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"Haltlose Legende"

Können Sie sich noch an den Ausdruck "Sachsensumpf" aus den 90ern erinnern? Es ging um Politiker, aber auch hohe Justiz- und Polizeikreise, die mutmaßlich mit dem Rotlichtmilieu verbandelt sein sollten. Bis heute scheint das Thema nicht abhakbar.

Von Alexandra Gerlach |
    "Der Untersuchungsausschuss war im Grunde zweieinhalb Jahre eingesetzt, wir konnten aber faktisch aufgrund der Blockade der Staatsregierung nur eineinhalb Jahre wirklich aufklären."

    Caren Lay, Abgeordnete der Linksfraktion im sächsischen Landtag, war als Obfrau ihrer Partei Mitglied im Untersuchungsausschuss zur sogenannten Sachsensumpf-Affäre. Sie ist sichtlich enttäuscht vom Ergebnis der jahrelangen, mitunter recht zähen Ausschussarbeit. Die Zeit sei zu kurz gewesen und die Behinderungen des Ausschusses durch die Staatsregierung, die wichtige Akten unter Verschluss hielt, hätten zusätzlich Sand ins Getriebe gestreut, sagt Lay. Ihr Fazit:

    "Die Frage, ob es einen Sachsen-Sumpf gegeben hat, konnte nicht abschließend geklärt werden. Wir haben jedoch zahlreiche Hinweise darauf, dass im Zusammenhang mit einem Leipziger Mord-Prozess und im Zusammenhang mit einem Kinderbordell in Leipzig viele Dinge offenbar nicht ordentlich ermittelt worden sind und man sich her schon die Frage stellen muss, warum beispielsweise, was die Frage Kinderprostitution anbelangt, was die Frage sexueller Nötigung anbelangt, aber was auch die Frage de Ermittlung von Hintermännern in einem Mordanschlag anbelangt. Warum hier die Justiz nicht ordentlich ermittelt hat."

    Die Vorgänge datieren zurück zum Anfang der 90er-Jahre, sorgsam zusammengetragen vom Referat "Organisierte Kriminalität" im sächsischen Verfassungsschutz. Eine zehnköpfige Einheit mit einer früheren Staatsanwältin an der Spitze, die mit ebenso großer Akribie wie Fleiß über zwei Jahre Informationen über angebliche mafiöse Strukturen im Freistaat sammelte. Das taten die Schlapphüte sogar noch, als der sächsische Verfassungsgerichtshof das Beobachten der organisierten Kriminalität per Urteilsspruch stark einschränkte. Es ging um die mutmaßliche Verstrickung von Politik, Justiz und Polizei in Korruption und Kinderprostitution, in ein angeblich ganz Sachsen überziehendes mafiöses Netzwerk. Am Ende standen rund 15.600 Seiten belastendes Aktenmaterial in mehr als 100 Ordnern. Angeblich brisantes Material, das nur den Mitgliedern der hochgeheimen Parlamentarischen Kontrollkommission zugänglich gemacht werden dürfte. Die Mitglieder dieses Gremiums waren jedoch nicht geschult im Umgang mit diesen Akten, konnten also nach Expertenmeinung gar nicht einschätzen, wie es um den Wahrheitsgehalt der Akten bestellt war. Dieses zweifelsfrei herauszufinden ist auch dem Untersuchungsausschuss nicht gelungen, wie Johannes Lichdi von den Bündnisgrünen zugibt:

    "Die Kernfrage war ja, gibt es, gab es korruptive Netzwerke im Freistaat Sachsen? Nach unserer Überzeugung ist es bisher nicht nachgewiesen, dass es diese korruptiven Netzwerke gegeben hat. Allerdings ist auch ihr Nichtbestehen nicht nachgewiesen."

    Zusätzlich befeuert wurden die wabernden Gerüchte im Sommer 2007 durch den Frankfurter Publizisten Jürgen Roth, der bereits mehrere Bücher zum Thema Korruption und Mafia verfasst hatte. Scheibchenweise veröffentlichte dieser auf seiner Internet-Seite immer wieder Einzelheiten aus den geheimen Dossiers. Partiell wurden diese auch ausgesuchten Journalisten zugespielt, die ihrerseits Nachforschungen anstellten. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die ihm dadurch zuteilwurde, kam gerade recht, sie passte in die Werbephase für sein neues Buch, das wenige Monate später erscheinen sollte, vorrangig über mafiöse Strukturen im sächsischen Plauen. Inzwischen hat er einige Anzeigen und auch Strafbefehle wegen übler Nachrede akzeptieren müssen. Den Höhepunkt der Affäre setzte freilich Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo, CDU, als er in einer legendären Landtagsrede vor einem Gegenschlag der Mafia warnte. Damit hatte die Affäre bundesweite Aufmerksamkeit und Brisanz erreicht. Das schleichende Gift, das die Akten freisetzten, blieb nicht ohne Folgen. Der Verfassungsschutzpräsident musste seinen Stuhl räumen, Nachfolger wurde sein Vorgänger Reinhard Boos. Der Fachmann erkannte schnell, dass schwere handwerkliche Fehler beim Zusammentragen der Informationen gemacht wurden. Ein Großteil der Akten setzte sich nämlich aus Kopien von Unterlagen anderer Ermittlungsbehörden zusammen, aus Verfahren, die bereits geprüft und abgeschlossen waren. Boos schuf den Begriff vom "doppelt aufgebrühten Teebeutel". Und auch eine von der Staatsregierung eingesetzte externe Prüfungskommission von Fachleuten kam schnell zu dem Schluss, dass es keine belastbaren Belege für die These vom großen "Sachsen-Sumpf" gebe. Erleichterung bei der CDU. In der Debatte zum Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses Anfang Juli im sächsischen Landtag erklärte der CDU-Obmann Christian Piwarz:

    "Den Sachsen-Sumpf hat es nie gegeben. Vielmehr hat er sich als haltlose Legende erwiesen. Es gibt kein flächendeckendes Netzwerk, das Justiz und Politik im Sachsen im Griff hat."

    Diese Einschätzung treffe ganz und gar nicht zu, hält der SPD-Landtagsabgeordnete, Karl Nolle, dagegen. Die Ungereimtheiten lägen weniger in den Akten selbst, als vielmehr in der von interessierten Kreisen betriebenen Verhinderungspolitik bei der Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses, so Nolle im Plenum:

    "Was wurde nicht alles versucht, um zu vernebeln und zu verwirren, dabei haben die christdemokratischen Märchenerfinder die Gebrüder Grimm weit hinter sich gelassen."

    Spuren hat die ebenso rätselhafte wie gespenstische Affäre allemal im Land hinterlassen. Das Vertrauen in die Justiz wie in die Politik wurde zeitweilig schwer erschüttert. Polizei, Staatsanwaltschaft und andere gerieten ins Zwielicht, vielmals wurden Prinzipien des Persönlichkeitsschutzes verletzt. Auch beim Verfassungsschutz, der schließlich sogar Quellen mit Klarnamen veröffentlichte. Politik und Verwaltung versuchten monatelang, den Untersuchungsausschuss zu verhindern, bis ein gerichtlicher Beschluss das Gegenteil anwies. Journalisten wurden in ihrer Arbeit behindert. In der Rückschau sprechen manche Kommentatoren von einer Medienlegende, die nur durch fehlende Sorgfalt der Massenmedien, ähnlich wie im Fall Sebnitz, im Jahr 2000, entstehen konnte. Die "Süddeutsche Zeitung" titelte im Mai 2008, dass "der Verfassungsschutz in Sachsen im Zusammenspiel mit Politikern und Journalisten" den "Sachsensumpf" erfand. Ruhe kehrt dennoch nicht ein. Linksfraktion und Bündnisgrüne wollen die Suche nach der Wahrheit nicht aufgeben. Sie wollen in der nächsten Legislaturperiode erneut einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss durchsetzen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht.