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Hamburg im Alleingang

Sein Name ist mit dem deutschen Indie-Rock und der sogenannten späten Hamburger Schule so sehr verbunden wie kaum ein anderer: Thees Uhlmann, Sänger der Band Tomte. Seit dem vorerst letzten pathetisch-klingenden Album "Heureka" ist es still geworden um die Hamburger Band - doch der Tomte-Frontmann war nicht untätig.

Thees Uhlmann im Gespräch mit Adalbert Siniawski |
    Im Gegenteil: Thees Uhlmann ließ die Arbeit bei Tomte ruhen und geht seitdem als Solokünstler seine eigenen Wege. Vor wenigen Tagen, Ende August, erschien sein Album mit dem schlichten Titel "Thees Uhlmann", ab Mitte Oktober ist er mit seiner Band auf Tour in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

    Adalbert Siniawski sprach mit Thees Uhlmann über sein neues Soloalbum, warum er Hamburg den Rücken gekehrt hat und die Zukunft von Tomte.

    Siniawski: Nach sechs Alben mit Tomte gehen Sie musikalisch eigene Wege – da könnte man meinen, bei Tomte läuft es nicht mehr ganz so rund. Wie steht es um Tomte?

    Uhlmann: Um Tomte steht's gut. Sie sagen jetzt sechs Alben, für mich sind es einfach 16 Jahre lang Musik machen. Das ging los mit kleinen Konzerten in der Punkszene. Dann haben wir unsere eigenen Platten veröffentlicht. Dann fanden Leute diese Platten gut – das hat auch geklappt. Dann haben wir große Konzerte gespielt, in Hamburg in der Großen Freiheit, ausverkauft! Zwei Mal hintereinander! Wir haben auf dem Hurricane-Festival vor Zigtausend Leuten gespielt. Alles das, und viel mehr, was ich mir jemals erträumt hab', das hab' ich alles erreicht. Das war aber, muss ich sagen, eine extrem hohe Energieleistung, weil wir nie eine große Plattenfirma hatten. Ich habe mir das alles sozusagen selber erarbeitet, selber durchgezogen. Das ging zu einer bestimmten Zeit einfach bei mir nur so, und ich glaube, die einzige Chance, die meine Band hatte, war: "Wir sind Tomte, wir hängen am längsten rum. Wir trinken die meisten Biere. Wir sind die Lautesten. Wir sind vielleicht auch die Schlausten und die Bauernschläusten, sind die heftigsten. Wir machen Rock 'n' Roll. Ich! Ich! Ich! Ich! Ich! Das gucke ich mir an, ich schreib' die heftigsten Texte ... " – und das wollte ich hinter mir lassen. Ich weiß, dass es so war, und es war gut, dass es so gewesen ist. Aber das hätte ich jetzt nicht mehr leisten können, ich wollte das auch nicht mehr leisten. Ich wollte die Sache, mit der ich so viel erlebt habe, die mir so viel geschenkt hat, die wollte ich loslassen, und ich wollte jetzt einfach eine Thees-Uhlmann-Platte machen.

    Siniawski: Bei Facebook haben Sie in den vergangenen Monaten Ihre Fans quasi präventiv versucht zu beruhigen: Ihre Soloplatte bedeute nicht das Ende von Tomte. Dabei bleibt es?

    Uhlmann: Es gibt überhaupt keinen Grund Tomte aufzulösen, weil: Es gab keinen Streit. Bei Tomte sind immer viele Leute eingestiegen und ausgestiegen, das möchte ich gar nicht in Abrede stellen, und der absolute Traum von mir wird es immer sein, wie die Toten Hosen oder wie Fettes Brot oder wie die Beatsteaks, dass man über Jahre oder Jahrzehnte mit den gleichen Menschen Musik macht. Das hat eine wahnsinnige Schönheit und eine wahnsinnige Romantik. Das Glück war mir aber leider nie gegeben. Aber es gab mit den Leuten, die zurzeit bei Tomte mitspielen, gab's überhaupt keinen Streit, die haben auch schon ihre Soloplatten gemacht. Und jetzt hat der Boss gesagt, er möchte auch mal seine Soloplatte machen.

    Siniawski: Sie haben gerade gesagt: "Ich, ich, ich – und jetzt kommt was anderes." Die Presse geht ja nicht immer nett mit dem Tomte-Frontmann um. Sie seien ein Mann, der wie kein zweiter Überschwang, Thekenaphorismen, Bierpathos in kantige Zeilen überführen könne, hieß es da zum Beispiel. Ist das Soloprojekt also auch so eine Art Versuch, dieses Bild von Ihnen etwas gerade zu rücken?

    Uhlmann: Das eine war doch gerade positiv.

    Siniawski: Na ja, Thekenaphorismen und Bierpathos ... ich weiß es nicht, ob das eine Adelung ist.

    Uhlmann: Ich weiß schon, was der meint, aber Bierpathos ... also nun muss man wirklich ... also wir sind hier gerade in Köln. Und der Kölner ist ja nun wirklich der ungeschlagene Meister im Bierpathos. Nach vier Kölsch schwört er einem Stein und Bein alles. Das ist ja gerade auch das Schöne an Köln. Nein, aber davon mal weg: So habe ich mich erfunden, so wollte ich sein und so war ich auch. Und bei mir ist es einfach nur so: Ich liebe es, Musik zu machen. Und ich habe viel erlebt. Wenn jemand mich nicht gut findet, das ist einfach okay. Ich habe da meinen Frieden so sehr mit gemacht, und ich singe Lieder über Menschen. Ich erfinde eine Geschichte, die ich selber gerne mag und die kann ich anderen Leuten erzählen. Das wäre bei Tomte nicht möglich gewesen, weil Tomte dieses "Ich! Ich! Ich! Wir stehen hier am Tresen und ich erzähle meine Sicht auf die Dinge". Für mich ist es wunderschön, auf der Bühne zu stehen, etwas zu singen, was ich ernst nehme, was ich schätze, was aber einfach eine aufgeschnappte Geschichte ist.

    Siniawski: Waren die Bandkollegen nicht düpiert, als Sie ihnen sagten: "Jungs, ich mach' jetzt mal mein eigenes Ding"?

    Uhlmann: Ich habe denen die Idee einfach vorgestellt, über fünf Minuten, und habe auch gesagt: "Hey Leute, ich bin ein bisschen schlapp. Ich möchte gerne eine Soloplatte machen." Da wir nun wirklich auch befreundet sind und uns sehr, sehr gut kennen – ich glaube, es ist gar nicht möglich, in einer Band mitzuspielen, ohne dass man sich sehr, sehr gut kennt – haben die auch gar nicht versucht mich zu überzeugen oder so etwas. Die haben gesagt: "Ist okay, Boss." Die machen ja auch ihren eigenen Kram und so was. Nein, die waren nicht düpiert.

    Siniawski: Beim hören der Songs dachte ich, Ihre Soloplatte weicht kaum von dem bisher gekannten Tomte-Sound ab. Wollen Sie keine neuen, eigenen Akzente setzen?

    Uhlmann: Ich weiß schon natürlich, dass da Ähnlichkeiten im Sound sind, aber ich wollte ja die Platte auch für mich schreiben, ich wollte ja auch selber Spaß an der Platte haben. Und mir bringt halt "Dancers in the Dark" von Bruce Springsteen oder "Keep on Rockin' in the Free World" von Neil Young oder irgendetwas von Gaslight Anthem, bringt mir halt mehr Spaß als Minimaltechno, und deswegen ist es einfach Rock-'n'-Roll-Musik.

    Siniawski: Auf Ihrem Soloalbum gibt es ein Lied mit der Zeile: "Hier komme ich her", in dem Sie Ihre norddeutsche Heimat besingen. Auch auf der jüngsten Tomte-Platte fragten Sie sehnsuchtsvoll: "Wie sieht's aus in Hamburg?" Wie wichtig ist Ihnen Heimat – für Sie persönlich und für Ihre Musik?

    Uhlmann: "Wie sieht's aus in Hamburg?" habe ich geschrieben, weil Hamburg sich so rasend schnell verändert hat, einfach vom Stadt-Layout, möchte ich mal sagen. Ich bin morgens um zehn Uhr an der Reeperbahn ausgestiegen, weil ich da einen Termin hatte. Das sieht einfach total anders aus als in den Neunzigern, und es sieht mehr nach Plastik aus. Die haben da ganze Stadtgebiete plötzlich aufgebaut in einem Jahr. Und das war so eine Assoziation darüber, "Wie sieht's aus in Hamburg?" Wie geht's den Leuten in Hamburg. Der Song von meiner Soloplatte, der geht noch viel weiter, darüber, dass ich aus so einem Dorf aus Nordniedersachsen komme, namentlich Hemmoor. Und der Ort sieht wirklich nicht aus wie Rothenburg ob der Tauber oder wie ein süßes, altländisches Bauerndorf, sondern das ist einfach nur eine Kleinstadt an der Bundesstraße. Also die ehrlichste Antwort wäre gewesen: Mit 20 wollte ich nichts wie raus aus diesem Dorf. Jetzt bin ich 37 und eine der glücklichsten Sachen, die ich mir vorstellen kann in meinem Leben, ist, bei meiner Mutter mit meiner Tochter im Garten abzuhängen, in Hemmoor Zeit zu verbringen, dann meine Tochter ins Bett zu bringen und abends mit meinem Kumpel auf der Veranda ein Bier zu trinken und dabei Neil Young zu hören. In Hemmoor auf dem Dorf abzuhängen und zu wissen, warum man dort glücklich ist, das ist auch eine coole Sache! Und das interessiert mich als Künstler zu singen: "Ich wurde hier geboren zwischen Torf und Grog, zwischen Eigenheim und Minirock." So war das damals, so ist das! So ist das, wenn man vom Dorf kommt. Und ich muss dazu sagen, dass ich in Gesprächen in Berlin, mit so Leuten, wenn man einfach mal zusammensitzt – im Bierpathos – und sich unterhält ... das sind Leute, die haben es geschafft, die sind 35 oder 40 oder 30, die haben ihr Studium fertig, die haben einen Job, die haben dieses Leben, wo man weiß, dass man es noch zwanzig Jahre weiter macht und es ist alles okay, es ist alles super, ohne Häme. Und dann redet man weiter und dann haben wirklich ab und zu Leute gesagt, oder viele Leute gesagt, so: "Ja, es ist wirklich alles okay. Es kann auch so weitergehen, aber Alter, weißt du was? Ich möchte irgendwie nach Hause." Die haben ein Gefühl in sich, dass sie nach Hause wollen und sie wissen nicht wirklich, wo das ist.

    Siniawski: Tomte ist in und mit Hamburg groß geworden. Dennoch haben Sie der Hansestadt den Rücken gekehrt und sind nach Berlin gezogen. Wie groß ist der Sog der Hauptstadt?

    Uhlmann: Der Sog der Hauptstadt ist immens. Gar nicht so doll für mich, weil das bei mir einfach private Gründe waren, warum ich da hingezogen bin und mich einfach auch räumlich verändern wollte. Tausende von Twens fliegen in diese Stadt rein, weil diese Stadt ihnen Kreativität, Party, finanzielle Leistbarkeit versprechen und die Leute es einfach lieben in Berlin zu sein.

    Siniawski: Nicht nur die Twens ziehen nach Berlin, auch ganz viele Künstler ziehen aus Hamburg weg, Klubs in der Hansestadt sind auch bedroht. Hat Hamburg als Musikmetropole ausgedient?

    Uhlmann: Ich glaube auf jeden Fall, dass die Stadt Hamburg – und damit meine ich dann wirklich einmal die Regierenden – sehr aufpassen muss darauf, dass Hamburg nicht das verliert, was es über zwei Dekaden sehr beliebt gemacht hat. Ich glaube, dass so eine Sache wie die Elbphilharmonie sehr, sehr gut sein kann. Ich glaube aber auch daran, dass so ein Klub wie das Molotow sehr, sehr viel mehr für die Stadt getan hat, als die Leute in Hamburg wissen.

    Siniawski: Braucht es mehr Unterstützung für die Independent-Musikszene? Sie sind ja auch mit Ihrem Label in Hamburg aktiv.

    Uhlmann: Also da schlagen schon zwei Herzen in meiner Brust. Das eine Herz sagt: "Ich möchte den Staat nicht um Erlaubnis fragen, ob ich eine Platte machen darf!" Aber auf der anderen Seite: Leute fahren nach Hamburg, geben da ihr Geld aus, weil Blumfeld und Tocotronic und Kettcar den Geist dieser Stadt verändert haben und das für andere Leute attraktiv gemacht haben. Wir bringen der Stadt Geld und deswegen dürfen wir ruhig etwas zurückbekommen, weil es sonst auch gar nicht mehr möglich ist, außer sich zu verschulden, Rock 'n' Roll zu machen.

    Siniawski: Sie sind auch als Geschäftsführer von Grand Hotel van Cleef tätig. Welche Newcomer promoten Sie und wo setzen Sie die Schwerpunkte?

    Uhlmann: Schwerpunkte, das hört sich alles viel zu professionell an. Wir sind schon eine professionelle Plattenfirma, wir geben unsere Steuer rechtzeitig ab und wir hatten noch keine Probleme mit dem Gesetz. Es ist aber einfach immer noch so, dass ich das extrem jungfräulich mache. Ich sitze am Computer, irgendwie kommt eine neue Band an die Gestade meines Rechners gespült und dann höre ich mir das an und denke so: "Wow, das ist irgendwie gut. Moment, warum findest du es eigentlich gut? Weil es toll gesungen ist und weil es vielleicht etwas anders ist als andere Bands, noch ein bisschen toller." Und das ist genau der gleiche Impetus, wie ich damals in der elften Klasse auf dem Schulhof von meinem Gymnasium war und so ... "hey, hier, du musst dir mal Megadeth anhören, ich glaub', das gefällt dir richtig gut. Aber DU, du musst Leonard Cohen, weil das ist so Musik ... " Also ich habe einfach schon immer Musik verteilt und wollte Musik verbreiten, weil ich dachte: "Das wird bestimmt dein Leben, dein Leben wir bestimmt besser, wenn du viel Megadeth hörst." Und: Ich hatte manchmal auch Recht. Und genauso ist das, wenn ich Schwerpunkte setze: Ich höre was, über die absurdesten Zufälle höre ich irgendwelche Bands und denke so: "Wow, das ist gut! Damit machen wir jetzt ne Platte!" Ich weiß, dass da irgendwie auch Geld herumschwirrt und so etwas, da denke ich aber wirklich erst im halben Jahr dran. Das ist einfach nur von wegen so ein bisschen dieser Stolz, diese Freude: Man ist auf eine Idee gekommen, hat ne Band gehört, hat gedacht: "Ach, das könnte irgendwie super sein." Und dann funktioniert es – das ist eine ganz kindliche, kreative Freude.

    Tournee-Daten 2011:
    12.10. Erlangen, E-Werk
    13.10. A-Wien, Szene
    14.10. München, Muffathalle
    15.10. A-Salzburg, Rockhouse
    16.10. Stuttgart, LKA Longhorn
    18.10. Freiburg, Jazzhaus
    19.10. CH-Zürich, Abart
    20.10. Frankfurt a. M., Batschkapp
    21.10. Jena, Kassablanca
    22.10. Rostock, Mau Club
    23.10. Magdeburg, Moritzhof
    25.10. Köln, Stollwerck
    26.10. Bremen, Schlachthof
    27.10. Lingen, Alter Schlachthof
    29.10. Hamburg, Gruenspan verlegt in die Große Freiheit
    30.10. Berlin, Postbahnhof
    11./12.11. Weissenhäuser Strand, Rolling Stone Weekender