Unser Körper ist ein Regenerationswunder. Die meisten seiner Organe erneuern sich mit der Zeit. Das gilt selbst für die Knochen: Im Schnitt dauert es fünf Jahre, dann sind sämtliche Zellen ausgetauscht, kleine Risse oder Brüche sind verheilt. Anders bei den Zähnen, speziell dem Zahnbein. Das ist jener Teil des Zahnes, der unter dem Zahnschmelz liegt.
"Das Zahnbein ist von der chemischen Zusammensetzung nicht unähnlich dem Knochen, wird aber im Gegensatz zum Knochen einmal angelegt und nie wieder verändert."
Sagt Peter Fratzl, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam.
"Das Zahnbein muss so konstruiert sein, dass es hoffentlich viele Jahrzehnte überstehen kann."
Das Zeug muss also halten, am besten ein Leben lang. Nur: Wie kann das funktionieren, so ganz ohne Regeneration? Um das zu beantworten, nahmen Fratzl und sein Team das Dentin, wie das Zahnbein auch heißt, detailliert unter die Lupe, und zwar mit ultrastarker Röntgenstrahlung. Vereinfacht gesagt besteht Dentin aus zwei Komponenten:
"Nämlich einem Protein, das Kollagen, und winzig kleinen Mineralpartikeln, die in dieses Protein eingelagert sind und das Protein verfestigen."
Nun wird so ein Zahn naturgemäß arg belastet, beim Kauen und Mampfen kommt es unweigerlich zu feinen Rissen im Dentin. Doch irgendein Mechanismus hindert den Riss daran, sich auszubreiten und Schaden anzurichten. Genau diesen Mechanismus konnten Fratzl und seine Kollegen nun enträtseln.
Kollagenfasern stehen unter Spannung
"Das kennen wir vom Stahlbeton in Brücken. Wir wissen, dass Beton unter Druck sehr gut belastbar ist, aber unter Zug sofort Risse entwickelt. Um dem entgegenzuwirken, werden Stahlseile, die sich unter Zug befinden, in diesen Beton eingebaut. Und jetzt stellen Sie sich statt Stahlseile Proteinfasern und statt Beton kleine Mineralpartikel vor."
Die Kollagenfasern stehen also unter Spannung, was die eingelagerten keramischen Mineralteilchen buchstäblich unter Druck setzt. Keimt nun im Dentin ein zarter Riss auf, drücken die Mineralteilchen mit einiger Wucht dagegen und setzen dadurch dem Riss Grenzen. Er stoppt, bevor er sich ausbreiten und den Zahn destabilisieren kann.
"Die Spannungen sind überraschend groß. Sie führen dazu, dass sich diese Keramiken um ein Zehntel Prozent verformen. Das klingt unheimlich wenig. Aber wenn Sie versuchen, Ihren Teller um ein Zehntel Prozent zu komprimieren, dann können Sie sich vorstellen, wie groß die Kraft ist. Das sind Kräfte, die ausreichen können, um Steine zu sprengen."
Doch wie kommen diese beträchtlichen Spannungen ins Dentin hinein? Das wissen die Forscher zwar noch nicht so genau, aber sie haben eine Vermutung. Es könnte damit zu tun haben, dass Kollagenfasern, bevor sie das Dentin bilden, Wassermoleküle eingebaut haben.
"Und dieses Wasser wird entfernt, wenn stattdessen diese Mineralpartikel in die Fasern hineingebracht werden durch einen chemischen Vorgang. Das führt dazu, dass sich diese Kollagenfasern stark komprimieren. Und dann bleibt das so bestehen, hoffentlich 100 Jahre lang."
Wenn sich der Zahn bildet, dörrt das Kollagen aus, zieht sich zusammen und spannt sich quasi von selbst. Dadurch rücken zwangsläufig auch die eingelagerten Mineralpartikel dichter zusammen. Der Zahn steht damit unter Spannung, unter Hochspannung sogar – was erheblich zu seiner Haltbarkeit beiträgt.
Doch was, wenn Karies den Zahn befällt und ein Bohrer das kunstvolle Gefüge zerstört?
Wenn man sich das Zahnbein und den Zahnschmelz ansieht, sind alle die kleinen Strukturen – die Verteilung der Spannungen, die Faserorientierung – aufeinander abgestimmt. Wenn Sie stattdessen Amalgam in den Zahn kleben, sind diese wunderbaren Beziehungen alle vollkommen gestört. Das ist eine notdürftige Reparatur, bestenfalls."
Vielleicht lässt sich der Trick mit den inneren Spannungen ja auf Füllungen und Zahnersatz übertragen, spekuliert Peter Fratzl. Dann könnten sie künftig vielleicht länger halten als bislang.
"Ich glaube nicht, dass man wirklich ans Original rankommen wird, aber man könnte es besser machen."