, der sehr früh schon schreibt, der in der Schule nichts wird und auch zum "Arbeiten" nicht geschaffen zu sein scheint. Über das Elternhaus wird kaum etwas mitgeteilt, einmal hat die Mutter Schreibversuche des noch kleinen Sohns verbrannt, später, 1919, hat der Vater die Druckkosten für ein erstes Buch ausgelegt. Fragt man sich nach familiären Einflüssen, scheint es so, dass eher schon die Großmutter oder "der Typ" Großmutter eine Größe ist, die man immer wieder in Laxness´ Werk finden kann. Halldór Laxness zog früh "in die Welt hinaus", und das hieß für einen Isländer zunächst einmal, nach Dänemark zu gehen, übrigens auch, auf dänisch zu schreiben, denn nur so ließ sich Geld verdienen. Gudmundsson zeigt, wie Laxness sich mit den geistigen Strömungen Europas auseinandersetzte, wie er auf seinen zahlreichen Reisen die Moderne aufnahm. Er blieb nicht bei den Islandsagas, bei der Beschwörung einer intakten, gar "heilen" bäuerlichen Kultur, bei Hamsun und Strindberg, sondern vertiefte sich in die Kulturkrise des Westens, las Freud, Nietzsche - und fand auf der Suche nach radikaler Konsequenz als junger Mann zum Katholizismus. Laxness ließ sich taufen, lebte einige Zeit in einem benediktinischen Kloster, war tief beeindruckt von der Bescheidenheit und Selbstvergessenheit der "Nachfolge Christi" des Thomas a Kempis - und dann veröffentlichte er 1927 den Roman "der große Weber von Kaschmir", ein hochintelligentes, kulturkritisches, radikal subjektives, dreistes und leidenschaftliches Buch, das den Autor mit einem Schlag in die vorderste Reihe zeitgenössischer Weltliteratur stellte. Man findet hier Motive, die Laxness immer wieder beschäftigten, etwa: Gibt es eine Wahrheit, die größer ist als der einzelne Mensch und die unter allen Umständen anzustreben ist? Der Roman "der große Weber" konkretisiert diese abstrakte Frage in der Liebesgeschichte zwischen dem Mädchen Dilja und Stein Ellidi, einem hochbegabten Zweifler, der "Sinn" beim Katholizismus zu finden hofft. Vielleicht wäre Laxness allerdings auch ganz einverstanden, würde man seinen Stein ein arrogantes liebesunfähiges unsicheres Bürschchen nennen.

    Der Erzähler folgt Dilja, nicht Stein; die Heiligen bleiben zurück in ihren dunklen Kammern. Dilja gehören die Erde und der Himmel, das Weite und die hellen Sommernächte in Thingvellir....So legt Laxness den Maßstab des Menschlichen an den Drang seines Helden nach Vollkommenheit...Der Maßstab, an dem Stein zerbricht, ist die Frau, ist Dilja. Ohne sie wäre das Buch ein langer, hitziger Essay zu den Themen der Zeit, aber sie ist sein episches Element, der Stoff für eine Geschichte, die hier nur zum Teil erzählt wird: die Geschichte eines jungen, starken Mädchens, das in eine feindliche Umgebung gerät und das sich mit einer hoffnungslosen Liebe zu einem wankelmütigen Intellektuellen herumschlagen muss. Diese Geschichte hat Laxness seither oft erzählt, in "Salka Valka", in "Atomstation", in "die Islandglocke", das Thema findet sich in seinem ersten wie in seinem letzten Roman. In gewissem Sinne ist es eine Variante des Themas, das ihn Zeit seines Lebens beschäftigt hat: das Verhältnis des Dichters zum Volk.

    Man kann Halldór Laxness als einen Zugvogel sehen, als einen intellektuellen Weltbürger, der gleichwohl an seiner Heimat hängt, der sich auch an ihr reibt - der "große Weber" verschont nicht einmal die Großmütter, die als "Bannerträger der Kultur" neben Fischbauern und Landstreichern nicht eben nach vorn weisen. Und nach vorn wollte Laxness in diesen Jahren.

    Obwohl "der große Weber" noch von Freunden finanziert werden musste, wurde sein Autor bald als "die" isländische Stimme bekannt. Laxness reiste nach Kanada und in die USA, weil er auf eine Zukunft beim Film hoffte; aus dieser Zeit stammen Briefe, in der er seiner späteren ersten Ehefrau seinen Ehrgeiz schildert: Sein Motto, schreibt er, sei "ich will", und: "Kapitulation gibt es in meinem Wortschatz nicht". Laxness fasste in der Filmwelt nicht Fuß, aber die Bekanntschaft mit dem namhaften sozialistischen Autor Upton Sinclair hatte sicherlich Einfluss auf das sozialkritische Element, das sich in seinen eigenen Romanen mehr und mehr findet.

    In der Biographie folgt den "Lehr- und Wanderjahren" dann in den dreißiger-vierziger Jahren die Zeit des politischen Engagements und der sozialen Romane. Laxness, der Marx nicht lesen konnte oder mochte, war gleichwohl von sozialistischen Idealen fasziniert, er solidarisierte sich mit der Sowjetunion und verteidigte ihre Politik vehement gegen jede Kritik, ob es nun um den Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin oder um die Moskauer Prozesse ging. Der kalte Krieg und seine ganz konkreten Auswirkungen auf Island spiegelt sich im Roman "Atomstation"; und dann bekam Laxness 1955 als erster Isländer den Literatur-Nobelpreis. Was die damaligen Zeitgenossen interessierte, war allerdings nicht so sehr dessen literarische Begründung - der Autor fühlte sich dem "Realismus" eines Charlie Chaplin, eines Picasso, eines Neruda verwandt - sondern man wollte seinerzeit vor allem wissen, ob Laxness Kommunist war, ja oder nein.

    Der Autor hat zwar später, 1963, in seinem Buch "Zeit zu schreiben" selbstkritisch seine "Gutgläubigkeit" und "Selbstlüge" hinsichtlich der Sowjetunion reflektiert, und es heißt bei Gudmundsson, er sei vom kämpferischen Sozialisten zum humanistischen Skeptiker geworden, aber Laxness wollte zeitlebens nicht, daß seine eigenen Auseinandersetzungen verallgemeinert würden. Trotz oder gerade wegen der großen Anerkennung in den Jahren von 68 bis 98 - er wurde da und dort Ehrendoktor, Romane wurden verfilmt, er war geradezu eine Institution - trotz all dem muss Laxness manchmal das Gefühl gehabt haben, mit der Romanform, mit dem Geschichtenerzählen, nicht mehr viel ausrichten zu können. Nach 1980 schrieb er kaum mehr, und über die Zeit Mitte/Ende der Achtziger heißt es:

    Die Senilität, es mag auch Alzheimer gewesen sein, nahm weiter zu. Laxness konnte bald nicht mehr lesen. Am längsten erhielt er sich die Fähigkeit, Noten zu lesen, er verbrachte viel Zeit am Klavier. In "Auf der Hauswiese" schrieb er: "Nie habe ich gezögert, wenn Zeitungsleute ihre klassische Frage stellten: >Welches Buch würden Sie mitnehmen, wenn Sie ein Leben lang auf einer verlassenen Insel mit einem einzigen Buch verbringen müssten?< Ohne einen Anflug von Zweifel antwortete ich dann: >Das wohltemperierte Klavier von Johann Sebastian Bach.<" Es war das einzige Buch, das Laxness auf die einsame Insel des Alters mitnehmen konnte. Er war der realen Welt entglitten in die unberührbare Welt der Kunst und der Schönheit.

    Diese Verklärung eines langsamen und traurigen Endes mutet befremdlich an, zumal der Biograph sich sonst sehr zurücknimmt und fast völlig auf direkte Kommentare und Deutungen verzichtet. Und damit ist man bei der Frage, was diese Biographie insgesamt leistet. Wer nie etwas von Laxness gelesen hat, bekommt einen soliden Überblick über die Entstehung seines Werks, das in seinen Extremen untrennbar von den Extremen des 20. Jahrhunderts ist. Aber wird der Leser im Anschluss an die Biographie neugierig werden auf die Lektüre der Romane? Von einer "Lust am Text" ist in dieser Biographie wenig zu spüren - und dabei ist es doch gerade diese Lust, die sich vom Schreiber Laxness auf seine Leser überträgt. Biographien sollen ein Bild des Menschen zeichnen, und eben darin liegt natürlich auch das Problem des Genres: Es besteht immer die Gefahr, Widersprüche zu glätten und Rätsel aufzulösen, anstatt sie nur in aller Vorsicht nachzubuchstabieren. Gudmundsson hält sich sehr zurück, und so dankbar man ist, daß er einen nicht mit Spekulationen oder mit psychologischen Erklärungsmustern überzieht, so vage und blass bleibt sein Buch der Persönlichkeit Laxness´ gegenüber.

    Zeitzeugen, Freunde, Kollegen, die Ehefrauen kommen hier allenfalls indirekt zu Wort, man hört sie nicht selbst sprechen, und entsprechend monoton und trocken liest sich das zeitweilig. Gudmundsson reiht additiv und chronologisch Fakten aneinander, Bücher, Reisen, Ehefrauen; er versucht vielleicht einen "objektiven Blick" auf sein Objekt - aber es gibt auch im Genre der Biographie keine Neutralität. Man stolpert über Passagen, in denen Gudmundsson es deutlich vermeidet, sich aufs Glatteis zu begeben. Er weicht aus, wo immer sich angesichts dieses scheinbar nur erfolgreichen, scheinbar nur geglückten Lebensweges Irritationen einstellen. Das heißt, man hat beim Lesen zu oft das Gefühl, daß Halldór Laxness´ Leben zwar durchaus konfliktreich und widersprüchlich war, daß aber die Biographie nicht bis zu diesen Widersprüchen vorstösst, sie umreisst oder ausformuliert - und das bedeutet doch nicht automatisch, voyeuristisch und indiskret zu werden. Und so bleibt, harsch gesagt, der Eindruck zurück, es mit einer sicherlich nicht unklugen Fleißarbeit zu tun zu haben, die sich anlässlich des Geburtstages eben auf dem Markt anbot. Das sollte einen nicht daran hindern, Halldór Laxness selbst zu lesen - Bücher wie "das Fischkonzert" oder "der große Weber von Kaschmir" haben keinen Staub angesetzt, sie sind immer noch voll Wärme und Witz.