Archiv

Hamburg
Erste Babyklappe vor 15 Jahren eröffnet

Obwohl vor 15 Jahren Hamburg den Startschuss für einen regelrechten Babyklappen-Boom gab, ist die Zahl der ausgesetzten oder getöteten Neugeborenen seitdem nicht gesunken. Der Hamburger Verein Sternipark spricht allerdings von über 40 geretteten Kindern seit Bestehen der Babyklappe - Kinder, die keinerlei Kenntnis über ihre Herkunft haben.

Von Monika Köpcke |
    Babyklappe
    In Deutschland gibt es inzwischen fast 100 Babyklappen. (dpa / picture alliance / Bernd Settnik)
    Die Arbeiter am Fließband einer Hamburger Recyclinganlage waren schockiert: Zwischen Altpapierbergen entdeckten sie im November 1999 einen toten Säugling. Der kleine Junge war in diesem Jahr das vierte Neugeborene in Hamburg, das ausgesetzt oder getötet wurde. Das öffentliche Entsetzen war groß - ebenso die Bereitschaft, schnell Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
    "Wir wollen schlicht und ergreifend versuchen, durch ein Angebot, das der Mutter Anonymität zusichert, Leben retten. 40 ausgesetzte Babys in der Bundesrepublik in jedem Jahr, dazu 20, die dabei sterben, vielleicht noch mit einer erheblichen Dunkelziffer, ist natürlich das Schlimmste, was man einem kleinen Kind, was man einem Neugeborenen antun kann."
    8. April 2000: Jürgen Moysich, Geschäftsführer des Hamburger Jugendhilfevereins Sternipark, spricht auf der Pressekonferenz zur Eröffnung der ersten Babyklappe. An der Eingangstür eines Kinderhauses des Vereins in Altona befindet sich fortan, verborgen hinter einer schlichten Stahlklappe, ein Wärmebett, in das der unerwünschte Säugling gelegt werden kann.
    Babyklappen sollen Leben retten
    "Der Nebeneffekt ist natürlich auch, dass Mütter, die in einer solchen Situation ihre Kinder in Pflege bei uns geben, sich nicht strafbar machen. Sie setzen ihr Kind nicht aus, sie setzen es keiner Gefährdung aus. Im Gegenteil: Sie können davon ausgehen, dass dieses Kind gut betreut ist."
    "Dann liegt das Kind in 37 Grad Körpertemperatur. Das Bett ist ausgestattet mit Sensoren, und wir erfahren sofort von dem Alarm und sind in fünf bis zehn Minuten vor Ort", erklärte eine Sternipark-Mitarbeiterin den Journalisten, die zur Eröffnung nach Hamburg gepilgert waren.
    Jedes abgelegte Baby soll acht Wochen lang von Pflegeeltern versorgt werden. So lange können die leiblichen Mütter es zurückzuholen. Danach würde es zur Adoption freigegeben werden. Die allgemeine Zustimmung war groß: Prominente Hamburger sponsorten das Projekt oder erklärten sich bereit, die achtwöchige Pflege zu übernehmen. 7.000 Mark spendeten die schockierten Arbeiter der Recyclinganlage und 50.000 Mark gab die Stadt. Herbert Wiedermann vom Hamburger Jugendamt erläuterte die Zielgruppe der Babyklappe.
    "Das erste sind drogenabhängige Frauen, die ahnen, dass sie ihr Kind sowieso abgeben müssen, weil sie es nicht erziehen können. Der zweite Bereich sind Migranten, zum Beispiel bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge, die vergewaltigt worden sind, der dritte Bereich sind Frauen, die unter Gewalt in der Familie leiden und die das Kind auf keinen Fall in diesen Familien großziehen können. Und die letzte Gruppe sind Minderjährige."
    Kritik an der Babyklappe
    "Dies ist ein Angebot, das die Nachfrage erhöht", meint die Erziehungswissenschaftlerin und Adoptionsexpertin Christine Swientek, die von Anfang an eine Wortführerin der Kritiker war. Sie ist überzeugt, eine Babyklappe rettet kein Leben, sondern sie produziert Findelkinder, die es ohne sie gar nicht geben würde.
    "Es macht sich natürlich am besten zu sagen: Die verzweifelte Mutter in höchster Not war es, die den Weg zur Babyklappe gefunden hat, damit ihr Kind leben kann. Es ist genauso vorstellbar, dass fast die Hälfte aller Mütter gezwungen werden oder aber, dass das zum Beispiel die Kindesväter sind. Eine kopflose Frau, die wird ihr Kind in dieser Situation töten, die wird es ersticken, die wird das Kind, wie es passiert ist, aus dem Fenster werfen, die geht mit Sicherheit nicht dann auf die Suche nach der nächsten Babyklappe."
    Zahlen nähren solche Skepsis: Obwohl Hamburg den Startschuss für einen regelrechten Babyklappen-Boom gab - heute gibt es fast 100 in ganz Deutschland - , ist die Zahl der ausgesetzten oder getöteten Neugeborenen seitdem nicht gesunken. Auch nicht in Hamburg. Der Verein Sternipark spricht dagegen von über 40 'geretteten' Kindern seit Bestehen der Babyklappe. Kinder, die keinerlei Kenntnis über ihre Herkunft haben. Christine Swientek:
    "Das Kind liegt drin, der Sensor schlägt an, es wird rausgeholt und keiner weiß, wer es ausgesetzt hat. Sie sind abgegeben, sie sind verlassen worden, sie sind wurzellos, so empfinden sie das selber. Also das ist etwas, was wir sehr, sehr ernst nehmen müssen."
    Da Kinder nach dem Grundgesetz ein Recht darauf haben, den Namen der Eltern zu erfahren, gibt es seit Mai letzten Jahres das 'Gesetz zur vertraulichen Geburt'. Danach können Mütter inkognito entbinden und einen Vornamen für das Kind wünschen. Ihre persönlichen Daten werden in einem versiegelten Brief beim Bundesamt für Familie verwahrt. Nach 16 Jahren darf das Kind den Namen seiner leiblichen Mutter erfahren. Das Angebot der vertraulichen Geburt berührt aber nicht die Existenz der Babyklappen. Auch ohne klare gesetzliche Grundlage dürfen sie weiter bestehen.